Christlicher Maßanzug?

Warum der Islam in Deutschland eine Religionsgemeinschaft im Werden ist
Islamischer Religionsunterricht an einer Grundschule in Ludwigshafen. Foto: dpa/Ronald Wittek
Islamischer Religionsunterricht an einer Grundschule in Ludwigshafen. Foto: dpa/Ronald Wittek
Im November hat das Land Hamburg mit verschiedenen muslimischen Verbänden einen Vertrag geschlossen, in dem sie diese Verbände als Religionsgemeinschaft anerkennt. Welche Auswirkungen das hat, zeichnet der katholische Staatskirchenrechtler Ansgar Hense nach.

Immer wieder wird der grundgesetzlichen Ordnung von Staat und Religion vorgehalten, dass sie ein Reservat für kirchliche Monopolansprüche sei. Deutlich werde das daran, dass sich viele muslimische Akteure nicht auf verfassungsrechtliche Gewährleistungen berufen könnten, die den so genannten Religionsgesellschaften und den Religionsgemeinschaften vorbehalten sind. Ungeachtet dessen wird muslimischen Verbänden - wie der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB - die Abkürzung folgt der türkischen Bezeichnung) oder dem Verband der Islamischen Kulturzentren e.V., Köln (VIKZ) - entgegengehalten, dass sie nicht den Anforderungen genügten, die das Grundgesetz voraussetzt, damit diese Verbände als Religionsgesellschaft qualifiziert werden können.

Die vermeintliche Crux der deutschen Rechtsordnung liegt darin, dass es anders als in Österreich kein gesondertes Verfahren gibt, um die institutionell-organisatorische Seite von Religion zu prüfen und dann staatlicherseits anzuerkennen. Nicht selten werden Rechtsfragen, die mit dem religionsverfassungsrechtlichen Schlüsselbegriff "Religionsgesellschaft" oder "Religionsgemeinschaft" zusammenhängen, wobei zwischen beiden Begriffen kein verfassungsrechtlicher Unterschied besteht, mit Rechtsproblemen des Körperschaftsstatus von Religionsgesellschaften nach Artikel 140 Grundgesetz/Artikel 137 Absatz 5 Weimarer Verfassung (WRV) vermengt. Zwischen beidem ist sorgfältig zu unterscheiden.

So ist die Wahrnehmung des religionsgemeinschaftlichen Selbstbestimmungsrechts (Art. 140 GG/137 Abs. 3 WRV) oder die verfassungsrechtliche Gewährleistung der Anstaltsseelsorge (Art. 140 GG/141 WRV) nicht auf Religionsgemeinschaften beschränkt, die durch staatlichen Akt Körperschaften des öffentlichen Rechts geworden sind. Streng gebunden an den Körperschaftsstatus ist aber das Steuererhebungsrecht der Religionsgemeinschaften (Art. 140 GG?/137 Abs. 6 WRV), also der Einzug der Kirchensteuer.

Scheinbarer Irrgarten

Was auf den ersten Blick als Irrgarten des deutschen Religionsverfassungsrechts erscheinen will oder als Maßanzug für christliche Kirchen ausgegeben wird, lässt sich durchaus transparenter machen. Gleichwohl sind Rechtsnormen nicht voraussetzungslos oder Ausdruck von Beliebigkeit. Vielmehr können die Rechtsfolgen nur dann eintreten, wenn es sich wirklich um eine Religionsgemeinschaft/-gesellschaft im Verfassungssinne handelt.

Dass dies bei den verschiedenen muslimischen Verbänden durchaus unterschiedlich gesehen wird, wird zum einen an der Einführung des Faches "Islamischer Religionsunterricht" in Nordrhein-Westfalen und zum anderen durch den unter dem 13. November 2012 geschlossenen Vertrag zwischen der Freien und Hansestadt Hamburg und verschiedenen muslimischen Verbänden wie dem DITIB-Landesverband Hamburg e.V., SCHURA - Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V. sowie dem VIKZ deutlich. Während Paragraph 132a Schulgesetz NRW ausdrücklich davon ausgeht, dass bis jetzt kein muslimischer Akteur als Religionsgemeinschaft qualifiziert werden kann, "anerkennt" der Hamburger Vertrag alle drei Verbände als Religionsgemeinschaft.

