Wie mag Farinelli bloß geklungen haben, damals vor fast dreihundert Jahren? Zeitgenossen beschrieben seine Stimme als "so rein und hell wie von Chorknaben und viel lauter, eine Oktave über den natürlichen Frauenstimmen, brillant, leicht, voller Glanz, sehr laut und umfangreich". In dem 1995 gedrehten Film über den mythenumwobenen Sänger wurde ein technischer Kunstgriff verwendet, um diese Qualitäten zu imitieren; mit elektronischen Hilfsmitteln mischte man die Stimmen einer Sopranistin und eines Countertenors. Das Ergebnis war verblüffend - aber traf es wirklich den Ton eines Menschen, der kurz vor dem Stimmbruch kastriert worden war, um seine knabenhafte Strahlkraft ins Erwachsenenalter hinein zu verlängern?
Den schmerzhaften und lebensgefährlichen Eingriff mussten zu Farinellis Zeit, im frühen 18. Jahrhundert, tausende Jungen über sich ergehen lassen. Dahinter stand die vage Hoffnung ihrer Lehrer und Eltern, dass sie später mit ihrer Stimme Karriere machen würden - eine Perspektive, die zwar für Farinelli durchaus, für die meisten aber nie Wirklichkeit wurde.
Umso spannender ist nun das Wagnis des Countertenors Philippe Jaroussky, eine ganze CD nur mit Arien zu veröffentlichen, die Farinellis Lehrer Nicola Porpora zwischen 1724 und 1736 für seinen berühmtesten Schüler komponiert hat. Begleitet vom Venice Baroque Orchestra unter der Leitung von Andrea Marcon und zweimal im Duett mit Cecilia Bartoli, singt Jaroussky Farinelli ohne Studiotricks - und natürlich ohne körperliche Eingriffe.
Auch hier wird man nie erfahren, wie ein Vergleich aussehen würde. Angesichts der von Biographen überlieferten Geschichte, dass Farinelli einen Trompeter an die Wand gesungen haben soll, ergäbe eine solche Gegenüberstellung wohl auch wenig Sinn. Man darf aber fragen, wie Porporas Arien in dieser neuen Aufnahme klingen, gesungen von einer heutigen Stimme für heutige Ohren. Man höre und staune: Die überirdisch anmutende Reinheit der Stimme, die Art, wie sie sanft und doch unwiderstehlich ans Herz greift, verbunden mit einer herrlichen Sicherheit in den Koloraturen, ist in dieser Musik vortrefflich aufgehoben, ja tatsächlich: wie zu Hause.
Porpora, der seine Werke im klassischen neapolitanischen Stil schrieb, habe nicht an die außergewöhnliche Klasse seines direkten Konkurrenten Händel heranreichen können, sagt Jaroussky. Erst Farinelli habe seine Arien mit Leben erfüllt. Das gelingt nun auch Philippe Jaroussky - Hut ab! Übrigens auch vor der Plattenfirma, die die CD mit einem opulenten und ungemein informativen Booklet ausgestattet hat.
Philippe Jaroussky - Farinelli. Porpora Arias. Mit dem Venice Baroque Orchestra. Erato 50999 9341302 2.
Ralf Neite