Neue Kirche zu Ostern
Dicht an Dicht stehen die Häuser. Und eine holprige Gasse führt von der Hauptstraße hinein ins Dorf. "Dahinten geht es zur abgebrannten Kirche", sagt ein alter Mann, der sich an seinen Eselkarren gelehnt hat. Vielen Menschen hat er schon die Richtung gewiesen.
Das Dorf Sul, rund sechzig Kilometer südlich von Kairo, ist ein Dorf wie viele andere in Ägypten. Doch das ganze Land schaut wie gebannt dort hin, denn was in Sul passiert, betrifft das ganze Land. Eskaliert die Lage dort, werden die Zeiten für Ägypten womöglich noch schwerer, als sie es gegenwärtig ohnehin sind. Fünfzehn Menschen starben vor zwei Monaten in Sul bei Ausschreitungen zwischen Christen und Muslimen. Gelingt es nun, die beiden Gruppen in Sul zu versöhnen, ist die Gefahr eines größeren Religionskonfliktes gebannt.
Ausgelöst wurde die Krise, die Ägypten erschütterte, durch eine Liebesaffäre: Ein Christ hatte sich in eine Muslima verliebt: "Sie hatten Sex, und das geht hier gar nicht. Denn wir sind ein traditionelles Dorf", erklärt Ahmed al Bakr, der am Suler Gymnasium unterrichtet. So kam es zum Streit zwischen den Familien der Liebenden. Dabei wurden der Vater und der Onkel des Mädchens getötet. Und besonders der Tod des Onkels, der im Dorf sehr beliebt gewesen sein soll, brachte die Muslime auf. Sie zogen daraufhin zur "Kirche der zwei Märtyrer" und zündeten sie an. Später behaupteten sie auch noch, in der Kirche hätten Hexenzeremonien stattgefunden. Deswegen hätten sie Feuer gelegt.
Schnell kam das Militär herbei, das derzeit in Ägypten die Macht hat, und sicherte den Tatort. Zwei Panzer versperrten die Zugangsstraße, und Soldaten hinderten Schaulustige daran, sich der Ruine zu nähern. Doch sie konnten natürlich nicht verhindern, dass über das, was in Sul passiert war, überall unzählige Gerüchte verbreitet wurden.
Eine Art Brandstiftung
"Die Muslime bauen auf dem Grundstück eine Moschee, da, wo vorher unsere Kirche stand", erzählt Georges Harb. Dies - und dass aus Sul mehr als siebentausend Christen vertrieben worden seien - erzählte man sich im Viertel der Müllsammler, wo er wohnt. Dabei wohnen in Sul nur fünftausend Christen, und von ihnen haben nur drei Familien das Dorf verlassen. Sie wohnten direkt neben der Kirche.
In diesem Viertel leben vorwiegend sehr arme, schlecht gebildete und abergläubische Christen. Aufgebracht gingen sie auf die Straße, um gegen die erneute Unterdrückung der Christen am Nil zu protestieren. Und als sie ihren Wohnbezirk am Fuße des Moqattamberges verließen, trafen sie auf eine große Gruppe aufgebrachter Muslime. "Sie hatten gehört, dass wir aus Rache für die abgebrannte Kirche von Sul die große Moschee von Saida Sainab abbrennen wollten, aber das hat gar nicht gestimmt", empört sich Georges Harb.
Unter die Muslime mischten sich bewaffnete Schläger. Doch die Armee stellte sich dazwischen und beendete nach mehreren Stunden die gewalttätigen Straßenschlachten. Insgesamt waren dabei elf Menschen ums Leben gekommen, sieben davon Christen. Und ihrer wurde am folgenden Tag in der großen Felsenkirche gedacht. Mehrere tausend Christen kamen, aufgebracht, empört und traurig. "Die Armee hat auf uns geschossen. Sie hat sich auf die Seite der Muslime gestellt. Es ist, wie es immer gewesen ist", erzählt Mariam Sabri, eine der Besucherinnen des Gottesdienstes.
Ägyptens wunder Punkt
Was wirklich passiert ist, bleibt unklar. Und das sei kein Zufall, meint Schukry Fuad. Der Christ war früher Botschafter Ägyptens in Jugoslawien. Und auch von dort weiß er, wie das Anheizen religiöser Konflikte funktioniert: In Ägypten gebe es "Kräfte, die daran arbeiten, das Land ins Chaos zu stürzen", klagt Fuad. Die Schlägertrupps stünden noch immer im Dienst des alten Regimes. Und dies stifte auch durch das Verbreiten von Gerüchten Zwietracht. Und es sei kein Wunder, dass man sich ausgerechnet die Beziehungen zwischen den Religionsgemeinschaften ausgesucht hätten: Denn "das ist Ägyptens wunder Punkt", berichtet Fuad. Und die christlichen Bewohner des Müllviertels seien wie die Muslime aus dem Nachbarviertel die Ärmsten der Armen und deswegen besonders anfällig für diese Art der Brandstiftung.
