In den Konzertsälen hat sich der Steinway-Flügel heute als Standard durchgesetzt. Man erzählt sich gar, manche Plattenfirmen bestünden darauf, dass die bei ihnen unter Vertrag stehenden Pianistinnen und Pianisten nur mit einem Steinway auftreten. Liegt es an den Erwartungen des Publikums? Diese These vertritt der Pianist und Dirigent András Schiff und dehnt sie auch auf die Musikkritik aus: Die Hörgewohnheiten seien "ziemlich einseitig. Vorurteile dominieren. Neugierde fehlt". Dabei sei der Steinway beileibe nicht für jede Musik die geeignete Lösung. Mozart, Beethoven und Schubert verlangten viel mehr als dessen "Kraft, Glanz und Objektivität".
Nun hat Schiff etwas Ungewöhnliches getan. Auf seiner neuen CD widmet er sich Beethovens Diabelli-Variationen, einem bisher oft übersehenen und nicht sonderlich gern aufgeführten Werk aus der letzten Schaffensphase des Meisters. Zu anspruchsvoll, zu sperrig, zu voluminös lauten gängige Vorwürfe. Schiff sieht das anders. "Es gibt kein zweites Werk, das so viele Facetten seines Genies aufweist", sagt er zu den "33 Veränderungen über einen Walzer von Anton Diabelli".
Der Ungar spielt die gut fünfzig Minuten gleich zweimal: Einmal auf einem modernen Konzertflügel, einem Bechstein von 1921, und einmal auf einem originalen Brodmann-Hammerflügel, der hundert Jahre älter ist und damit ein Zeitgenosse von Beethovens späten Kompositionen. Die CDs werden ergänzt durch die Klaviersonate op. 111 und die Bagatellen op. 126, Beethovens letztes Klavierwerk.
Der klangliche Vergleich der Aufnahmen ist faszinierend. Einerseits die volle, ausgeglichene Klangpracht des Konzerflügels, andererseits die durchsichtigere, in den Lagen verschiedenartige Charakteristik des Hammerklaviers. Was besser klingt? Die Antwort ist wohl eine Geschmacksfrage; Der Autor tendiert zum Hammerflügel und wundert sich, dass er so sehr aus den Aufnahmestudios und Konzertsälen verdrängt werden konnte.
Auch musikalisch seien Freunden der Klaviermusik diese CD’s wärmstens ans Herz gelegt. Beethoven oszilliert in den drei Werken zwischen Verneigungen vor dem Barock und der Frühklassik (besonders seinem Idol Mozart), kommt mal typisch daher und bietet dann Passagen, die weit ins 20. Jahrhundert vorausgreifen. "Das ist Beethoven?", fragt man sich beim Hören ein ums andere Mal. András Schiff hat sich tief in die Originalhandschriften des Komponisten eingearbeitet, um zu dieser ungemein differenzierten Interpretation zu kommen, die die Wechselwirkungen feinsinnig und gänzlich unprätentiös zum Vorschein bringt. Also weg mit den Vorurteilen und neugierig bleiben!
Ludwig van Beethoven: Diabelli-Variationen. András Schiff. ECM 2294/95
Ralf Neite