Moral für Banker

Hans Küng analysiert die Weltwirtschaft
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Welche Konsequenzen müssen Wirtschaft und Politik aus der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise ziehen, damit sich ein solches weltweites Beben nicht wiederholt? Für Hans Küng ist die Antwort klar: Die Wirtschaft und ihre Akteure brauchen mehr Moral. Dafür ist ein globaler wirtschaftsethischer Codex nötig. Macht es sich Küng damit zu leicht?

"Dieses Buch ist kein publizistischer Schnellschuss". Mit diesem Satz beginnt Hans Küngs Buch "Anständig wirtschaften". In der Tat: Wer vor der Lektüre den Verdacht hegte, dass der bislang ja nicht gerade als Autor von Wirtschaftsbüchern aufgefallene streitbare Professor für Ökumenische Theologie vor dem Hintergrund der jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise schlicht und schnell seine bekannten Thesen zum Weltethos in ein neues Gewand hüllt, wird eines besseren belehrt. Denn das Buch steigt tief ein in die Irrungen und Wirrungen der Weltwirtschaft, blickt viel weiter zurück als in die aufregenden Jahre 2008 und 2009 und liefert so auf über dreihundert Seiten unter anderem einen gut verständlichen Überblick über die volkswirtschaftlichen Strömungen der vergangenen Jahrzehnte und deren Niederschlag in Politik, Finanz- und Realwirtschaft.

Doch damit lässt es Küng natürlich nicht bewenden. Obwohl er sich als Nicht-Ökonom seiner "Grenzen bewusst ist", will er nach eigenem Bekunden "kritische Fragen" aus einer philosophischen und theologischen Perspektive "auch an die Wirtschaftswissenschaft stellen". Das ist eine dramatische Untertreibung: Küng wagt auch in vermeintlich fremden Gefilden den großen Wurf: Er analysiert die Weltwirtschaft, erklärt, wie es zur größten Wirtschafts- und Finanzkrise der Nachkriegszeit kam und liefert einen Lösungsansatz, der etwaige Wiederholungen verhindern soll.

Dass er dabei die Brille eines Moralisten trägt, überrascht nicht, schließlich lautet der programmatische Untertitel seines Buches: "Warum Ökonomie Moral braucht". Und so spart er auch nicht an deutlichen Worten, wenn er vielen Akteuren in der Wirtschaft vorwirft, sich über "elementare Gebote der Menschlichkeit" hinweggesetzt zu haben. Er nennt die Manipulation von Bilanzen "Lüge", die von Unternehmen betriebene sogenannte Kurspflege durch Käufe der eigenen Aktien zu gigantischen Preisen "Falsches Zeugnis ablegen" und wirft Analysten der Wallstreet vor, "gestohlen" zu haben, wenn sie Aktien verkauften, die sie gleichzeitig öffentlich zum Kauf empfahlen.

Die Gier wird zum systemischen Problem

So etwas kann man eine schlichte Beschreibung nennen und auf die Regeln der Finanzwelt verweisen, in denen es um Profit und Verlust geht und nicht um gut oder böse. Das weiß Küng aber sehr wohl und sieht genau in der fehlenden Moral der Akteure das Grundproblem der Wirtschaft. Zwar habe die Wirtschaftswissenschaft durch ihren Glauben an einen scheinbar rationalen Markt ebenso eine Rolle gespielt wie die "ultraliberalen Theorien", die allein das pure ökonomische Eigeninteresse des Individuums im freien Markt im Auge gehabt hätten.

Doch sieht Küng das Hauptübel in der Gier des Individuums, die zwar durch das System mit Vergütungen und horrenden Boni angetrieben werde, ihren Ursprung aber im Menschen selber haben. "Die Gier des Individuums wird … zu einem systemischen Problem." - und nicht umgekehrt, wie man zum Beispiel auf Grundlage der Systemtheorie auch argumentieren könnte und damit die Diskrepanz zwischen wohlklingenden Managerreden über Ethik und Selbstkontrolle und der immer wieder doch so anderen Wirklichkeit erklären kann.

Küng lässt sich auf eine solche Zersplitterung der Welten jedoch nicht ein, die Globalisierung, ja jede Form von Wirtschaft werde von Menschen gemacht. Diese bräuchten dabei einen moralischen Kompass, einen ethischen Code. Und weil Wirtschaft längst global ist, müsse dieser weltweit über alle Kulturen und Religionen hinweg gelten können. Es geht also um ein "Globales Wirtschaftsethos". Wie das aussehen könnte zeigt ein Entwurf, den eine Arbeitsgruppe von Wirtschaftsfachleuten und Mitarbeitern der "Stiftung Weltethos" ausgearbeitet hat und der am Ende des Buches dokumentiert wird.

Zwei Prinzipien

Im Kern geht es dabei um die Anwendung von zwei Prinzipien: Das Bemühen um "echte Menschlichkeit, um Humanität", und als deren Konkretisierung die sogenannte Goldene Regel: "Was Du nicht willst, das man Dir tut, das tue auch keinem anderen." Diese werden in dreizehn Artikeln differenziert und so ein Codex für ein nachhaltiges und ethisch korrektes Wirtschaften skizziert: Sklavenarbeit ist verboten, Korruption ebenso, mit den natürlichen Ressourcen muss sparsam agiert werden, es soll wahrhaftig, ehrlich und zuverlässig miteinander umgegangen werden.

Das klingt alles banal und selbstverständlich, ist es aber offenbar nicht. Denn damit das von Küng geforderte Primat der Moral in der Wirtschaft Wirklichkeit wird, ist wohl mehr nötig, als ein Entwurf auf dem Papier. Diese Prinzipien müssen in einen konkreten politischen und regulatorischen Rahmen gegossen werden, der möglichst weltweit gilt. Doch bis dahin ist der Weg noch weit.

Hans Küng: Anständig wirtschaften. Warum Ökonomie Moral braucht. Piper Verlag, München 2010. 352 Seiten, EUR 19,95.

Stephan Kosch

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