Auf der Flucht

Ein junger Afrikaner erzählt seine Odyssee
Flüchtling protestiert im Mai 2014 vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche (Berlin). Foto: epd
Flüchtling protestiert im Mai 2014 vor der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche (Berlin). Foto: epd
Über die ehrenamtliche Flüchtlingsarbeit eines evangelischen Kirchenkreises erreichte uns der Bericht eines jungen Afrikaners über seine beschwerliche, furchtbare Reise aus Guinea in Westafrika nach Deutschland. Den Text haben wir Fachleuten vorgelegt, die ihn für absolut glaubhaft halten. Der Name des Flüchtlings ist verändert, da er sich illegal in Deutschland aufhält und von Abschiebung bedroht ist.

Ich heiße Mohamed Doré, bin 19 Jahre alt und komme aus Guinea/Afrika. Vor meiner Flucht lebte ich in dem Ort Bleyla. Meine Mutter lebt dort immer noch mit meiner kleinen Schwester. Meine beiden Brüder leben in Conakry, der Hauptstadt Guineas. Mein Vater ist vor meiner Geburt gestorben.

Ich habe meinen Wohnort verlassen, in der Hoffnung, in Conakry Arbeit zu finden. Als mir das nicht gelang, floh ich mit Hilfe eines Mannes, den ich kennengelernt hatte, nach Guinea-Bissau. Nach einigen Monaten fuhr ich mit einem LKW-Fahrer nach Kaolac im Senegal. Er hatte Mitleid mit mir und gab mir 2.000 CFA Francs, das sind etwa drei Euro. Dort legte ich mich nachts unter einen der Marktstände zum Schlafen.

Ich half den Marktbeschickern bei der Arbeit, und sie bezahlten mich mit Naturalien. Das reichte selten aus, um satt zu werden. Ich hatte deshalb sehr oft großen Hunger. Nach etwas mehr als einem Monat hatte ich die Gelegenheit, auf der Ladefläche eines LKW bis Celui im Senegal zu gelangen.

Mit einem Minibus fuhr ich dann gegen Zahlung von 1.000 CFA Francs bis zur Grenze von Mauretanien nach Rosso mit. Um nach Mauretanien zu gelangen, hatte ich die Chance, nachts mit einem kleinen Boot mitgenommen zu werden. Um die Orientierung nicht zu verlieren, lief ich parallel zur Grenze etwa 180 Kilometer zu Fuß durch die Sahara zur Hauptstadt Nouakchott. Tagsüber versteckte ich mich, um nicht von der Polizei entdeckt zu werden.

Von dem Stadtteil Socosim fahren ständig Lastwagen nach Marokko. Nachts schlich ich zu einem entladenen LKW und versteckte mich darunter auf der Ablage für das Werkzeug. Als wir in Agadir (Marokko) ankamen, floh ich aus meinem Versteck. Dort hatte ich Glück, dass ich in der Moschee etwas zu essen bekam, wenn ich Hunger hatte. Auf einem Karton am Busbahnhof verbrachte ich die Nächte. Nach etwa zehn Tagen sprach mich ein Busfahrer an. Ich sagte ihm, dass ich hier niemanden kenne. Er erklärte mir, dass es in Rabat eine Gruppe von Guineern gäbe und schenkte mir 70 Dirham (etwa 7 Euro). Davon konnte ich eine Busfahrkarte nach Rabat kaufen.

In der Wüste ausgesetzt

Am Busbahnhof in Rabat wurde ich von der Polizei verhaftet und kam für drei Tage ins Gefängnis. Dann wurde ich mit einem Bus mit etwa 20 anderen Afrikanern nach Oujda transportiert. Nachts setzte die Polizei mich mit sechs anderen mitten in der Wüste an der Grenze zu Algerien aus. Sie nahmen mir die Schuhe ab und ließen mich ohne Nahrung und Wasser dort zurück. Mit Gewehren zwangen sie mich und die anderen, über die algerische Grenze zu gehen. Die anderen schienen nicht das erste Mal dort ausgesetzt zu sein, denn sie wussten sofort, wohin sie den Rückweg antreten mussten.

Ich irrte herum und fand schließlich mit Hilfe der nächtlichen Beleuchtung den Weg nach Maghnia. Da ich große Angst vor der Polizei hatte, ging ich nach Marokko zurück. Ich konnte mich an den Lichtern orientieren. Nach etwa 13 Stunden war ich schließlich in Oujda gelandet. Meine Füße waren blutig und voller Blasen. Dort lief ich auf den Eisenbahngleisen Richtung Fès, bis ich nach etwa zehn Kilometern in einem kleinen Dorf ankam, wo ich auf den Güterzug von Oujda nach Fès wartete. Als der Zug die Geschwindigkeit verlangsamte, sprang ich auf und setzte mich vorne zwischen die beiden Puffer, was sehr gefährlich werden kann, wenn der Zug bremst.

Als der Zug in Fès hielt, sprang ich ab. Dort nahm ich Kontakt zu den vielen Afrikanern auf, die in der Nähe am Güterbahnhof in und unter defekten Güterwaggons lebten. Als ich ankam, war es sehr kalt, ich fror sehr, da half auch die Plastikplane nichts, die mir ein Kameruner gab. Wir waren sieben Personen in dem Waggon, und darunter schliefen vier Menschen. Im Sommer, wenn das Thermometer über 40 Grad steigt, kann man es in dem Waggon nicht aushalten. Dann schliefen wir daneben.

Obwohl ich jeden Tag in die Stadt ging, um zu betteln, hatte ich öfter zwei Tage lang nichts zu essen. In der Nähe gab es einen Privatmann, der eine Pumpe hatte, um Wasser zu fördern. Er gab uns ab und zu etwas zu trinken.

Angst vor Angriffen

An den Waggons waren wir in relativer Sicherheit, aber wenn ich in der Stadt war, wohin ich musste, um zu überleben, hatte ich immer Angst, von der Polizei aufgegriffen und in die Wüste verschleppt zu werden. Etliche Male wurden wir an den Waggons von Marokkanern mit Messern und Holzstöcken angegriffen. Viele Marokkaner sind wirklich ausgeprägte Rassisten. Ich blieb dort etwa eineinhalb Monate.

