Islamisiert, nicht islamisch

Religiöse Judenfeindlichkeit und Antisemitismus unter Deutschlands Muslimen
Berlin im Juli: Demonstration gegen die israelische Kriegsführung in Gaza. Foto: dpa/ Hannibal Hanschke
Berlin im Juli: Demonstration gegen die israelische Kriegsführung in Gaza. Foto: dpa/ Hannibal Hanschke
Bei Demonstrationen gegen die israelische Kriegsführung in Gaza schrien muslimische Jugendliche in deutschen Städten antisemitische Parolen. Der Islamwissenschaftler Andreas Gorzewski geht der Frage nach, woher dieser Judenhass kommt und inwiefern er auch religiöse Wurzeln hat.

Die Zeichnung auf der Facebookseite deutschsprachiger Palästinenser zeigt einen grimmig blickenden israelischen Premier Benjamin Netanjahu direkt neben Adolf Hitler. Und beide tragen eine braune Naziuniform. Allerdings ist auf der roten Binde an Netanjahus Arm anstelle des Hakenkreuzes das Symbol der Vereinten Nationen zu sehen. Unter Hitler steht auf Englisch "Warschau-Ghetto-Massaker", unter Netanjahu "Gaza-Ghetto-Massaker". Dazu postete ein Leser namens Mehdi den Kommentar: "So ist es und nicht anders!" Und ein anderer schrieb: "Es gibt keinen Unterschied. Was die Nazis machten, machen die Juden jetzt mit den Palästinensern."

Ähnliche Gleichsetzungen finden sich auf zahllosen anderen Websites. Auch bei den ersten antiisraelischen Demonstrationen im Juli 2014 wurden Plakate mit Davidstern und Zerrbildern von Netanjahu als Kindermörder mitgeführt. Ein Großteil der Demonstranten in Berlin, Bremen und Frankfurt am Main waren junge Muslime. Während viele einfach nur zornig über die israelische Kriegführung gegen die Hamas im Gaza-Streifen waren, brüllten einige Parolen wie: "Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf allein”. Bei ihnen war die Wut gegen die Regierung in Jerusalem in pauschale Judenfeindschaft umgeschlagen. Und Schlagzeilen machte auch ein Imam, der in Berlin zum Mord an Juden aufrief. Nicht nur Juden reagierten erschrocken und empört auf die Ereignisse.

Nach Einschätzung des Islamwissenschaftlers Michael Kiefer sind antisemitische Ausbrüche von Muslimen in Deutschland nicht neu. "Es ist das, was wir schon seit der ersten Intifada erleben", die von 1987 bis 1993 dauerte, stellt Kiefer fest. Aber neu sei das Ausmaß der Mobilisierung. Dabei spielen Kiefer zufolge neue Medien wie Satellitenfernsehen, Facebook und Youtube eine wichtige Rolle. Die Bilder von getöteten palästinensischen Kindern hätten eine enorm mobilisierende Wirkung.

Bereits im Jahr 2000 schlugen Wut und Hass erstmals in Gewalt gegen jüdische Einrichtungen in Deutschland um. Vermutlich unter dem Eindruck der zweiten Intifada schleuderten junge Muslime Brandsätze auf die Düsseldorfer Synagoge. Nur wenige Tage später beschädigten demonstrierende Libanesen auch die Synagoge in Essen. Beschimpfungen und Attacken gegen Juden von Tätern mit muslimischem Hintergrund gibt es immer wieder. In Zahlen lässt sich das aber kaum ausdrücken. Die Polizeistatistiken zu politisch motivierter Kriminalität listen zwar antisemitische Straftaten auf, fragen aber nicht nach der Religionszugehörigkeit der Täter.

Eine Umfrage aus dem Jahr 2010 wies auf eine hohe Verbreitung antisemitischer Stereotype unter arabisch- und türkischstämmigen Jugendlichen in Deutschland hin. Demnach hatten knapp 36 Prozent der arabischstämmigen Schüler der Aussage zugestimmt, dass Juden in der Welt zu viel Einfluss haben. Von den türkischstämmigen sahen das 21 Prozent so. Bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund habe der Wert dagegen nur bei zwei Prozent gelegen. Allerdings ist Vorsicht angebracht, wenn aus solchen Umfragen Einzelergebnisse herausgezogen werden. Je nach Art der Frage, können sich die Ergebnisse bei den unterschiedlichen Arten von Antisemitismus verschieben.

