Das gewisse Extra

Wenn ein Kind Erbgut von drei Erwachsenen in sich trägt, trifft das auf ethische Bedenken
Aufbewahrung der Zellen für die In-Vitro-Fertilisation. Foto: dpa/ Science Phpt Libary
Aufbewahrung der Zellen für die In-Vitro-Fertilisation. Foto: dpa/ Science Phpt Libary
Vor einigen Monaten machte in Großbritannien das Parlament den Weg frei für die Mitochondrien-Ersatz-Therapie, bei dem das Erbgut eines Paares mit Kinderwunsch in die Eizelle einer anderen Frau implantiert wird. In der Debatte unter dem Stichwort "Drei-Eltern-Kind" hat die Kirche von England deutlich gegen diese medizinische Option Position bezogen. Die Evangelische Kirche in Deutschland hingegen hat bislang dazu geschwiegen. Der auf bioethische Fragen spezialisierte Theologe Jens Ried von der Universität Erlangen beschreibt Chancen und Fragen, die diese Therapie mit sich bringt.

Alana Saarinen ist derzeit vielleicht eine der bekanntesten Teenagerinnen der Welt. In den großen Tageszeitungen war zu Beginn des Jahres ihr Bild zu sehen oder zumindest ihr Name zu lesen. Was die 15-jährige US-Amerikanerin so besonders macht: Sie ist eine von rund dreißig Menschen weltweit, deren Zellen Erbgut (DNA) von drei unterschiedlichen Personen enthält - von ihrem Vater, von ihrer Mutter und von einer zweiten Frau, die ihre Eizelle für eine künstliche Befruchtung zur Verfügung gestellt hat. Die Aufsichtsbehörden in den USA haben den so genannten Eizellplasma-Transfer, mit dem die Saarinens nach jahrelangen vergeblichen Versuchen doch noch ein Kind bekommen konnten, zwar mittlerweile wieder untersagt, da mögliche Gesundheitsrisiken und Spätfolgen nicht ausreichend erforscht seien. In Großbritannien wird die Sachlage aber anders eingeschätzt. Das britische Parlament hat im Februar den Weg für ein ähnliches Verfahren frei gemacht, wie es bei Familie Saarinen angewandt wurde.

Die kritischen Anfragen, die im Umfeld dieser Entscheidung öffentlich diskutiert wurden, hat das positive Votum nicht beruhigen können. Neben der Sicherheit des Verfahrens, und damit der Frage nach eventuellen Gefahren für die Gesundheit, steht eine Reihe weiterer ethischer Aspekte zur Debatte, etwa die Problematik der Eizellspende, die Rückwirkungen genetischer Veränderungen auf die individuelle Identität, aber auch das soziale Gefüge und das Menschenbild sowie die grundsätzliche Frage, ob die eingeschlagene Forschungsrichtung überhaupt weiter verfolgt werden soll. Ungeachtet der breiten Zustimmung im Parlament begegnet die getroffene Entscheidung nicht nur auf der Insel einem breiten Spektrum ethischer Bedenken.

Vor allem britische Wissenschaftlerinnen sehen zu besonderer Skepsis keinen Grund. Schließlich gehe es darum, solche Erbkrankheiten zu bekämpfen, die in den Mitochondrien ihre Ursache haben - und damit den betroffenen Familien Hilfe zu verschaffen. Die im Zellplasma schwimmenden Mitochondrien werden gerne als kleine Kraftwerke bezeichnet, weil sie eine zentrale Rolle im Energiehaushalt jeder Zelle spielen. Ihre Besonderheit: Während das Erbgut zum weitaus größten Teil im Zellkern in den Chromosomen konzentriert ist, enthalten die Mitochondrien eine eigene DNA, die allerdings deutlich weniger als ein Prozent der in der Zelle enthaltenen Erbinformation ausmacht. Eine weitere Besonderheit: Die DNA in den Mitochondrien wird ausschließlich über die Eizelle und damit über die Mutter vererbt.

Verkürzte Vorstellung

Genetische Störungen in der mitochondrialen DNA sind mit einer Verbreitung von mindestens 1:10.000 relativ häufig und können zu einer Vielzahl von Krankheiten führen, von Diabetes über Atemwegs- und Herzerkrankungen bis hin zu neuronalen und muskulären Problemen. Mitochondrien mit DNA-Defekt lassen sich nicht therapieren, aber sie können im Rahmen einer In-vitro-Fertilisation recht einfach ersetzt werden. Entweder wird, wie bei Familie Saarinen, das Plasma der mütterlichen Eizelle samt den defekten Mitochondrien durch das Eizellplasma einer zweiten Frau mit intakten Mitochondrien ersetzt und anschließend mit dem väterlichen Sperma befruchtet. Oder - das ist das Verfahren, das in Großbritannien angewandt wird - der Zellkern der mütterlichen Eizelle wird entnommen und in die entkernte Eizelle einer zweiten Frau übertragen und anschließend befruchtet. Alternativ können der entkernten Eizelle auch Vorkerne implantiert werden, die bereits die Chromosomen von Mutter und Vater des zukünftigen Kindes enthalten. So oder so: Ein Embryo, der auf eine der beschriebenen Weisen erzeugt wird, enthält zwar Erbinformationen von drei verschiedenen Personen, aber - und darauf weisen die Befürworter dieser Methoden immer wieder hin - der Anteil der dritten DNA sei so gering, dass sich die ethischen Bedenken in ebenso engen Grenzen halten könnten.