Mir sagte eines Tages ein Freund aus Kamerun, dass er nach Ceuta gehen wolle und fragte, ob ich ihn begleiten wolle. Er kaufte auch für mich das Busticket bis zu einem kleinen Dorf Fnideq ganz in der Nähe von Ceuta. Da sich in Ceuta sehr viel Militär aufhielt, gingen wir in einen kleinen Wald hinter dem Bahnhof von Fnideq. Dort war auch die Mülldeponie der Stadt Ceuta. Aus Plastikplanen und Stöcken bauten wir uns ein Zelt. Da wir nirgendwo Wasser bekommen konnten, mussten wir aus einem kleinen Bach trinken, der etwa einen Kilometer entfernt und furchtbar schmutzig war. Wir aßen das, was wir auf der Deponie fanden. Oft ekelten wir uns furchtbar.

Nach einigen Tagen kam eine Gruppe von marokkanischen Jugendlichen auch dort hin, die mit Messern und Stöcken auf uns einschlugen. Wir flohen daraufhin an die Bergspitze. Zwei Tage später versuchten wir, die Grenze zu Ceuta illegal zu überschreiten. Diese Grenze bestand zur damaligen Zeit aus zwei 6 m hohen Zäunen, einer auf marokkanischer, der andere auf spanischer Seite. Tag und Nacht war die Grenze durch Militär bewacht, alle 10 Meter stand ein bewaffneter Soldat. Jeweils einer der Soldaten schnappte uns. Die Soldaten in der Nähe eilten hinzu. Mir zerstörten sie mit dem Gewehrkolben den kleinen Finger. Einer schlug mir auch mit dem Kolben auf die Lendenwirbel. Heute noch muss ich ständig eine Salbe auf die Stelle reiben, um die Schmerzen aushalten zu können. Die miserable Ernährung führte dazu, dass ich häufig schwere Magen- und Bauchschmerzen hatte.

Die Polizei nahm uns fest und brachte uns mit einem Wagen nach Tetouan. Dort wurden wir zu 13 anderen Afrikanern ins Gefängnis gesperrt. Es waren sehr kleine Zellen mit je 3-4 Afrikanern. Wenn wir uns zum Schlafen legten, konnten wir uns nicht umdrehen, dazu war kein Platz. Es gab keine Decken zum Zudecken. Wir schliefen auf dem blanken gekachelten Fußboden. Ich weinte vor Schmerzen. Das interessierte die Polizisten nicht. Wir erhielten Wasser, aber zu essen bekamen nur die, die Geld hatten. Da ich keines hatte, konnte ich zwei Tage nichts essen.

Fesseln angelegt

Nach zwei Tagen kam mitten in der Nacht ein Bus, der die 15 Flüchtlinge aufnahm. Uns wurden Fuß- und Handfesseln angelegt. Drei Polizisten begleiteten den Bus. Wir wurden in die Wüste nach Oujda transportiert. Dort wurden wir der dortigen Polizei übergeben. Alle 15 wurden in einen kleinen Raum von vier Quadratmetern gesperrt, wo man uns die Fesseln abnahm. Es war dort so eng, dass außer mir alle aufrecht stehen mussten. Da ich verletzt war und nicht gehen konnte, hatten mich zwei Freunde in diesen Raum getragen. Da ich wegen der schrecklichen Rückenschmerzen nicht stehen konnte, durfte nur ich auf dem Boden sitzen.

Des Nachts wurden sieben der Flüchtlinge in einen Bus geladen, wieder an Händen und Füßen gefesselt und sicherlich in der Wüste an der algerischen Grenze ausgesetzt. Ich war nicht bei der ersten Gruppe, obwohl die Polizei mich mit Faustschlägen dazu zwingen wollte. Mir hatte man nur Handfesseln angelegt. Fußfesseln waren nicht möglich, weil mein linker Fuß enorm geschwollen war. Nachdem der Kleinbus von der Deportation zurückgekommen war, trieben sie die restlichen sechs Afrikaner in den Bus. Mich trugen zwei Polizisten dort hinein. Sie setzten auch uns in der Wüste an der algerischen Grenze aus und befahlen uns, Marokko zu verlassen und nach Algerien zu gehen. Ich konnte überhaupt nicht laufen. Die übrigen sechs trieben sie über die Grenze, mich ließen sie sitzen.

Mein Freund kam, nachdem er festgestellt hatte, dass die Polizei weg war, zu mir zurück. Er suchte für mich einen relativ geraden Holzstock. Weil er mich auf der einen Seite stützte, konnte ich dann auch mit Hilfe des Stocks langsam gehen. Ich wurde immer wieder schnell müde, dann machten wir eine Pause. Morgens ging er in das nächste Dorf und erbettelte dort ein Stück Brot und etwas Wasser. Wir gingen dann langsam bis zur Eisenbahnlinie und zwar zu einer Haltestelle, die zwei Stationen vor Oujda liegt. Das dauerte einen ganzen Tag. Dort warteten wir die Nacht ab.

Als ein Güterzug des Nachts etwa 20 Minuten halten musste, um den Gegenzug abzuwarten, hob mein Freund mich in den letzten Waggon. Dieser war leer, denn er war entladen worden. Mit diesem Zug fuhren wir bis Fès. Da das die Endstation für den Zug war, hatte ich genügend Zeit, mit Hilfe meines Freundes den Zug zu verlassen. Wir machten uns dann zu unserer alten Schlafstelle an den defekten Waggons auf, was ja nicht weit war. Es ging mir sehr schlecht, ich hatte Schmerzen und konnte mehr als sechs Wochen nicht laufen.

Zelt aus Plastikplanen

Ohne meinen Freund wäre ich gestorben. Er ging jeden Tag in die Stadt betteln und versorgte mich so gut er konnte. Danach blieben wir noch etwa einen Monat dort und gingen täglich in die Stadt zum Betteln. Dort trafen wir einen Afrikaner, der in Fès Urlaub machte und der uns erzählte, dass die Caritas in Tanger Flüchtlingen helfe, insbesondere solchen, die medizinische Hilfe brauchten. Da er nach Tanger fuhr, bot er uns an, uns mitzunehmen. Er setzte uns bei der Caritas ab. Wir konnten mit einem der Verantwortlichen einen Gesprächstermin für den folgenden Tag vereinbaren. Wir übernachteten dann in einem kleinen Wald unter freiem Himmel. Als wir des Morgens zur Caritas kamen – es war im Jahre 2011- erhielt jeder von uns 250 Dirham, das sind ungefähr 12 Euro. Sie sahen auch meine Verletzungen an, sagten aber, dass man daran nun nichts mehr machen könnte. Dann bauten wir in dem kleinen Wald wieder ein Zelt aus Stöcken und Plastikplanen. Tagsüber bettelten wir weiter. Wir blieben dort etwas mehr als einen Monat und gingen oft zum Hafen.

