Kurzsichtig

Energieversorgung in 200 Jahren
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Laughlin, der an der US-Eliteuniversität Stanford Physik lehrt, liefert ein interessantes Gedankenexperiment, das stark bei den physikalischen Grundlagen und Innovationen ist – aber seine Schwächen bei den Fragen von politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Energiepolitik zeigt.

Einem Nobelpreisträger widerspricht man nicht so einfach. Und wenn er, wie Robert Laughlin, diese Auszeichnung in Physik bekommen hat und ein Buch über "Die Zukunft der Energie" schreibt, ist man auf profunde Gedanken zum Thema gespannt. Aber um es gleich zu sagen: Der Leser wird enttäuscht werden. Laughlin, der an der US-Eliteuniversität Stanford Physik lehrt, liefert ein interessantes Gedankenexperiment, das stark bei den physikalischen Grundlagen und Innovationen ist – aber seine Schwächen bei den Fragen von politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Energiepolitik zeigt.

Die Ausgangsfrage von "Der Letzte macht das Licht aus" ist durchaus interessant: Wie sieht die Energieversorgung in 200 Jahren aus? Der Autor geht davon aus, dass zu diesem Zeitpunkt alles Öl, Gas und alle Kohle verfeuert sein werden. Woher sollen dann Strom und Treibstoff kommen? Laughlin nimmt den Leser mit in eine Welt, in der billiger Atomstrom mit der Solarenergie um die Vorherrschaft streitet, wo Strom spottbillig und Treibstoff aus Kohlenstoff sehr teuer ist. Die Menschen wollen weiter warm wohnen, sich fortbewegen und essen und sind nicht bereit, sich einzuschränken, so Laughlins Ansicht. Er seziert mit dem geübten Blick des Experten die physikalischen Grenzen und politischen Limits der anderen Energieformen: Wind ist ihm nicht verlässlich, Biomasse konkurriert mit der Ernährung um Flächen, Solar ist zu teuer. Da bleibt nur die Atomkraft, die am Ende des Urans in den Plutonium-Kreislauf einsteigt und überall Brüter-Atomkraftwerke betreibt.

Spannend ist Lauhglin überall dort, wo er als Science-Experte seine Fiction betreibt: Von Robotern, die Geothermie in der Tiefsee ernten, von unterseeischen Energiespeichern und der Ökonomie der Überlandleitung, wo er physikalische Gesetze nachvollziehbar erklärt und eindrucksvoll mit Zahlen jongliert: Etwa der, dass beim alljährlichen Abschmelzen und Einfrieren der Hudson Bay in Kanada mehr Energie frei gesetzt wird als unsere gesamte Zivilisation verbraucht.

Die Schwäche des Buches, man wagt es bei einem Nobelpreisträger kaum zu sagen, ist sein eingeschränkter Horizont. Er geht davon aus, dass das Verbrennen aller fossilen Treibstoffe unsere Atmosphäre nur gering belasten wird – wo Klimaforscher der Meinung sind, schon weit vorher werde unsere Zivilisation unter den sozialen Folgen des Klimawandels kollabieren. Er übernimmt ungeprüft die Idee, Atomkraft sei billiger als andere Energieformen, ohne die Subventionen und Folgekosten aufzurechnen. Er bunkert sich in seiner US-Sicht der Dinge ein, dass Effizienzgewinne letztlich nicht viel bringen, dass reiche Gesellschaften notwendig Energie verschwenden, dass Menschen nicht zur Veränderung bereit sind – und dass die Politik hilflos ist. Dass Energiepolitik eben auch immer Politik ist, die sich durch Wähler beeinflussen lässt und die wirtschaftliche Dynamik verändern kann – wie es die Entwicklung in Deutschland und anderen Ländern zeigt – entgeht Laughlin. Das Buch klärt auf, aber es verwirrt auch: Während der Klappentext davon spricht, dass die "Energiekrise kommt, und schrecklich sein wird", schreibt er im Text ganz beruhigend, dass das Ende der fossilen Energien "hinreichend langsam" kommen werde, dass die Menschheit "die Krise ohne Schaden übersteht".

Den größten Fehler aber macht der Autor, wenn er die Probleme des Jahres 2212 mit den Techniken und Ideen von 2012 lösen will. Niemand weiß, wie die Energielandschaft in 200 Jahren aussehen wird, welche Erfindungen gemacht wurden, welche politischen Rahmenbedingungen gelten und wie die Menschen dann leben werden. Auch, wenn man konservativ rechnet: Beim rasanten Tempo der technologischen Entwicklung (und des Klimawandels) müsste vielleicht gerade ein Quantenphysiker wie Laughlin die Möglichkeit für Quantensprünge in der Entwicklung zumindest ansprechen. Das wird klar, wenn man mit Laughlins Fernrohr in die Zukunft einmal in die Vergangenheit blickt: Vor 200 Jahren, 1812, steckte die industrielle Revolution noch in den Anfängen, in den USA herrschte noch fünfzig Jahre die Sklaverei. "Der Letzte macht das Licht aus" zeigt bei all den technischen Visionen eine erstaunliche politische und soziologische Kurzsichtigkeit.

Bernhard Pötter

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Foto: Privat

Bernhard Pötter

Bernhard Pötter ist Journalist und Buchautor. Seine Schwerpunkte sind die Themen Klima, Energie und Umweltpolitik.


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