In einem weit ausgreifenden Szenario beschreibt Ulrich Duchrow, wie von Griechenland über Persien bis nach Indien und China in der Achsenzeit zwischen dem achten und zweiten Jahrhundert v. Chr. bis dahin existierende gesellschaftliche Solidaritäten zerbrachen und sich das Denken und Fühlen der Menschen änderte. Geld und Privateigentum drangen in das Leben der Menschen ein und führten zu Spaltungen zwischen Arm und Reich. Die Gier hat seitdem die westliche Zivilisation durchtränkt. Duchrows aufregende These lautet: "Die religiösen, spirituellen und rechtlich-institutionellen Innovationen der Achsenzeit sind zu verstehen als Antworten auf die gefährlichen gesellschaftlichen und menschlichen Entwicklungen, die mit der Verbreitung der Geld-Privateigentums-Wirtschaft verbunden waren."
Die biblische Prophetenkritik und die Tora geben wie der Buddhismus, die chinesischen Religionen, der Islam und die alten Philosophien eine erstaunlich gleiche Antwort auf diesen Epochenbruch. Hans Küng hatte bereits vor über zwanzig Jahren in seinem "Projekt Weltethos" auf gemeinsame ethische Weisungen der Weltreligionen aufmerksam gemacht. Duchrow hat Küngs idealistischen Ansatz eines Weltethos aber vom Kopf auf die Füße gestellt. Er verortet nämlich die gemeinsame Ablehnung von Gier und den konvergierenden spirituellen Gegenentwurf im konkreten geschichtlichen Kontext der Achsenzeitreligionen.
Das hat weitreichende Folgen: Mit ihrem Einspruch gegen die sich ausbreitende Geld-Privateigentums-Wirtschaft antworten die Achsenzeitreligionen und die alten Philosophien nicht auf Probleme einer vergangenen antiken Welt, sondern auf Vorstufen einer Zivilisation und Wirtschaft, die sich nunmehr in der Gegenwart voll entwickelt haben und das Leben der ganzen Erde in eine bedrohliche Krise geführt haben. Die Gier der Banker heute ist deshalb auch kein moralisches Defizit und kann auch nicht allein moralisch-ethisch kritisiert werden: Sie hat ihre Wurzeln in der Geld-Privateigentums-Wirtschaft, die sich heute zu einer lebensbeherrschenden und lebensdrohenden "Kultur der Gierökonomie" ausgewachsen hat.
Die gegenwärtige Finanzkrise ist deshalb ein Ausdruck dieser jahrtausendealten Zivilisation. Gier und Profitdenken beherrschen die Köpfe. Weltweit entstehen Widerstandsbewegungen auch in Gestalt von Befreiungstheologien im Christentum, dem Islam und dem Buddhismus, die den Ursprungsimpuls ihrer spirituellen Traditionen aufgreifen. Ausführlicher und modifiziert dargestellt sind diese Überlegungen auch in dem von Ulrich Duchrow und Franz Hinkelammert gemeinsam verfassten englischen Buch "Transcending Greedy Money" (New York 2012). Ulrich Duchrow formuliert ein neues Paradigma für das Zusammenleben der Menschen und begründet eine befreiungstheologische Ökumene der Religionen aus ihren Ursprüngen heraus. Diese Ökumene sucht nach einer Welt, in der Platz für alle ist und alle eine Lebensgrundlage in Harmonie mit der Natur haben. Von ihren Ursprungsansätzen finden die Religionen zu einer wirklich radikalen Kritik des destruktiven Finanzkapitalismus und können Träger einer Gegen-Kultur des Lebens werden, welche die "Kultur der Gier" überwinden kann.
"Gieriges Geld" ist eine zutreffende und brillante Analyse und Kritik der westlichen Zivilisation, die sich globalisiert hat. Die gegenwärtige Wirtschaftskrise, die zunehmende Verarmung der Vielen und Bereicherung der Wenigen drängen auf eine entschlossene Strategie gegen die Gier, die weltweit zu eNot, Elend und Exklusion der Armen führt. Ulrich Duchrows Buch ist eine hoffnungsstiftende Botschaft: Eine andere Welt ist möglich - eine neue Achsenzeit ist nötig.
Ulrich Duchrow: Gieriges Geld. Auswege aus der Kapitalismusfalle. Befreiungstheologische Perspektiven. Kösel Verlag, München 2013, 287 Seiten, Euro 19,99.
Franz Segbers
Franz Segbers
Dr. Franz Segbers ist Prof. em. für Sozialethik am Fachbereich Evangelische Theologie der Universität Marburg.