Eines Tages gab es bei der Einschiffung eines Schiffes nach Teneriffa einen größeren Stau. Da ich schon die Erfahrung von früher hatte, versteckten wir uns jeder unter einem Lastwagen in der Kiste für das Werkzeug. Bevor die Lastwagen jedoch in den Bauch des Schiffes fahren konnten, entdeckten uns zwei Spürhunde der Polizei. Wir wurden festgenommen. Da dort viele Menschen waren, wurden wir nicht zusammengeschlagen, jedoch an den Händen gefesselt.

Sie brachten uns in ein Gefängnis in Tanger. Dort bekamen wir zu essen und zu trinken; wir wurden nicht geschlagen, es gab keine Betten, aber Decken, das war für uns schon luxuriös. Am nächsten Morgen wurden wir beide nach Tetouan gebracht. Dort erkannten uns die Polizisten uns wieder. Wir wurden jeder in einem ganz kleinen Raum untergebracht, der als Folterraum diente. Wir mussten mehr als 15 Stunden aufrecht stehen und konnten uns kaum bewegen, auch weil wir an Händen und Füßen gefesselt waren. Nachts wurden wir, mein Freund und ich, wieder an dieselbe Stelle in der Wüste wie vorher, in der Nähe der Stadt Oujda, gebracht. Man nahm uns alles ab, natürlich auch die Schuhe und alle Kleidung bis auf die Unterhose.

Mit Waffengewalt wurden wir gezwungen, über die Grenze nach Algerien zu fliehen. Nachdem die Polizisten verschwunden waren, machten wir uns auf den Weg nach Oujda. In den Mülleimern fanden wir zerrissene Kleidung, womit wir uns notdürftig kleiden konnten. Dann liefen wir zum nächsten Bahnhof, warteten dort die Nacht ab und sprangen dann wie früher schon auf einen Güterzug auf. Wir dachten, dass dieser Zug nach Fès fuhr. Das war ein Irrtum. Deshalb sprangen wir in Nador vom Zug ab. Mein Freund war bereits einmal in Nador gewesen und wusste daher, auf welchem Berg sich die Flüchtlinge versteckten.

Kräftige Stockhiebe

Wir schliefen dort im Freien. Plötzlich erschien dort die Polizei, als mein Freund gerade losgegangen war, um Wasser zu holen. Alle Flüchtlinge flohen. Ich folgte ihnen nicht, weil ich die Gegend nicht kannte und mit meinem verletzten Bein nicht schnell laufen konnte. Die Polizisten nahmen alle Nahrungsvorräte der Gruppe mit und steckten alles in Brand. An den Händen wurde ich gefesselt, und sie gaben mir mehrmals heftige Ohrfeigen. Ich wurde zur Polizeistation in Nador gebracht und in eine Zelle gesperrt. Morgens, mittags und abends gab man mir mit einem kräftigen Stock jeweils fünf Stockhiebe. Morgens und abends erhielt ich Brote mit Butter und Wasser.

Nach drei Tagen verbanden sie mir die Augen, fesselten mich an Händen und Füßen und fuhren mich mit einem Polizeiwagen etwa eine Stunde durch die Gegend. Während der Fahrt kniff ein Polizist mir fortwährend mit einer Zange in den Arm. Mitten in der marokkanischen Sahara warfen sie mich aus dem Wagen und nahmen mir die Fesseln und das Tuch von den Augen ab. Sie nahmen mir wieder alle Kleider bis auf die Unterhose – natürlich auch die Schuhe – fort. Sie warfen mir eine kleine Flasche Wasser hinterher.

Ich setzte mich hin und schaute in den Himmel. Es war dunkel, aber am Himmel sah ich einen Widerschein, der von einer großen Stadt kommen musste. Diese war wohl sehr weit entfernt. So ging ich die ganze Nacht in diese Richtung. Am Morgen musste ich mich ausruhen. Die Hitze war unerträglich, und es gab nirgends Schatten. Ich kam an eine kleine unbefestigte Straße. Ich war völlig erschöpft, hatte kein Wasser mehr und seit langer Zeit nichts mehr gegessen. Ich konnte nicht mehr weitergehen und legte mich auf den Boden, denn ich konnte noch nicht einmal sitzen.

Erst gegen Abend kam ein Landcruiser des Wegs. Der Fahrer dachte wohl, ich sei tot, fuhr zunächst an mir vorbei, setzte aber dann zurück. Er kam auf mich zu. Ich konnte noch nicht einmal reden. Er berührte meinen Bauch und stellte fest, dass ich noch atmete. Er gab mir dann ein wenig zu trinken. Viel darf man in einem solchen Zustand nicht trinken. Er gab mir auch etwas Brot zu essen und noch ein wenig Wasser. Es stellte sich heraus, dass er Marokkaner war. Da ich unfähig war zu laufen, trug er mich zu seinem Auto und legte mich auf den Rücksitz. Nach etwa 40 Minuten kamen wir in eine kleine Stadt, die sich Taoureta nannte. Sie befindet sich in der Nähe von Nador.

Er gab mir in seinem Haus zu essen. Ich konnte aber nicht viel essen, weil ich furchtbare Magenschmerzen bekam. Er ging in eine Apotheke und holte mir Medikamente. Nach 20 Minuten beruhigte sich mein Magen. Danach konnte ich etwas essen. Er gab mir Kleidung, und ich erzählte ihm meine ganze Fluchtgeschichte. Das berührte ihn so, dass er weinen musste. Er warnte mich vor der marokkanischen Polizei, denn das seien fast alle Rassisten. Ich konnte mich zwei Tage bei ihm ausruhen. Er fragte mich, wohin ich denn wollte. Ich sagte ihm, dass ich gerne nach Tanger wollte. Von der Stadt aus konnte man Tanger nicht direkt erreichen. Er bezahlte mir die Fahrkarte nach Fès und gab mir 100 Dirham (etwa 9,50 Euro) in bar. Er brachte mich zum Bahnhof, ich dankte ihm und nahm den Zug nach Fès. Ich ging wieder zu den Güterwaggons hinter dem Bahnhof.