Je mehr Chaos herrscht, desto lauter wird der Ruf, die Polizei möge endlich wieder eingesetzt werden und für Sicherheit und Ordnung sorgen. Wer wird da noch nachfragen, welche Verbrechen die Beamten in der Vergangenheit begangen haben? Es gibt also sehr konkrete Interessen des alten Regimes, Ägypten ins Chaos zu stürzen. Voller Entsetzen schauen viele Ägypter in den Abgrund, der sich vor ihren Füßen aufzutun scheint. Dabei hatten viele gerade noch gehofft, dass es nun besser würde. Denn in der Vergangenheit war es allzu oft die Regierung Hosni Mubaraks, die die Religionsgemeinschaften gegeneinander ausspielte, damit sie aufeinander losgingen, statt die Politik des Regimes zu kritisieren. Das belegen Geheimdienstakten, die jüngst veröffentlicht wurden.
Zehn Prozent der Ägypten sind Christen und die meisten von ihnen Kopten. Ein Wendepunkt für ihre Beziehungen zu den Muslimen bedeutet der Bombenanschlag, der in der Sylvesternacht auf eine koptische Kirche in Alexandria verübt wurde und der 24 Menschenleben forderte. Empört über diese Gewalt besuchten viele Muslime daraufhin die Weihnachtsgottesdienste der koptischen Kirchen am 6. Januar, und es kam zu einer Welle der Solidarität.
Hand in Hand
"Das waren sehr positive Zeichen", meint Axel Matyba, Pfarrer der deutschen evangelischen Gemeinde in Kairo. Viele Ägypter trugen T-Shirts mit Halbmond und Kreuz, ineinander verschlungen, um die Zusammengehörigkeit der beiden Religionen zu betonen. Dieser Geist wurde durch die Revolution verstärkt. Auf dem Tahrir-Platz demonstrierten alle Ägypter und beteten auch zusammen. Am Freitag, wenn sich die Muslime zum Gebet versammelten, bildeten die Christen eine Kette um sie, damit die Polizei sie nicht angreifen konnte. Und am Sonntag schützten die Muslime den Gottesdienst der Christen, den diese auf dem Tahrir-Platz feierten.
"Christen und Muslime Hand in Hand", wurde einer der Slogans der Revolution. Und dieses neue Miteinander - das viele eben auch in Abgrenzung von der Diskriminierungspolitik der alten Regierung verstehen - ist für viele eine der wichtigsten Errungenschaften der Revolution.
In der alten Zeit, unter dem Regime Hosni Mubaraks, klagten die Christen darüber, dass ihnen der Bau von Kirchen zwar offiziell erlaubt, in der Praxis aber oft unmöglich gemacht wurde, weil es keine Genehmigungen für den Bau von Kirchen gab. Auch schien die Polizei parteiisch zu sein. Denn bis zum Januar wurde nie auch nur ein einziger Täter wegen eines Verbrechens verurteilt, das gegen Christen verübt worden war. Erst nach dem Anschlag auf die Kirche von Alexandria wurde - unter dem Druck der Öffentlichkeit - ein Mann zum Tode verurteilt, der ein Jahr zuvor im oberägyptischen Nagah Hammadi sechs Christen nach der Weihnachtsmesse erschossen hatte. Dieses Urteil wurde von vielen Christen als erster Schritt in eine richtige Richtung gewertet.
"Nach den hoffnungsvollen Zeichen aus den Tagen nach dem Anschlag von Alexandria und der Revolution hat mein Optimismus jüngst einen Dämpfer bekommen", erzählt Pfarrer Matyba: "Es ist erschreckend, wie einmal mehr die tiefen religiösen Gefühle der Menschen so instrumentalisiert werden", klagt er. Allerdings scheint die Krise erst einmal gebannt. So haben die Militärregierung und der neue Premierminister sehr besonnen auf den Ausbruch der Gewalt reagiert und eine Aufklärung der Vorkommnisse von Sul angekündigt. Und die "Kirche der zwei Märtyrer" wird wieder aufgebaut. Bis Ostern soll sie fertig sein.
Julia Gerlach