Dieses Argument ist allerdings nicht so überzeugend, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag, denn es arbeitet (bewusst) mit einer verkürzten Vorstellung von der Funktionsweise des Genoms. Alle Erkenntnisse aus der Erforschung des Humangenoms seit seiner Entschlüsselung haben vor allem eines gezeigt: Das Genom ist Teil eines überaus vielschichtigen Gefüges von komplizierten Zusammenhängen und Wechselwirkungen. Es ist nicht die Größe eines DNA-Abschnittes oder die Anzahl der beteiligten Gene, die vor allem relevant sind, sondern die Intensität und die Frequenz der Interaktionen in den äußerst komplexen Prozessen innerhalb einer Zelle, eines Gewebes, Organes oder eines ganzen Organismus, an denen die Sequenz beteiligt ist. Zudem: Wie eine dritte DNA-Komponente das Spiel beeinflusst, ist bis jetzt mit einer Reihe von Unklarheiten behaftet. Sicher ist allerdings etwas anderes: Die DNA der Mitochondrien ist sehr aktiv und wirkt vielfältig mit dem Genom im Zellkern zusammen. Vom quantitativ begrenzten Umfang der mitochondrialen DNA auf ihre geringe Bedeutung im Zusammenspiel der unterschiedlichen Elemente im Stoffwechsel zu schließen, ist also mindestens fragwürdig. Und folglich können ethische Bedenken gegen die Mitochondrien-Ersatz-Therapie nicht ganz so leicht vom Tisch gewischt werden.

Zu den prominenten kritischen Stimmen in Großbritannien gehört die anglikanische Kirche. Ihre Vertreter lehnen das Verfahren derzeit zumeist ab, aber keineswegs aus einer prinzipiellen Skepsis heraus, wie im Oberhaus ausdrücklich betont wurde. Für die Kirche von England sind vor allem zwei Aspekte kritisch: Die Zulassung markiere den Einstieg in die Keimbahntherapie und damit einen ethischen Wendepunkt, der sorgfältiger bedacht werden müsse. Die bisher vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse zu den langfristigen Effekten seien zu gering und widersprüchlich, eine fundierte Risikoabschätzung nicht möglich und folglich die Anwendung dieser Methode nicht verantwortbar. Mit anderen Worten: Es braucht mehr Zeit für Diskussion und Forschung, um die noch offenen Fragen zu klären und noch vorhandene Bedenken zu beseitigen.

Standardargument Dammbruch

Andere Stimmen, auch hierzulande, sind in ihrer Ablehnung noch grundsätzlicher. Der Sprecher der katholischen Deutschen Bischofskonferenz brachte in der FAZ die Mitochondrien-Ersatz-Therapie in Verbindung mit der Präimplantations-Diagnostik und sprach in diesem Zusammenhang von "Designer-Babys" und der "Selektion lebenswerten Lebens von angeblich lebensunwertem Leben". Beides sind überzeichnende Schlagworte, die regelmäßig in bioethischen Debatten auftauchen, aber die Argumentation selten voranbringen. Die dahinterliegende Befürchtung allerdings, dass mit der Zulassung dieses biomedizinischen Verfahrens ein "Dammbruch" erfolgen könnte, der am Ende zu Konsequenzen führen würde, die niemand wollen kann, beschäftigt nahezu alle Beobachter. Tatsächlich gab es hinsichtlich der Ablehnung von Keimbahntherapien, also der generationenübergreifenden Manipulation am Genom zum Zweck der Verhinderung von Erbkrankheiten, bislang eine nahezu globale Einstimmigkeit, wie sie allenfalls noch beim Verdikt gegen das reproduktive Klonen besteht.