Im Polizeigefängnis

Als ich abends zum Bahnhof ging, um mit dem Bus nach Tanger zu fahren, wurde ich von zwei Polizisten angehalten, die meinen Pass forderten. Sie verhafteten mich, schlugen mich aber nicht, wahrscheinlich, weil um uns herum viele Leute waren. Ich kam in Fès ins Polizeigefängnis, nachdem man mir Handfesseln angelegt hatte. Dort waren vier weitere Flüchtlinge. Ich bekam ich Milch, Brot und Wasser. Am Morgen wurden wir alle fünf mit Handfesseln auf dem Rücken versehen. Das war sehr schmerzhaft, aber der Polizist lehnte es ab, mir die Handfesseln vor meinem Bauch anzubringen. In Oujda kamen wir wieder in das Polizeigefängnis, wir wurden nicht geschlagen, aber man gab uns weder Nahrung noch Wasser.

Sie brachten mich gegen 23.00 Uhr mit den anderen in die Wüste an der Grenze zu Algerien, einen Platz, den ich nun schon sehr gut kannte. Diesmal durften wir alle unsere Schuhe, Kleidung und sogar Geld behalten. Der Verantwortliche der Polizisten sagte mir eindringlich: „Das ist nun das fünfte Mal, dass du in die Wüste gebracht wirst. Wenn wir dich noch einmal schnappen, dann wirst du gefoltert.“ Wir bekamen von der Polizei weder Nahrung noch Wasser. Wir konnten aber alle fünf zusammenbleiben. Sie zwangen uns mit Waffengewalt, die Grenze nach Algerien zu überschreiten.

Da ich mich auskannte, gingen wir wieder zur Eisenbahnlinie und wollten auf die gleiche Weise mit dem Güterzug nach Fès fahren. Als der Zug in dem Dorf Naima anhielt, kamen Dorfbewohner, um sich den Zug anzusehen. Sie entdeckten uns, und ungefähr 90 Dorfbewohner verfolgten uns. Einen verletzten sie mit ihren Stöcken derart, dass er nicht weitergehen konnte. Wir trafen ihn später in Fès wieder. Er erzählte uns, dass sein Fuß gebrochen war und die Polizei ihn ins Krankenhaus gebracht hätte. Dieses Dorf ist für seinen Rassismus bekannt. Dort wurden schon mehrfach Afrikaner ermordet.

Uns blieb nichts anderes übrig, als zu Fuß nach Fès zu gehen. Wir marschierten Tag und Nacht und ruhten uns nur gelegentlich aus. Um uns besser orientieren zu können, liefen wir an den Eisenbahnschienen entlang. Es dauerte sieben Tage. Wasser und Essen bekamen wir von Dorfbewohnern, die Mitleid mit uns hatten. Dann gingen wir wieder zu den Waggons hinter dem Bahnhof. Dort traf ich meinen Freund aus Kamerun wieder. Wir erzählten uns unser Schicksal, und wir beschlossen, nach Fnideq, einer kleinen Stadt in der Nähe von Ceuta, zu gehen.

In Seenot

In Fès blieben wir nicht lange. Da mein Freund aus Kamerun noch ein wenig Geld hatte und von meinen 100 Dirham 70 Dirham übrig waren, konnten wir nachts wegen geringerer Polizeipräsenz den Bus nach Fnideq nehmen. Dort sind wir auf den Berg gegangen, der durch Wald bedeckt ist und trafen auf drei Afrikaner, die dort ihre provisorischen Zelte hatten. Sie besaßen eine große Luftmatratze, auf der sechs bis sieben Personen Platz hatten und die diese auch trug. Wir alle hatten Rettungswesten und auch selbstgemachte Ruder. Wir wollten so nach Gibraltar rudern.

Das Meer war recht ruhig, und wir sind losgerudert. Als wir etwa 2 km das Meer überquert hatten, verlor die Matratze plötzlich Luft. Wahrscheinlich hatten wir die Matratze mit unseren Schuhen beschädigt. Die Matratze verlor die ganze Luft, und wir schwammen im Meer. Nachdem etwa eine Stunde vergangen war, sahen wir ein Frachtschiff, und wir stießen Hilferufe aus. Die Besatzung des Schiffes musste uns gesehen haben, denn die Rettungswesten haben eine grelle Farbe, und wir waren ganz in der Nähe des Schiffes. Nach 10 Minuten etwa sahen wir dann einen Hubschrauber. Mit seinen großen Scheinwerfern hat er uns angestrahlt und uns gesehen. Nach etwa 10 weiteren Minuten kam die marokkanische Marine mit einem Schnellboot. Sie warfen uns ein Seil zu, und so gelangten wir alle fünf an Bord.

Wir wurden zum Hafen der Stadt Tanger und dort ins Polizeigefängnis gebracht. Wir wurden nicht misshandelt, und man gab uns trockenes Brot und Milch bzw. Wasser zum Trinken. Nach eineinhalb Tagen wurden wir morgens nach Oujda ins Polizeigefängnis verlegt. Meine vier Begleiter wurden nachts in die Wüste gefahren. Der Chef der Polizei erklärte mir, dass ich, da ich schon mehrmals aufgegriffen worden war, 10 Tage in Polizeigewahrsam bleiben müsse. Jeden Morgen kam ein Polizist. Ich musste die Fingerspitzen aufrecht zusammenhalten und er schlug mit einem Stock auf meine Fingerspitzen. Ich schrie und weinte vor Schmerzen. Dies wurde etwa 40mal wiederholt. Meine Fingerspitzen bluteten heftig, aber auch das beeindruckte den Polizisten nicht.

Wieder in der Wüste

Jede Nacht kam ein Polizist. Er zwang mich mit Stockschlägen einen Handstand zu machen. Er machte mir klar, dass ich 30 Minuten so verbleiben müsste. Während dieser Prozedur schlug er mir andauernd auf die Füße. Noch heute kann man die Wunden sehen. Wenn ich die 30 Minuten nicht aushielt, aufrecht auf meinen Händen zu stehen, dann fing der Vorgang von vorne an. Zu trinken und zu essen bekam ich zweimal am Tag. Man gestand mir pro Mahlzeit ein Glas Wasser zu; die Speisen waren völlig versalzen, so dass ich nur ganz wenig davon essen konnte. Nachts konnte ich wegen der Misshandlungen nicht schlafen, ich schlief deshalb tagsüber auf dem nackten gekachelten Boden. Ich hatte noch nicht einmal eine Decke. Ich musste die ganze Zeit alleine in der Zelle bleiben.