Überblicksmäßig geht es um Folgendes: Was ist eine Religionsgesellschaft/-gemeinschaft Worin unterscheidet sie sich von anderen religiösen Akteuren und weshalb spielt diese Qualifikation überhaupt eine Rolle? Wer oder was ist DITIB und lässt sich dieser eingetragene Verein als Religionsgemeinschaft qualifizieren?

Es ist vielleicht mehr als eine Verlegenheitslösung gewesen, dass der Verfassungsgeber schon 1919 mit dem Begriff Religionsgesellschaft eine Kategorie verwendete, die a priori auch anderen, nichtchristlichen Religion offensteht. "Die Rechtsform der Religionsgesellschaft war die neutrale äußere Arbeitskleidung, die der Staat allen Religionsgemeinschaften für ihren Dienst in dieser Welt zur Verfügung stellte, um klare und entspannte Rechtsbeziehungen mit ihm und unter sich aufzubauen", so der Staatskirchenrechtler Martin Heckel. Diese Funktion als Rahmenbegriff kann sie auch heute noch prinzipiell erfüllen.

Der Begriff wäre missverstanden, wenn er mit der Forderung nach "Verkirchlichung" verbunden würde. Vielmehr basiert er auf der Grundannahme, dass Religion nicht bloß eine freischwebende religiöse Dauerreflexion ist, sondern auch der institutionell-organisatorischen Stabilisierungsfaktoren bedarf, die den religiös-theologischen Sinngehalt auf Dauer stellen und repräsentieren können. Dies ist umso mehr nötig, als es mit der Grundstruktur des freiheitlich orientierten Religionsverfassungsrechts nicht vereinbar ist, dass der Staat religiöse Inhalte vorgibt oder bewertet. Dies widerspricht seiner religiös-weltanschaulichen Neutralität. Der Staat muss seinen religiös-weltanschaulichen Kompetenzmangel nach Meinung des Rechtswissenschaftlers Alexander Hollerbach dadurch ausgleichen, dass er mit den Religionsgesellschaften zusammenarbeitet und ihnen die Definitionskompetenz für religiös eigene Sinnfüllungen nach dem je eigenen religiösen Selbstverständnis zubilligt.

Der Religionsunterricht kann als Unterrichtsfach, das nur in religionsbezogener Gebundenheit denkbar ist, soll es nicht zur bloßen Religionskunde mutieren, nur dann im Sinn des Art. 7 Abs. 3 GG Realität werden, wenn ein religiös kompetenter Ansprechpartner dem Staat gegenüber steht.

Als klassische Definition wird auch heute noch die Definition des Weimarer Staatsrechtlers Gerhard Anschütz herangezogen: "'Religionsgesellschaft' ist ein die Angehörigen eines und desselben Glaubensbekenntnisses - oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse [...] - für ein Gebiet (Land, Teile eines Landes, mehrerer Länder, das Reichsgebiet) zusammenfassender Verband zu allseitiger Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben." Das Merkmal der umfassenden Religionspflege soll sicherstellen, dass es sich nicht bloß um einen Verein mit vereinzelten religiösen Zwecksetzungen handelt, vielmehr muss das Religiöse der Zweck schlechthin sein. Es ist demnach eine religionsverfassungsrechtliche Obliegenheit von religiösen - oder auch weltanschaulichen - Akteuren, dass sie sich dem "Prozess der 'Verkorporierung' als Bringschuld" (Hans Michael Heinig) stellen, wenn sie an den religionsverfassungsrechtlichen Gewährleistungen partizipieren wollen.

Dies schließt nicht aus, dass es auf örtlichen Gemeinschaften aufruhende Dachverbandsstrukturen gibt. Dies hat eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2005 zu muslimischen Verbänden ausdrücklich dargelegt. Diese Dachverbandsstrukturen sollten aufgabenmäßig so beschaffen sein, dass sie nicht auf bloße organisatorische Koordinierungsaufgaben beschränkt sind, sondern über hinreichende Zuständigkeiten und Befugnisse zur religiösen Repräsentation des religiösen Selbstverständnisses verfügen. Schließlich muss eine Religionsgemeinschaft auf einem personalen Substrat beruhen; für Nichtmitglieder kann sie eigentlich nicht sprechen. Ob und inwieweit es ausreichen mag, dass bestimmte Personen lediglich einer Religionsgemeinschaft - ohne formale Mitgliedschaft - zurechenbar sind, ist eine immer wieder diskutierte Problematik. Auch dieses Kriterium setzt letztlich eine belegbare Eindeutigkeit voraus, die sich einer Mitgliedschaft zumindest annähert.

