Das Thema "Kreuzzug" verliert bei seiner aktuellen Konjunktur in den Medien die historischen Konturen. Da kann das Buch hilfreich sein, in dem der englische Historiker Thomas Asbridge die zweihundert Jahre in der Geschichte des Heiligen Landes dargestellt hat und damit den Begriff "Kreuzzug" für eine sachgerechte historische Erfassung zurückgewinnen wollte.
Der Leser, der aus diesem Buch so viel über die Jahre von der Rückeroberung Jerusalems durch die Franken bis zum endgültigen Verlust der Heiligen Stadt erfährt, soll mit jedem der Kreuzzüge mehr begreifen, wie es zur Geschichte der Heiligen Kriege kommen konnte und wie deren Verlauf nicht allein auf den Konflikt zwischen lateinischer Christenheit und Islam reduziert werden kann. Denn in den Jahren von 1095 bis 1291 kämpften nicht einfach die christliche und die muslimische Welt gegeneinander, vielmehr traten fränkische, oströmische, orientalische Christen und arabische, türkische wie kurdische Muslime als Akteure auf den Plan, und das in wechselnden, bisweilen auch den religiösen Unterschied übergreifenden Konstellationen. Die Kriege fanden primär auch nicht in den Kerngebieten des Islam statt, sondern im Grenzgebiet zwischen Ägypten und Mesopotamien, also in dem bevölke-rungs- und religionsmäßigen Mischgebiet der Levante.
In den Kämpfen ging es gar nicht nur um Jerusalem, sondern ebenso um die Begründung und den Erhalt der so genannten Kreuzfahrerstaaten, Edessa, Tripolis, Antiochia und das Königreich Jerusalem, in denen es im Übrigen auch zu Akkulturation bei den Franken gekommen ist.
Die leichtsinnige Parallelisierung der Geschichte der Kreuzzüge mit der gegenwärtigen Situation im Nahen Ostern leistet einer Reduzierung auf den Islam und das christliche Abendland als Gegner Vorschub und nivelliert damit alle notwendigen Unterscheidungen zwischen Islamismus, Islam und arabischem Nationalismus wie auch zwischen Christentum, christlichen Kirchen und westlicher Welt. Den Fundamentalismus, wie er erst durch die Moderne möglich und erschreckend wirklich geworden ist, sucht man in dieser Zeit trotz allem Schrecken über die Brutalität und das machtpolitische Kalkül mit der Angst vergebens.
Gerade zur Beantwortung der gegenwärtigen Frage nach dem Zusammenhang von politischen mit religiösen Beweggründen trägt etwa der Blick auf die beiden berühmtesten und legen-dären Gegner Richard Löwenherz und Saladin kaum mehr bei als den Eindruck bei, dass jedenfalls eine systematische Zuordnung der Motive nicht möglich ist. Schon damals war die Wirklichkeit unübersichtlicher, als es dem gegenwärtigen Lagerdenken gefallen mag.
Bei beiden Feldherren dominierte das religiöse Ziel, nämlich die Heilige Stadt, nur phasenweise das politische Handeln. Beide standen einander in religiösem Eifer und grausamer kriegerischer Praxis, aber auch in konziliantem Pragmatismus in nichts nach. Aufs Ganze gesehen waren der Glaube und das Pilgerbewusstsein zwar immer spürbar, aber nicht zu jeder Zeit zielführend.
Der methodische Weg Thomas Asbridges, die eine Geschichte in wichtigen Phasen aus der Verschiedenheit zweier Perspektiven darzustellen, bewährt sich für den Leser gerade beim dritten Kreuzzug und dessen prominenten Gegnern.
Wenn das Buch etwas anderes ist als einfach eine spannende Lektüre, dann vor allem, weil der aufmerksame Leser verfolgen kann, wie der Niedergang der Kreuzzüge im 13. Jahrhundert mit einem gewandelten religiösen Denken in der lateinischen Christenheit einher ging: In einer gegen die Scholastik gelebten verinnerlichten Religion verschob sich die Gewichtung vom äußeren Erfüllen des Pilgerns zur inneren Reue. So konnte sich allmählich die religiöse Idee des Heilsweges von der Wirklichkeit der Pilgerreisen und insbesondere ihren bewaffneten Varianten lösen.
Thomas Asbridge: Die Kreuzzüge. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2011, 807 Seiten, Euro 39,95.
Friedrich Seven
Friedrich Seven
Dr. Friedrich Seven ist Pastor. Er lebt in Scharzfeld.