Nach sechs Tagen kam jemand in Zivil – ich nehme an, dass es auch ein Polizist war. Er erkundigte sich, wie lange und unter welchen Umständen ich in der Zelle sei. Nachdem ich ihm alles erzählt hatte, schrie er die Polizisten an, dass sie kein Recht hätten, mich zu misshandeln. Sie hätten nur das Recht, mich in der Wüste auszusetzen. Er fragte mich, ob ich Hunger hätte. Als ich das bejahte und ihm erzählte, was ich zu essen und zu trinken bekommen hatte, ging er weg und kam mit Brot und Orangensaft zurück. Ich glaube, dass er danach die Polizeistation verließ. Danach kamen zwei Polizisten, die mich anschrien, weil ich gesagt hatte, dass ich geschlagen worden wäre. Ich saß auf dem Boden, und sie schlugen zu zweit heftig auf meinen Rücken ein und warnten mich, ich solle nie wieder sagen, dass ich geschlagen worden wäre.

Nachts kamen zwei Polizisten und sagten mir, dass ich nun in die Sahara gebracht würde. Sie brachten mich alleine dorthin und sagten, dass, falls ich nochmals aufgegriffen würde, man mir die Augen ausstechen würde. Sie ließen mich gegen 23.00 Uhr in Unterhose und einem völlig zerrissenen Unterhemd ohne Schuhe in der Wüste zurück. Das Unterhemd war durch Polizisten zerrissen worden, weil sie an ihm rissen, um mich in eine für sie gute Schlagposition zu bringen. Ich hatte auch weder Wasser noch Nahrung. Wegen meiner Verletzungen an den Füßen und am Rücken konnte ich nur sehr langsam in Richtung Oujda gehen. So erreichte ich Oujda so gegen 8.00 bis 9.00 Uhr morgens. Ich war völlig entkräftet. Ich ließ mich neben der Straße nieder.

Es dauerte etwa zwei bis drei Stunden, dann sah mich ein Fahrer – ein Afrikaner. Er hielt an. Ich erzählte ihm, was geschehen war. Er hatte seinen Bruder in Oujda besucht und war auf dem Rückweg nach Casablanca. Er sah meine Verletzungen und sagte mir, er würde mich bringen, wohin ich wollte. Ich sagte, ich würde gerne nach Fès gelangen. Er gab mir zu essen und zu trinken und sagte mir, ich sollte mich auf den Rücksitz legen, damit ich bei der Durchfahrt durch eine Kontrolle nicht auffiele. Er erzählte mir, dass er aus dem Senegal käme und in Marokko als Ingenieur arbeitete. Er brachte mich bis Fès, gab mir 80 Dirham (fast 8 Euros), damit ich mir etwas zum Anziehen kaufen konnte. Ich ging wieder zu den Waggons hinter dem Bahnhof, wo ich meinen Freund aus Kamerun traf. Dort fand ich auch genügend Kleidung.

Über die Grenze

In Fès blieb ich etwa einen Monat. Es war bitterkalt. Wir beide beschlossen, wieder nach Tanger aufzubrechen. Wir fuhren mit einem Bus dorthin. Wir gingen auf eine Anhöhe, einen Wald, wo wir mit Plastikplanen, die wir aus dem Müll geholt hatten – einen Teil hatten wir auch gekauft – ein primitives Zelt bauten. Dieser Ortsteil heißt Malabata und liegt an der Straße nach Ceuta. Am dritten Tag kam nachts die Polizei und zerstörte bzw. verbrannte alles. Wir konnten fliehen.

Morgens fuhren wir dann mit einem Bus nach Fnideq an die Grenze zu Ceutan. Am Busbahnhof stiegen wir aus. Wir gingen dort ins Gebirge und trafen mehr als 120 Afrikaner. Wir fragten sie, was sie dort machten. Sie sagten, sie hätten sich hier getroffen, um nach Ceuta zu gelangen. Wir sagten ihnen, dass wir uns ihnen gerne anschließen wollten. Wir mussten uns für diese Aktion je einen Motorradschlauch kaufen. Wir beide hatten gerade genug Geld dafür. Gegen sechs morgens pumpten wir die Schläuche auf und zogen sie über unsere Köpfe.

Wir näherten uns der Grenze und stellten fest, dass dort sehr viel Militär mit Hunden war. Trotzdem liefen wir so schnell wir konnten auf die Grenze zu. Etwa die Hälfte meiner Kameraden wurde festgenommen. Wir wurden von der Polizei mit Gewehren beschossen. Die Geschosse waren aus Kautschuk. Mich traf eine Gummikugel am Rücken, ich dachte es wären richtige Geschosse, denn ich sah einen meiner Kameraden neben mir, der von einer Kugel getroffen worden war, umfallen. Erst als ich weiter ins Meer lief und das Salzwasser an meine Wunde kam, hatte ich heftige Schmerzen. Hinterher stellte ich fest, dass mein Rücken auch sehr anschwoll.

Wir schwammen etwa eine Stunde, dann sahen wir je ein marokkanisches und ein spanisches Schiff, die wir an den Flaggen erkannten. Die Schiffe nahmen uns auf, und ich landete auf dem spanischen Schiff. Einige unserer Kameraden waren ertrunken, später hörten wir, dass es zwölf waren. Durch eine zweite Gruppe, die ich später traf, erfuhr ich, dass auch mein Freund unter den Toten war. Das Schiff gehörte zur Guardia Civil. Wir waren zu zweit auf diesem Schiff. Sie fotografierten uns und gaben uns Kleidung und Schuhe.

Ein größerer Teil unserer Gruppe gelangte schwimmend an den Strand von Ceuta. Die restlichen lebenden Flüchtlinge wurden von dem marokkanischen Schiff aufgenommen. Unser Schiff fuhr dann in den Hafen von Ceuta. Nachdem sie uns nach unseren Namen gefragt hatten, wurden wir mit einem Wagen zur Polizei gebracht. Alle, die am Strand an Land gegangen waren, wurden auch zu dieser Polizeistation gebracht. Wir erhielten ein Papier, mit dem wir zum Flüchtlingslager gingen. Dort bekamen wir ärztliche Hilfe, Hygieneartikel und etwas zu essen.

In Abschiebehaft

Alle 59 Kameraden erhielten in einem Schlafsaal ein vollständig ausgerüstetes Doppelstockbett. Es gab in dem Schlafsaal zirka 100 Betten. Am nächsten Morgen kamen wir in eine Hütte, die aus zwei Zimmern für je zehn Personen bestand. Diese Hütten waren auch mit Doppelstockbetten ausgerüstet. Gegessen und gewaschen haben wir uns an einer zentralen Stelle. Dort blieben wir vier Monate.

