Dass sich die Kirche doch bitteschön auf ihr Kerngeschäft besinnen und nicht politisch agieren solle, klingt nur im ersten Moment plausibel. In der Praxis geht es einfach nicht, meint zeitzeichen-Onlinekolumnistin Stefanie Schardien.
Es braucht in diesen Tagen keine Hitzerekorde, damit sich die gesellschaftliche Stimmung in Blitzgeschwindigkeit aufheizen kann. In der letzten Woche reichte ein Schiff im Mittelmeer dazu aus: Das Seenotrettungsschiff Sea-Watch 3, das mit 40 Flüchtenden den Hafen von Lampedusa ansteuerte. Als die Kapitänin Carola Rackete von den italienischen Behörden unter Hausarrest gestellt wird, kritisieren auch prominente Vertreterinnen und Vertreter der evangelischen Kirche, dass die Frau für die Lebensrettung kriminalisiert wird.
Reflexartig hagelt es laute Proteste: Kirche solle sich gefälligst heraushalten aus dieser politischen Sache. Überhaupt werfe sie sich damit nur dem Zeitgeist an den Hals. Sie solle sich endlich einmal wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren.
Der Ruf nach dem Kerngeschäft klingt im ersten Moment so plausibel. Schuster, bleib bei deinen Leisten, zählte zu den Lieblings-Sprichwörtern meiner Großmutter. Es klingt nach einer sinnvollen und notwendigen Begrenzung auf das, was man gelernt hat und wozu man beauftragt ist. Nach den Vorstellungen derjenigen, die das Kerngeschäft anmahnen, bedeutet das auch für meine kirchliche Arbeit: Gefälligst ohne Beteiligung an politischen Diskursen und erst recht ohne entsprechendes Engagement.
Ich versuche mir vorzustellen, wie Jesus zu dem Platz kommt, an dem gerade die Ehebrecherin gesteinigt werden soll (Johannes 8, 1-11). Und wie er nach kurzer Einschätzung der Lage sagte: Das tut mir jetzt echt leid, aber das ist doch eher eine rechtliche Angelegenheit und politische Entscheidung, wie man mit Frauen wie Dir umgeht. Außerdem, denk mal nach: So stifte ich ja am Ende indirekt noch viel mehr Menschen zum Ehebruch an. Sorry, ich bin raus. Ich kümmere mich jetzt um mein Kerngeschäft: Ich gehe nun auf den Berg und predige energisch von Liebe und Vergebung. Wenn ihr mir darum nur den einen Gefallen tun und bitte nicht so viel Geschrei bei Eurer Steinigung machen könntet?
Mein kirchliches Kerngeschäft besteht zu großen Teilen im Halten von Gottesdiensten, im Taufen, Trauen und Beerdigen, in der Seelsorge und Bildungsarbeit. Nein, freilich: Da geht es nicht pausenlos um politische Fragen. Doch wie schnell geht es im Taufgespräch um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder bei Trauergesprächen angesichts der Finanzierungsnot der Beerdigung um Armut und Gerechtigkeit. Ganz zu schweigen von so vielen der biblischen Texte, deren politische Themen ich redlicher Weise nicht ignorieren kann.
Wie lebensfern wäre ich als Pfarrerin, wenn ich zu alledem nichts sagen zu können vorgäbe? Wie wenig lebensförderlich wären meine evangelische Kirche und ihr Glaube, wenn ich unsere Positionen und Orientierungen nicht im Dienste aller in gesellschaftliche Diskurse einbringen würde? Das tue ich aus gutem Glaubensgrund und im Vertrauen auf das Wirken des Heiligen Geistes. Der weht einigen Zeitgeistern, die es in unserer bunten Welt wohl nur im Plural gibt, so manches Mal übrigens streng entgegen. Jenen Zeitgeistern nämlich, die Hass und Verachtung wieder hoffähig machen und Diskussionen über den Lebenswert Ertrinkender anstacheln. Daneben sehe ich aber auch andere Zeitgeister am Werk: Solche, die Menschen zum Engagement für ein gerechtes und friedliches Miteinander bringen, die gern auch Menschenleben retten lassen. Und wer weiß, ob in diesen Zeitgeistern nicht der Heilige Geist kräftig mit weht?
Stefanie Schardien
Dr. Stefanie Schardien ist Pfarrerin in Fürth seit Mai 2019 eine der Sprecherinnen des "Wort zum Sonntag".