Dem gerade in Deutschland angelaufenen Film „Zwingli. Der Reformator“, einem Kassenhit in der Schweiz, fehlt es nicht an guten schauspielerischen Leistungen – aber an Mut.
„Tut um Gottes Willen etwas Tapferes“ – der so überlieferte Spruch des Schweizer Reformators Ulrich (oder Huldrych) Zwingli (1484 – 1531) steht als Leitsatz auf dem Kinoplakat für den Film „Zwingli. Der Reformator“, der nun hierzulande angelaufen ist und in unserem Nachbarland mit 250.000 Zuschauerinnen und Zuschauern als „Kinohit“ gilt. Es ist eine Zahl, die für die kleine Eidgenossenschaft mit ihren 8,5 Millionen Menschen tatsächlich beträchtlich ist. Und in der Tat passt dieser Zuspruch Zwinglis zu mehr Mut sehr gut, in mehrfacher Hinsicht: Zum einen war Zwingli zweifellos ein mutiger Mann, der für die Reform seiner Kirche im wörtlichen Sinne zu kämpfen bereit war und auch auf dem Schlachtfeld fiel. Zum anderen bedarf es des Mutes, einen Film zu drehen über eine nationale Ikone. Denn man darf davon ausgehen, dass man es am Ende niemandem Recht machen kann: zu brav, zu kritisch, zu nahe an der Historie, zu fern von ihr, zu viel Theologie, zu wenig. Irgendetwas ist immer falsch, je nach Perspektive.
Also, Mut ist nötig, einen solchen Stoff anzupacken, zumal dann, wenn er von (halb-) staatlichen Stellen und von der Zürcher Landeskirche finanziell unterstützt wird. Das baut bewusste oder unbewusste Zwänge auf, denn es ging ja darum, pünktlich zum Schweizer Reformationsjubiläum einen nationalen und religiösen Helden darzustellen. Und: Hat der Film den Mut gehabt?
Um es gleich zu sagen: Leider nicht. „Zwingli. Der Reformator“ ist ein ziemlich biederer Historienschinken geworden. Der Film ist zu staatstragend, zu statisch und zu erwartbar, um wirklich fesseln zu können. Auch der „Luther“-Film von 2003 hatte phasenweise etwas Statisches und allzu gut Gemeintes. Aber er wagte doch etwa unkonventionelle Interpretationen theologischer Kernaussagen Luthers, beispielsweise das Hadern des Reformators angesichts des Suizids eines Jungen – und bestach vor allem durch die Beteiligung von solch Jahrhundert-Schauspielern wie Sir Peter Ustinov und Bruno Ganz.
„Zwingli“ dagegen fehlt fast alles Eckige, er will es erkennbar allen Recht machen – und diese Mutlosigkeit ist in der Regel der Tod eines jeden Films, der in Erinnerung bleiben soll. Das liegt nicht an den Schauspielerinnen und Schauspielern. Die schlagen sich wacker, vor allem Maximilian Simonischek als Ulrich Zwingli, Sarah Sophia Meyer als seine spätere Frau Anna Reinhart und Anatole Taubman als Zwinglis reformatorischer Mitstreiter Leo Jud, der übrigens auch in dem „Luther“-Film mitgespielt hatte. Es gibt einige Szenen, die filmisch gelungen sind, zum Beispiel das Gegenüberstellen einer Kindestaufe mit der geheimen Erwachsenentaufe von radikalen „Wiedertäufern“, die sich damit in Lebensgefahr bringen, was allen Beteiligten bewusst ist. Stimmig, wenn auch viel zu zaghaft und zu kurz belichtet, sind zudem Szenen, in denen es um Konflikte Zwinglis mit seiner Frau und eigenen Zweifeln an der Tiefe des reformatorischen Glaubens in seiner Zürcher Gemeinde geht. Auch die Auseinandersetzungen Zwinglis mit dem Rat der Stadt und die politischen Zwänge, denen dieser gehorchen muss, sind erhellend und regen zum Nachdenken an.
Dagegen aber stehen die Schwächen des Films, die die guten Seiten überwiegen – und oft geht es dabei um Konflikte, die eben nicht wirklich ausgedeutet werden. Da gibt etwa die Äbtissin des Fraumünsterklosters in Zürich fast wie nebenher das reiche Kloster mit all seinen Ländereien an die Stadt, damit die Reformation nun eine Armenspeisung damit finanzieren könne. Da wirken praktisch alle Nonnen froh, nun endlich aus dem Kloster zu können und möglichst bald einen reformatorisch gesonnenen Mann oder gar Theologen heiraten zu können. Der Bildersturm in Zürich erscheint als eine irgendwie notwendige Maßnahme, den die Stadtgesellschaft ohne großes Murren und ohne viel Chaos einfach mitmacht. Der überaus harte Konflikt Zwinglis mit Martin Luther vor allem über das Abendmahlverständnis (verwandelter Leib Gottes oder einfach nur Brot?) wird mit ein paar Sätzen abgefrühstückt – und dass die alt-gläubigen, katholischen Würdenträger vor allem an Geld für die Seelenmesse interessiert sind, herzlos eine Bettlerin wegstoßen und als schmatzender Bischof in Konstanz vor einer Fleischkeule gezeigt werden, ist so klischee-beladen, dass man sich denkt: Schade, das hätte man viel besser, differenzierter und damit aufregender machen können, ja müssen. „Luther“ hatte diesen Mut zur Differenzierung, sein Schweizer Pendant leider nicht.
Manchmal segelt „Zwingli“ auch knapp am Kitsch vorbei, etwa in einer der letzten Szenen des Films, in der Zwinglis Witwe mit ihren Kindern in der Schlange einer Armenspeisung steht, die Augen zum Himmel richtet und bekundet: Nein, der Herr meine es gut mit einem, wobei ein vielsagender Greifvogel zugleich über der Stadt kreist. Auch die eigentliche Schlussszene, wenn sie einen zerbrochenen Krug in einer Wiese vergräbt, da dieser Krug für ihren gefallenen Mann steht, macht es schwer, mit einem guten Gefühl den Kinosaal zu verlassen – wobei, aber das nur nebenbei, völlig unklar bleibt, ob nicht auch ihr jugendlicher Sohn wie ihr Mann in der Schlacht gefallen ist und wie sie denn nun als arme Witwe den Rest ihres Lebens verbracht hat.
So ist der Film „Zwingli“, der einer erfolgreichsten und teuersten Filme in der Geschichte der Schweiz ist, am Ende vielleicht ganz passend für den Religions- oder Geschichtsunterricht in den Schulen der Eidgenossenschaft – und womöglich als Spiegel der Seelenverfassung der Schweizer Gesellschaft, die sich in einer immer weiter globalisierenden und säkularisierenden Welt ihrer eigenen Geschichte und Identität auch durch solche Filme immer wieder bewusst werden will. „Zwingli“ fehlt am Ende der Mut, die Konflikte und Schattenseiten seiner Figuren und der Reformation in der Schweiz schärfer zu akzentuieren. Dass es dazu nicht kam, stimmt ein wenig traurig. Denn es ist eine verpasste Chance. Einen weiteren, couragierteren und differenzierteren Film über den mutigen Reformator Zürichs wird es in den nächsten Jahren wohl eher nicht mehr geben.
Philipp Gessler
Philipp Gessler ist Redakteur der "zeitzeichen". Ein Schwerpunkt seiner Arbeit ist die Ökumene.