Mir erklärten sie dann, dass sie mich nach Guinea abschieben wollten. Sie fesselten mich, und ich wurde mit 9 anderen zur Polizei gebracht. Dort verbrachten wir drei Tage. Es gab zu essen und zu trinken, aber wir mussten auf dem Boden schlafen, der teilweise mit Teppich bzw. Kacheln bedeckt war. Danach kam ein Bus, wir 10 wurden gefesselt in den Bus geladen und zum Hafen gefahren. Der Bus fuhr in einen Schiffsbauch. Wir blieben während der Überfahrt mit etwa sechs Polizisten im Bus.

Das Schiff fuhr nach Algeciras. Vor dem Gefängnis dort stiegen wir aus dem Bus aus. Rechts und links standen Polizisten. Man sagte uns, dass wir 60 Tage dort bleiben müssten. Uns 10 wurde ein Zimmer mit 5 Doppelstockbetten zugeteilt. Die Betten waren völlig ok. In einem zweiten Zimmer waren Duschen und Toiletten. Morgens um 8.00 Uhr wurden wir in einen Hof gelassen. Dort gab es einen Essraum, wo wir das Frühstück und das Mittagessen einnehmen konnten. Die Verpflegung war in Ordnung, deutlich besser als in Marokko. Nach dem Essen gegen 12.00 Uhr wurden wir in unserem Schlafraum eingeschlossen. Abends gegen 20.00 Uhr wurden wir zum Abendessen in den entsprechenden Saal geführt und danach wieder in der Zelle eingesperrt.

Am 33. Tag kam ein Vertreter des guinesischen Konsulats. Er erklärte mir, dass ich nach Guinea zurückkehren müsse. Ich lehnte ab. Ich wurde aufgefordert, ein Papier zu unterschreiben, dass ich freiwillig nach Guinea zurückkehre. Ich habe die Unterschrift verweigert. Nach 45 Tagen kam ein konsularischer Vertreter, der vorgab, dass er Mitarbeiter des Konsulats der Elfenbeinküste wäre. Er sagte, ich müsse an die Elfenbeinküste zurück. Ich machte ihm deutlich, dass ich nicht von dort käme. Ich zeigte ihm mein Papier, auf dem stand, dass ich aus Guinea kam. Er sagte mir, die Spanier vermuteten, dass ich von der Elfenbeinküste wäre. Ich sollte etwas unterschreiben, was ich nicht tat.

Dann wurde ich wieder in meine Zelle zurückgebracht. Am 53. Tag kam ein Vertreter des Konsulats von Mali. Er wollte mit mir in Bambara, der offiziellen Sprache Malis, sprechen. Ich sagte ihm, dass ich diese Sprache nicht spreche, sondern nur Pulaar, einen regionalen Dialekt in Guinea, und Französisch. Wir sprachen danach weiter in Französisch. Nun behaupteten die Spanier, ich stamme aus Mali. „Wenn Sie lesen können“, – und ich zeigte ihm mein Papier – „dann sehen Sie woher ich komme. Warum machen Sie solche Schwierigkeiten?“ Er entschuldigte sich mit den Aussagen der spanischen Polizei. Ich weigerte mich, ein Papier zu unterschreiben.

Im Flüchtlingslager

Dann kam ich wieder in meine Zelle. Am 57. Tag kamen zwei Polizisten mit dem Gefängnisdirektor und erklärten mir, dass man mich nun freilassen würde, bis man eine Möglichkeit fände, mich in mein Heimatland abzuschieben. Ich musste ein Papier unterschreiben, dass es sich um eine vorübergehende Freilassung handelt. Zehn Minuten später kam ein Minibus des Roten Kreuzes, der außer mir noch neun Personen aufnahm. Wir fuhren durch Veullva (in der Nähe von Sevilla) in das nahe Rote Kreuz-Flüchtlingslager in Cartaja (ebenfalls in der Nähe von Sevilla). Man erklärte uns, dass wir dort drei Monate bleiben könnten.

Wir hatten in Cartaja zu viert ein Zimmer von etwa 2,50 m x 2,50 m. Die Toiletten- und Duschanlagen sowie die Küche waren außerhalb als Gemeinschaftsanlagen. Es gab doppelstöckige Betten. Fernsehen, einen kleinen runden Tisch und vier Stühle. Wir konnten uns unsere Verpflegungsration für eine Woche aussuchen. Diejenigen, die in Spanien Freunde oder Familie hatten, konnten sich mit diesen in Verbindung setzen. Das Rote Kreuz kaufte diesen dann eine Bahnkarte und gab ihnen 50 Euro in bar, damit sie ihr Ziel erreichen konnten. Ich blieb ganz alleine zurück.

Nach Ablauf der drei Monate erklärte man mir, dass ich nun das Lager verlassen müsste, meine Zeit sei vorbei, und neue Flüchtlinge würden kommen. Man fragte mich, wohin ich gehen wolle und ich sagte, „nach Madrid.“ Auch ich bekam eine Busfahrkarte und 50 Euro. Gegen 19.00 Uhr fuhr ich mit dem Bus ab und kam mitten in der Nacht in Madrid an. Ich schlief am Busbahnhof. Am nächsten Tag irrte ich in Madrid umher, denn mir war ja alles fremd, bis ich gegen Abend in dem Stadtteil El Poso landete. Dort sah ich Afrikaner, mit denen ich Kontakt aufnahm. Ich erzählte ihnen, dass ich aus dem Flüchtlingslager des Roten Kreuzes käme und keine Familie in Spanien hätte. Auch sie waren obdachlos und schliefen unter provisorischen Zelten in einem Park. Sie erlaubten mir, vor ihren Zelten zu schlafen. Morgens habe ich mir von den 50 Euro etwas zu essen gekauft. Es blieben mir etwa 44 Euro.

Ich blieb dort, bis ich kein Geld mehr hatte. Das war etwa eine Woche. In der Nähe war ein Becken, worin ich oft Hunde sich abkühlen sah. Da ich keine andere Waschmöglichkeit hatte, wusch ich mich und meine Kleider bis auf die Unterhose in diesem Becken. Die neuen Schuhe, die ich vom Roten Kreuz erhalten hatte, verkaufte ich für 20 Euro. Mir blieben nur ein paar alte zerrissene Schuhe. Ich konnte so noch drei Tage weiterleben. Ich versuchte mich mit Betteln über Wasser zu halten. Die meisten hatten zwar Mitleid mit mir, erklärten mir jedoch, dass sie sich wegen Arbeitslosigkeit in einer ähnlichen Lage befänden. Gelegentlich gab es jemand, der mir etwas zu essen gab, was aber keineswegs ausreichend war. Vor allem lebte ich von Essbarem, das ich aus Mülltonnen holte.