Mit einem Tabu- oder Dammbruch zu argumentieren, gehört zum Standard in allen Diskussionen über innovative biomedizinische Verfahren. Einerseits ist es äußerst problematisch, einem wissenschaftlichen Fortschritt mit Zwangsläufigkeit eintretende, möglicherweise weit in der Zukunft zu realisierende und vermeintlich nicht zu verhindernde Folgen zu unterstellen. Die berechtigte Skepsis gegenüber angeblichen Dammbrüchen darf andererseits aber auch nicht zur Blindheit gegenüber relevanten Übergängen führen. Denn plausible Argumente gegen die Ausweitung von Keimbahntherapien zu finden, werden erschwert, sobald sich die Mitochondrien-Ersatz-Therapie als sicheres und auch gesellschaftlich anerkanntes Verfahren etabliert hat - und zwar gerade aus naturwissenschaftlichen Gründen: Denn ob die Manipulation nur die Mitochondrien oder auch den Zellkern betrifft, ob sie nun weniger als ein Prozent oder höchstens fünf Prozent oder nicht mehr als zwanzig Prozent der DNA tangiert, macht sachlich keinen relevanten Unterschied. Im Stil von Abrahams Feilschen um Sodom (Genesis 18, 22-32) Grenzwerte zur Lenkung der weiteren Entwicklung auszuhandeln, ist dann zumindest eine problematische Option. Insofern muss bereits jetzt die grundsätzliche Entscheidung getroffen werden, ob der Einstieg in die Keimbahntherapie erfolgen soll, und mit welchen geeigneten Instrumenten gegebenenfalls das weitere Prozedere gesteuert werden kann. Die Mitochondrien-Ersatz-Therapie markiert damit eine Schwelle, die zu überschreiten gut überlegt sein will.

Mögliche Identitätsprobleme

Neben den Unklarheiten im Hinblick auf die langfristigen Risiken des Verfahrens und der Frage nach einem möglichen Dammbruch ist es ein dritter Aspekt, der besondere Aufmerksamkeit auf sich zieht: die Frage nach möglichen Auswirkungen auf das Selbstverständnis der betroffenen Personen und ihrer Nachkommen. Vor allem in den Medien wird die umstrittene Entscheidung des britischen Parlamentes unter der (zweifelhaften) Überschrift "Drei-Eltern-Kinder" verhandelt. Auch wenn ihre DNA nicht zu hundert Prozent von Mutter und Vater stammt: Alana Saarinen insistiert darauf, selbstverständlich nur zwei Eltern zu haben. Dass genetische Abstammung und Elternschaft nicht schlicht in eins fallen müssen, sondern zwischen biologischer Verwandtschaft und familiärer Verbundenheit durchaus Unterschiede bestehen können, ist hinlänglich bekannt - man denke nur an Adoptionen. Ebenso bekannt ist aus solchen und ähnlichen Zusammenhängen allerdings auch, dass viele Menschen irgendwann Klarheit über ihre biologische Abstammung gewinnen wollen und darauf auch ein verbrieftes Recht haben. Es ist zumindest nicht auszuschließen, dass die Mitochondrien-Ersatz-Therapie - wie andere fortpflanzungsmedizinische Methoden auch - mit komplizierteren Abstammungsverhältnissen auch Identitätsprobleme schaffen kann.

Daraus lässt sich kein grundsätzliches Argument gegen dieses Verfahren entwickeln, jedenfalls keines, das dann nicht auch generell gegen andere akzeptierte Methoden sprechen müsste. Eine besondere Sensibilität für Fragen von Selbstbild und Identität auf individueller Ebene, aber auch im Hinblick auf die gesellschaftliche Dimension ist allerdings notwendig, und zwar schon dann, wenn ein biomedizinisches Verfahren (noch) keine etablierte soziale Praxis ist.

Gerade hier haben die Kirchen und die Theologie ihre wesentliche Funktion. Neben der Rolle der kritischen Mahnerin ist es primär ihre Fähigkeit der differenzierten sachlichen Betrachtung, die in diesen Debatten verlangt wird. Die EKD hat sich bislang nicht ausführlich zur Mitochondrien-Ersatz-Therapie geäußert. Wenn sie es tut, sind vor allem zwei Unterscheidungen wichtig: Sie sollte zum einen nicht der Versuchung erliegen, selbst in die Falle einer verkürzten Vorstellung von der Funktion des Genoms zu geraten und Veränderungen am Genom in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen, aber auch nicht zu überschätzen. Die evangelischen Kirchen haben bisher immer darauf verwiesen, dass das Genom, ganz gleich ob mit Defekten behaftet oder nicht, keine hinreichende Grundlage für irgendein Werturteil ist. Diese Position in alle Richtungen zu halten, steht ihnen weiterhin gut an.

Zum anderen sind die Kirchen gut beraten, die Unterscheidung zwischen Ethik und Seelsorge zu wahren. Auch wenn ein biomedizinisches Verfahren aus nachvollziehbaren Gründen als moralisch problematisch eingestuft wird, kann - und darf - daraus kein Verdikt über diejenigen abgeleitet werden, die sich dieser Technik bedienen möchten, um eine ebenso nachvollziehbare persönliche Krisensituation zu bewältigen, wie sie die familiäre Belastung mit einer Erbkrankheit unzweifelhaft darstellt. Der Grat zwischen Skepsis und Optimismus, zwischen Katastrophenszenario und paradiesischer Vision ist schmal und schwer zu gehen, aber für eine christliche Kirche auch unausweichlich, die sich der neutes-tamentlichen Aufforderung verpflichtet weiß: "Du aber sei nüchtern in allen Dingen!" (2. Timotheus 4,5)

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Jens Ried

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