Hühott-Reiterei hilft nichts

Zur Kritik von Präses Latzel an einer Kunstaktion zur Eröffnung der olympischen Spiele
Foto: privat

Vor einer Woche wurde in Paris auf einer riesigen Party die olympische Flamme entzündet. Die Jugend der Welt feiert seitdem ein buntes Fest des Sports und des Miteinanders unter dem Eiffelturm, in der Seine und im olympischen Dorf (legendär schon jetzt der norwegische Langstreckenschwimmer Henrik „Muffin Man“ Christiansen). An der Eröffnungsfeier der Pariser Spiele aber entzündete sich auch ein Feuer des Hasses. 

Gezündelt haben – wieder einmal – die üblichen Verdächtigen: der rechtspopulistische X-Chef Elon Musk, die Incel- und katholische Traditionalisten-Bubbles auf seinem Social-Media-Netzwerk, anschließend (und gelegentlich etwas konzilianter) eine Reihe von römisch-katholischen und orthodoxen Bischöfen und der Vatikan, zum Schluss ein paar katholische Salonrechte deutscher Provenienz.

Kreative Aneignung

Worum es geht, ist schnell beschrieben (oder Sie lesen es bei Andreas Mertin nach): Die Inszenierung von Thomas Jolly, sonst Regisseur extravaganter Theaterereignisse wie 24-Stunden-Shakespeare-Events, enthielt neben zahlreichen anderen Anspielungen auf Kunstwerke, Musikstücke, politische und historische Begebenheiten auch eine memefizierte Anspielung auf das „Letzte Abendmahl“ Leonardo da Vincis, das sich im Verlauf von ein paar Minuten in ein Festmahl inklusive eines blaubemalten nackten Dionysos wandelte, der auf Französisch vom Frieden unter Anhänger:innen der Freikörperkultur sang. 

Dargestellt wurden die Figuren von Menschen verschiedener sexueller Identitäten und Orientierungen. Einige Exeget:innen sehen in der Darstellung nicht Leonardos Abendmahl, sondern eine Anspielung auf das Gemälde "Fest der Götter" von Jan van Bijlert, auf den Social-Media-Plattformen werden noch weitere Vorlagen heiß gehandelt. Auf alle Fälle handelt es sich um einen Remix, eine ideenreiche Neubearbeitung, eine kreative Aneignung, kurz: um Kunst.

Blauer Dionysus auf Tafel. Kunstaktion zur Eröffnung der olympischen Spiele in Paris.Quelle: Eurosport / Screenshot via Youtube

Abendmahl, Götterfest, Blasphemie oder Friedensvision? Die Kunstaktion zur Eröffnung der olympischen Spiele in Paris sorgte auf jeden Fall für Resonanz. Quelle: Eurosport / Screenshot via Youtube

Die französische katholische Bischofskonferenz, der Vatikan, Bischof Stefan Oster von Passau und weitere Menschen fanden das wenig lustig, die Rede ist von „Blasphemie“, mindestens einmal der Missachtung „religiöser Gefühle“, von Respektlosigkeit gegenüber dem Allerheiligsten, natürlich auch vom Untergang des Abendlandes. Oster fand gar, die Feier habe gezeigt, „wie sehr im Grunde unser christliches Menschenbild auf dem Spiel steht“. 

Schmerz bekundet

Alles, was Rang und Namen hat in der Nomenklatur des rechten christlichen Influencertums sprang auf den Umzugswagen auf. Ein paar Stunden loderte X, dann beeilten sich liberale christlichen Influencer:innen auf den Social-Media-Plattformen (manchmal arg unbeholfen und eindimensional) gegen den Shitstorm von Rechts anzusenden – nicht ohne den Irrsinn dadurch natürlich auch aufzuwerten. 