Nach Deutschland

So lebte ich etwa zwei Wochen. Eines Morgens traf ich einen Senegalesen, dem ich meine Situation erklärte und ihm sagte, dass ich Spanien verlassen wolle. Da er selbst minderjährige Kinder hatte, hatte er Mitleid und bot mir an, für mich ein Busticket nach Deutschland zu kaufen. Er kaufte das Ticket und etwas zu essen. Ich stieg in einen Bus der Eurolines ein. An der holländischen Grenze wurde der Bus von der deutschen Polizei angehalten. Sie weckte mich und verlangte meinen Pass. Ich musste mit ihnen aussteigen. Ich musste in den Polizeiwagen einsteigen, und sie brachten mich zu einer Polizeiwache. Ich erklärte ihnen, dass ich noch minderjährig wäre. Ich musste in der Polizeizelle in einem Bett mit Decke schlafen. Außerdem gaben sie mir zu essen und zu trinken. Am nächsten Morgen machten sie ein Foto von mir und nahmen mir Fingerabdrücke ab. Sie sagten, ich müsste jetzt nach Holland zurück, da ich von dort gekommen wäre. Ich erklärte ihnen, dass ich aus Spanien gekommen sei. Die Polizisten brachten mich mit zwei anderen zur holländischen Grenze. Dort wurden wir der holländischen Polizei übergeben. Wir wurden in ein holländisches Polizeiauto verfrachtet und stiegen alle an einer Polizeistation aus. Von uns allen wurden Fingerabdrücke gemacht, und wir wurden fotografiert.

Ich wurde danach von zwei Polizisten zum Flughafen in Amsterdam gebracht. Vorher hatte man uns zu essen und zu trinken gegeben. Ich wurde in einen Raum zur Deportation gebracht. Außer mir waren dort noch zwei weitere Flüchtlinge (ein Libyer und ein Chinese). Dort blieb ich zwei Tage. Es gab zu essen und zu trinken, und wir hatten doppelstöckige Betten mit Decken. Ich musste dann einem Polizisten meine Fluchtgeschichte schildern. Ich wurde gefragt, ob ich Asyl beantragen wolle, was ich bejahte. Er gab mir ein Tagesticket für Amsterdam und die Adresse, wo ich Asyl beantragen könnte. Ich wurde mit einem Polizeiwagen zum Bahnhof gebracht. Sie sagten mir auch noch, welchen Zug ich nehmen müsste. Ich stieg ein, aber ich wusste nicht, wo ich aussteigen musste.

An der Endstation stieg ich aus und fragte jemand. Ich erfuhr, mit welchem Zug ich sieben Stationen zurückfahren musste. Ich stieg an der richtigen Station dann aus. Ich musste nun einen kleineren Zug nehmen. Ein Passant erklärte mir, welchen und sagte mir auch, dass ich an der fünften Station aussteigen müsste. Dann fragte ich wieder einen Passanten, der mir sagte, welchen Bus ich nehmen und wo ich aussteigen sollte. Es war die letzte Station, und dann war ich in Emmel. Anschließend musste ich einen Kleinbus bis Ter-Apel nehmen.

Schließlich kam ich dort an. Dort gab es nur das Asyl-Center, keine anderen Gebäude. Ich zeigte das Papier vor, das die holländische Polizei mir gegeben hatte. Es wurden wieder Fingerabdrücke und Fotos gemacht. Danach wurde ich aus dem großen Gebäude hinausgeführt und in eines der kleinen Häuser gebracht, in denen die Flüchtlinge schlafen konnten. Es gab für jeweils vier Flüchtlinge einen Raum mit Doppelstockbetten mit Decken. Zu dem Raum gehörte ein kleines Bad mit Toilette. Es gab einen großen Essraum, wo für uns morgens, mittags und abends das Essen bereitet wurde.

Viele Interviews

Ich blieb dort exakt drei Monate. Da dies völlig auf dem Lande war, konnten wir nur spazieren gehen. Während der drei Monate wurde ich dreimal interviewt. Man stellte mir die gleichen Fragen, und ich konnte erklären, warum ich gekommen war. Beim dritten Interview erklärte man mir, dass ich nach Spanien zurückkehren müsste, aber das Recht hätte, einen Rechtsanwalt auf ihre Kosten zu kontaktieren. Der Rechtsanwalt kam in das Flüchtlingslager und interviewte mich. Ich musste mich nun, um die Entscheidung abzuwarten, an einen anderen Ort begeben. Sie kauften mir ein Ticket und ich fuhr mit dem Bus nach Groningen. Ich fragte einen Passanten, wie ich nach Delfzijl käme, das war der Ort, den mir die Polizei angegeben hatte. Er sagte mir: „Warte zehn Minuten, dann kommt der Bus“.

Ich ging, nachdem ich mich informiert hatte, zu der angegebenen Adresse. Das war wiederum ein Flüchtlingszentrum. Ich zeigte meine Papiere, die ich erhalten hatte. Mir wurde in einem kleinen Zimmer für zwei Personen ein Schlafplatz zugewiesen. Für jeweils acht Personen gab es ein Bad und eine Küche. Ich bekam 60 Euro, um mir etwas zu essen für eine Woche einzukaufen, danach gab es 50 Euro pro Woche. Einmal pro Woche dienstags musste man in einem Büro erscheinen, wo an Hand der Fingerabdrücke geprüft wurde, wer dort war und wer nicht.

Ich blieb etwa einen Monat. Dort erhielt ich auch einen Brief meines Rechtsanwaltes, der mir erklärte, dass er nichts für mich tun könnte und ich nach Spanien zurück müsste. Am nächsten Morgen kam die Polizei und brachte mich gefesselt nach Groningen ins Gefängnis. Am darauf folgenden Morgen kam wiederum die Polizei, und ich wurde in einen völlig abgeschlossenen Polizeiwagen gepackt, so dass ich gar nicht wusste, wo ich war. Ich wurde ins Gefängnis nach Rotterdam gebracht. In einer ganz kleinen Zelle waren wir zu 2 Personen. Die Toilette und das Waschbecken waren direkt neben dem Bett. Mein Zimmergenosse war ein Afrikaner aus Sierra Leone, der auch abgeschoben werden sollte.