All diese rechtlichen Voraussetzungen und ob sie tatsächlich erfüllt werden, hat der Staat zu prüfen, so dass es für Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Religionsgemeinschaft nicht auf das Selbstverständnis des Betroffenen ankommt; der Betroffene hat über den Rahmenbegriff keine Definitionskompetenz. Darüber hinaus ist allein der Umstand, dass dem Islam solche Organisationsformen fremd sind, nicht entscheidend. Die weltliche Rechtordnung kann und darf insofern einen sanften Erwartungsdruck ausüben, der aber - dies zeigt das Beispiel katholische Kirche und deren früher eher anstaltliches Organisationsverständnis - ohne Verlust religiöser Substanz durchaus erfüllbar und zumutbar ist.

Von Verfassungswegen ist es demnach a priori nicht ausgeschlossen, dass Organisationen von Religionen, die dem deutschen Kulturkreis vielleicht in einem beschreibenden Sinn "fremd" sind, Religionsgemeinschaften sind oder zumindest werden können. Vor Abschluss der eingangs erwähnten Hamburger Verträge sind einige Fragen in diesem Zusammenhang gutachterlich vom Staatskirchenrechtler Heinrich de Wall und der Religionswissenschaftlerin Gritt Klinkhammer für verschiedene muslimische Verbände untersucht worden, wobei der Religionsgemeinschaftscharakter der Alevitischen Gemeinde als unstreitig gilt.

Besondere Aufmerksamkeit erfährt immer wieder DITIB angesichts seiner Rückbindung an die türkische Religionsbehörde Diyanet. Diese enge Beziehung zwischen DITIB und der Türkei ist eingehend in einer Promotionsarbeit von Aysun Yasar aus dem Jahr 2012 untersucht worden. Der Verband DITIB weist eine dreigliedrige Struktur auf: der Dachverband auf Bundesebene (Sitz in Köln), 15 Landesverbände und nahezu 900 DITIB-Gemeinden. Die Crux hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals personales Substrat besteht darin, dass mitnichten sämtliche Muslime - einer bestimmten religiösen, nicht selten durch den Herkunftslandbezug vorgeprägten Richtung - dann auch Mitglied in diesen Gemeinden werden. Zwar muss eine Religionsgemeinschaft nicht alle Gläubigen eines Gebiets umfassen, aber muslimische Organisationen sind nicht selten dadurch geprägt, dass nur ein Familienmitglied "für die Familie" förmliches Mitglied ist.

Eine weitere Problematik liegt insbesondere bei den DITIB-Landesverbänden darin, dass sie als Unterorganisation des Bundesverbandes wohl nicht unerheblichen, satzungsmäßig abgesicherten Einflussmöglichkeiten der türkischen Religionsbehörde ausgesetzt sind. Prinzipiell ist es für die religionsgemeinschaftbezogenen Rechtsgewährleistungen aber unabdingbar, dass diese Ausdruck religiöser Selbstbestimmung sind und entsprechend wahrgenommen werden; Einflussmöglichkeiten ausländischer Staaten sind nicht denkbar, und der Vergleich mit der katholischen Kirche und dem Heiligen Stuhl als Völkerrechtssubjekt geht fehl.

Vorstehend konnten nur die rechtlichen Voraussetzungen und einige offene Fragen, ob DITIB schon tatsächlich eine Religionsgemeinschaft ist oder erst eine Religionsgemeinschaft im Werden, lediglich angedeutet werden. Die Hamburger Verträge haben für dieses Bundesland eine Entscheidung getroffen, über deren föderalen Folgewirkungen sicherlich jetzt kontrovers diskutiert werden wird.

Literatur

Aysun Yasar: Die DITIB zwischen der Türkei und Deutschland. ErgonVerlag, Würzburg 2012, 256 Seiten.

Zu den Gutachten

Ansgar Hense

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