Judenfeindliche Haltungen unter Muslimen haben für den Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz einen anderen Ursprung als rechter oder auch linker Antisemitismus. "Der rassistische Antisemitismus, der die Juden wegen zugeschriebener äußerer Merkmale ablehnt, kommt im Islam ursprünglich nicht vor. Das ist ein Import aus Europa", sagt Benz. "Vergleichbar ist es, wenn der Jude als Mitglied eines weltweiten Kollektivs Gegenstand eines Feindbildes ist", erläutert Benz.

Der Koran zeichnet von Juden ein ambivalentes Bild. In Versen aus der Frühzeit von Mohammeds Wirken werden die Juden als Besitzer göttlicher Offenbarung angesprochen. Spätere Verse enthalten dagegen deutliche Kritik und sogar Anfeindungen. "Sie stiften Verderben auf der Erde", heißt es in der fünften Koransure. In diesem Wandel spiegelt sich vermutlich die Erfahrung Mohammeds, dass er die Juden in Medina nicht von seiner Botschaft überzeugen konnte. Als Folge der Konflikte dort und der Kämpfe mit seiner Heimatstadt Mekka unterwarf Mohammed schließlich die jüdischen Stämme.

Aus den Koranversen könnten Muslime jedoch keine allgemeine Judenfeindschaft ableiten, betont der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek. "Der Kontext ist nicht pauschalisierbar, sondern er bezieht sich auf eine spezielle Situation", sagt er. Viele Koranverse belegen für ihn, dass der Islam sowohl strukturell als auch von seiner Haltung her antirassistisch sei. Extremisten versuchten jedoch, einzelne Koranverse zu missbrauchen, um die Religionen gegeneinander aufzustacheln. Damit stellten sie sich gegen die vierzehnhundertjährige Auslegungstradition des Koran. Auch die lange Erfahrung des Zusammenlebens spreche dagegen. Mazyek erinnert daran, dass Juden über Jahrhunderte immer wieder in die muslimischen Welt flohen, um dem Antisemitismus in Europa zu entgehen.

Anders als in großen Teilen des Christentums galten Juden im Islam nicht als Gottesmörder. Religiös begründete Judenverfolgung war im Orient eher die Ausnahme. Der Islamwissenschaftler Kiefer zieht es deshalb vor, anstelle eines "islamischen" von einem "islamisierten Antisemitismus" zu sprechen, der wesentliche Elemente aus Europa entlehnt hat. Dabei spielte das Pamphlet "Protokolle der Weisen von Zion" eine wichtige Rolle, das eine jüdische Weltverschwörung belegen will. Nach der Gründung des Staates Israel sei diese Form des Antisemitismus auch im Orient hoffähig geworden. "Das Hauptnarrativ ist das des bösartigen jüdischen Verschwörers, der mit Hilfe des Finanzkapitals, der Amerikaner und anderer die Welt steuert und so den israelischen Staat am Leben hält", erklärt Kiefer. Auch die Hamas berufe sich in ihrer Charta darauf. "Dort findet sich ein Rückbezug auf die Protokolle der Weisen von Zion und nicht auf den Koran", hebt Kiefer hervor.

Die Hamas-Charta zeigt dennoch, wie sich Versatzstücke aus der Frühzeit des Islam in den modernen Antisemitismus integrieren lassen. So zitiert die Charta eine frühislamische Überlieferung und instrumentalisiert sie als zeitlos gültige Anweisung. Der jüngste Tag wird dieser Überlieferung zufolge nicht kommen, bevor die Muslime nicht die Juden bekämpfen und töten. Selbst wenn sich die Juden dann hinter Bäumen und Steinen versteckten, würden diese sprechen: "Oh Muslim, oh Diener Allahs, ein Jude ist hinter mir. Komm her und töte ihn!"

Der Antisemitismus von Gruppen wie der Hamas spiegelt oft deren eigene Weltsicht. So wie Islamisten Religion, Gesellschaft und Politik als Einheit sehen, unterstellen sie, dass auch bei den Juden Religion, die weltweite jüdische Gemeinschaft und die israelische Politik zusammengehören. Die jüngsten Proteste sind für Antisemitismusexperte Benz nicht religiös motiviert, sondern politisch: "In Deutschland ergreifen vor allem junge Muslime mit arabischem Hintergrund Partei für ihre Glaubensgenossen in Palästina." Außerdem hätten die jungen Leute längst bemerkt, dass die Verdammung der Juden das beste Mittel sei, um Aufmerksamkeit zu erregen.