Schlecht verpflegt

Die Verpflegung während meines zehntägigen Aufenthalts war schlecht. Morgens und abends gab es Brot und Milch, mittags ein nicht zu definierendes Essen, das ich nicht vertrug. Ich musste mich jedes Mal übergeben. Als ich das bei einem Gefängniswärter sagte, erwiderte er, dass ich keine Wahl hätte, außer es zu essen oder es bleiben zu lassen. Am zehnten Tag kamen zwei Polizisten in meine Zelle. Sie forderten mich auf zu unterschreiben, dass ich nach Spanien zurückkehren wolle. Ich lehnte ab. Ich wurde wieder an den Händen gefesselt, und sie nahmen mich mit. Ich wurde mit einem anderen Flüchtling in einen Minibus geschoben. Zwei Polizisten saßen neben uns, zwei Polizisten vorne. Auch hier konnte ich nicht sehen, wohin es ging.

Wir kamen schließlich am Flughafen Amsterdam an. Ich sollte wieder unterschreiben, was ich wiederum ablehnte. Dann nahmen mich zwei Polizisten in Zivil in die Mitte. Wahrscheinlich um kein Aufsehen zu erregen, nahm man mir die Fesseln ab. Sie brachten mich ins Flugzeug. Die Polizisten stellten sich an der Bordtür auf, um zu verhindern, dass ich fliehen konnte. Das Flugzeug landete in Madrid. Während die Passagiere vorne ausstiegen, wurde ich von zwei uniformierten Polizisten gezwungen, den Hinterausgang zu benutzen. Ich hätte den Passagieren folgen können, aber die Polizei hätte mich ja auch dort ergreifen können, und ich hätte noch nicht einmal mein geringes Gepäck wiederbekommen.

Die beiden Polizisten brachten mich zum Roten Kreuz. Es gab dort ein Hotel „Welcome“ für Flüchtlinge. Ich bin dort nur vier Tage geblieben, weil ich wusste, dass ich in Kürze diesen Ort wieder verlassen musste, weil neue Flüchtlinge kommen würden. Ich bin daraufhin zum Bahnhof gegangen, und da ich wusste, wie schwierig es ist, in Spanien zu überleben, wollte ich von den 120 Euro, die mir aus Holland geblieben waren, einen Busfahrschein nach Deutschland kaufen. Da ich wusste, dass Eurolines einen Pass fordert, wenn man ein Ticket kauft, bat ich einen Algerier, für mich ein Ticket nach Dortmund zu kaufen. Er nahm mir 100 Euros dafür ab.

In Dortmund

Kurz vor der deutschen Grenze stiegen viele an einer Haltestelle aus. Es waren dann noch elf Personen im Bus. Zehn Personen saßen ganz vorne, ich saß hinten in der letzten Sitzreihe. Der Fahrer bat uns, wegen der anstehenden Kontrolle die Pässe bereit zu halten. Ich versteckte mich am Boden zwischen der letzten und vorletzten Sitzreihe. Die Polizisten kamen in den Bus, kontrollierten die zehn Personen, und da sie niemand anderes mehr sahen, verließen sie den Bus.

Wir kamen in Dortmund am Bahnhof an. Ich stieg aus und fror schrecklich. Da das nicht auszuhalten war, ging ich auf zwei Polizisten zu, die beachteten mich nicht. Kurze Zeit später kam noch einmal ein Polizist. Ich fragte ihn, ob er mir einen Kaffee spendieren könnte. Er erwiderte, er spräche kein Französisch und ging weiter. So harrte ich die ganze Nacht dort aus.

Am Morgen kam ein Afrikaner des Wegs, und ich fragte ihn, wo man einen Asylantrag stellen könnte. Er sagte mir, das sei nicht allzu weit, aber man müsse die U-Bahn nehmen. Ich löste für mich den Fahrschein und entwertete ihn. Er sagte mir, welche Linie ich nehmen müsse und dass ich an der letzten Station Hacheney aussteigen solle.

Vor dem Zentrum standen Polizisten, die ich auf Französisch ansprach. Sie gaben mir zu verstehen, dass sie nur Englisch konnten. Ich spreche es nur ein wenig. Sie fragten nach meinem Pass oder meinem Personalausweis, was ich verneinen musste. Ich konnte mich jedoch insoweit verständlich machen, dass ich Asyl beantragen wollte. Sie fragten mich nur, aus welchem Land ich käme. Mir wurde ein Schlafplatz zugewiesen. Ich blieb dort nur drei Tage, weil die Dortmunder Erstaufnahmestelle völlig überfüllt war.

Wir wurden mit zwei Bussen nach Unna in ein großes Lager gefahren. Wir hatten dort sogar das Recht, unsere Zimmergenossen auszusuchen. Wir waren zu dritt in einem Zimmer. Es war alles in Ordnung, auch in Bezug auf Sanitärräume und das Essen. Einige Tage später wurden wir geröntgt. Insgesamt blieb ich dort 28 Tage. Dann wurden wir mit einem Taxi nach Dortmund gefahren. Dort wurde ich in derselben Einrichtung wieder aufgenommen. Nach einigen Tagen nahm man mir Fingerabdrücke ab und machte Fotos. Ich war nur etwas mehr als eine Woche in Dortmund, dann wurde ich mit ungefähr 30 anderen Flüchtlingen mit einem Bus nach Schöppingen gefahren. Ich blieb dort etwa zehn Tage. Die Situation dort war durchaus akzeptabel.

Nach Buxtehude

Danach wurde ich mit zehn Personen nach Buxtehude gebracht. Ich erhielt 30 Euro. Nur ich musste in Buxtehude aussteigen. Man zeigte mir das Sozialamt. Ich bekam eine Monatsfahrkarte. Ein Mitarbeiter brachte mich dann mit seinem Wagen in einen Vorort, drei Kilometer von Buxtehude entfernt. Man wies mir einen Schlafplatz in einem Zimmer für fünf Personen zu, und ich erhielt von dem Mitarbeiter des Sozialamtes 315 Euro für einen Monat. Die Bedingungen dort waren durchaus annehmbar.

Ich blieb ein Jahr und sieben Monate in Buxtehude. Während dieser Zeit musste ich nach Nürnberg fahren, um dort meinen Asylantrag zu stellen. Per Brief wurde mir mitgeteilt, dass mein Asylantrag abgelehnt sei und ich nach Spanien zurück müsse.

Informationen

Mohamed Doré befindet sich immer noch in Deutschland. Sein illegaler Aufenthalt wird von kirchlichen Hilfsgruppen unterstützt.

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Mohamed Doré

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