Verbände auf Distanz

Dies bringt Muslime allgemein in Misskredit. Und dagegen stemmen sich die großen Islamverbände Deutschlands. Sie fordern eine differenzierte Sichtweise. "Wir verurteilen die Kriegspolitik Israels. Wir lehnen die Unverhältnismäßigkeit des Krieges ab", betont Zentralratsvorsitzender Mazyek, aber für Judenfeindschaft dürfe es keinen Platz geben. Er weist die Kritik zurück, die Demonstrationen im Juli seien insgesamt antisemitisch gewesen. Auch die Islamische Religionsgemeinschaft Hessen, Mitorganisatorin einer Kundgebung in Frankfurt am Main, betonte: "Alle Gleichsetzungen der aktuellen Ereignisse mit der Vernichtung der europäischen Juden während der Zeit des Faschismus weisen wir zurück." Die Türkisch-Islamische Union (ditib) äußerte nach einem Brandanschlag auf die Wuppertaler Synagoge im Juli ihr Bedauern darüber, "wie der gegenseitige Hass und die Gewalt zwischen den Menschen in Gaza und Israel auf unsere deutsche Gesellschaft übergreifen". Die ditib beklagte eine "zunehmend besorgniserregende Haltung gegen Juden in Deutschland, die in Gewalt und Anschlägen auf Synagogen gipfele".

Allerdings lassen sich Extremisten unter den Muslimen nicht von der ditib oder dem Zentralrat der Muslime sagen, welche Protestform erlaubt und wie der Koran zu verstehen ist. So beharren salafistische oder radikalislamistische Gruppen weiter auf ihren Theorien von einer jüdischen Weltverschwörung. Sie nutzen dabei die verbreitete Empörung über die israelische Besatzungspolitik und geben vor, für alle Muslime zu sprechen. Außerdem können sie auf einen Antisemitismus aufbauen, den zum Beispiel Filme wie der türkische Kassenschlager "Tal der Wölfe - Irak" verbreiten. Dort werden in einer Szene Muslimen Organe entnommen und unter anderem nach Tel Aviv verschickt.

Ein Teil der Muslime sieht Antisemitismus als Problem an, das auch sie angeht. "Insgesamt muss man aber leider sagen, dass bei vielen muslimischen Gemeinden das Phänomen unterschätzt wird", kritisiert Islamwissenschaftler Kiefer. Jenseits der Moscheevereine gibt es mehrere Projekte, die unter Muslimen wie Nichtmuslimen über Antisemitismus aufklären und für einen Dialog zwischen den Religionen werben. Dafür arbeitet seit zehn Jahren die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus. Und der bundesweite Rat muslimischer Studierender und Akademiker bemüht sich ebenfalls seit mehreren Jahren um Austausch mit Juden. Im Rahmen des christlich-jüdisch-islamischen Trialogs engagieren sich Vertreter der drei Religionen vielerorts.

In Berlin versuchte die Salaam-Shalom-Initiative auch während des Gaza-Krieges, Juden und Muslime zusammenzubringen. Koordinator ist Armin Langer, der Rabbiner werden möchte. Er erklärt, dass die Initiative nun eine Chance habe zu beweisen: "Muslime und Juden sind keine Feinde." Der Gegenwind sei enorm, sagt der junge Mann, doch es gebe auch viel Unterstützung. Für Armin Langer hat - wie für Aiman Mazyek vom Zentralrat der Muslime - die öffentliche Debatte über Antisemitismus unter Muslimen noch einen wichtigen Aspekt. Durch die enge Verknüpfung von Antisemitismus und Islam werde auch Stimmung gegen den Islam verbreitet. "Antisemitismus wird klar gegen die muslimische Gemeinschaft benutzt, sie wird als alleiniger Sündenbock herangezogen", kritisiert der jüdische Theologiestudent. Dadurch werde ein Bild geprägt, nach dem Judenfeindschaft der deutschen Gesellschaft heutzutage eigentlich fremd sei.

Mazyek räumt ein: "Es gibt unverbesserliche Antisemiten in der muslimischen Community." Diese seien absolut in der Minderheit. Trotzdem dienten sie als Stichwortgeber für eine Art Entlastungsdebatte. Damit werde von einem insgesamt zunehmenden Antisemitismus in Deutschland abgelenkt.

Andreas Gorzewski

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