Auch Tage später noch befleißigen sich evangelikale und katholische Rechtsinfluencer:innen damit, auf die Inszenierung einzudreschen und ihren Schmerz zu bekunden. So viel thymotisches Selbstmitleid im Gewand von Kunst- und Freiheitsverachtung war lange schon nicht mehr auf Instagram & Co. zu beobachten. Was für eine Shitshow internalisierter Minderwertigkeitsgefühle! Kein Wunder, dass vor allem unreife Männer an vorderster Front mithetzen und solche Medienschaffenden, die auf sie als Kundschaft zählen.

Bedauerlicher Weise, wenn auch wenig überraschend, beteiligen sich auch Theologen wie Jan Heiner Tück und Johannes Hartl am Spektakel, ventilieren die rechten Narrative und Gefühlsregungen wohlgeübt im Sound des behäbigen Feuilletons. Ohne den Verweis darauf, Jesus sei von einer „übergewichtigen Frau“ dargestellt worden, kommt Hartl beispielsweise nicht aus. Jesus, so lerne ich, kommt in der Vorstellungswelt dieses Jordan-Peterson-Katholizismus nur als Christus triumphans mit Sixpack vor, nicht aber als diskriminierte Person.

Das Theater rund um die Abendmahl-Inszenierung verdient dereinst einmal eine ordentliche Diskursanalyse, die in dieser Kolumne nicht zu leisten ist. An dieser Stelle genügt der Hinweis darauf, dass die Aufregung gezielt von rechtsradikalen (Online-)Aktivisten und reaktionären Katholiken gestartet und genährt wurde. Treibmittel sind wie so häufig der Hass gegen LGBTQI+ und Frauen. Vorherrschendes Narrativ sind die „Verfolgung“ und „Schmähung“ von Christen im ach so liberalen und gottvergessenen Westen. All das ist Kenner:innen der extremen (katholischen) Rechten wohlbekannt.

Von der Kunstfreiheit gedeckt 

Umso überraschter war ich, als ich bei einem Streifzug durch Instagram auch eine Einlassung des Präses der rheinischen evangelischen Kirche, Thorsten Latzel, zur Causa finden musste. Latzel ist im Ehrenamt „Sportbischof“ (sic!), also Sportbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Zwar beeilte er sich in seinem Beitrag klarzustellen, „dass queere Menschen selbstverständlich zur Kirche Jesu Christi gehören“, was angesichts dessen, dass die allermeiste Kritik sich an den Darsteller:innen in Drag festmachte, schon nice ist, dann aber ging es leider bergab. Wir haben es hier nämlich mit einem der - zugegebener Maßen seltenen – Fälle zu tun, bei denen die Schmähung von LGBTQI* tatsächlich „uns alle“ meint - jedenfalls wenn man sich zu den Freunden persönlicher Freiheitsrechte zählt. 

Es handele sich bei der Inszenierung, so Latzel weiter, zwar nicht um Blasphemie, Gott könne man sowieso nicht lästern, und natürlich sei das alles von der Kunstfreiheit gedeckt, aber den „Aspekt der Kombination mit dem nackten Bacchus“ halte er doch „für problematisch – und für schlechte Kunst“. Den gesamten Kommentar Latzels kann man auf Instagram nachlesen, sein Fazit:

„Durch diese Kombination wird das Abendmahl zu einem sexualisierten Trinkgelage einer völlig anderen, antiken Gottheit. Hier zeigt sich die Haltung einer bestimmten Form der Laizität, der es nicht um Freiheit für die Religion, sondern nur um eine negative Freiheit von der Religion und um eine religiös ideologisierte Überhöhung von Sexualität geht. Da wünschte ich mir die Diversität diverser und mit mehr wertschätzender Sensibilität gegenüber gelebter Religion gerade bei einer internationalen Sportveranstaltung.“

Fantasie des Friedens

Hätt‘ der Präses doch besser geschwiegen! Nicht nur wiederholt Latzel in seinem kurzen Statement alle rechten Talking Points, die dadurch natürlich wieder aktualisiert werden, er setzt ihnen auch eine Hühott-Reiterei entgegen, die Carsten Sostmeier, dem genialen Fernsehkommentator der olympischen Reitdisziplinen, Wuttränen in die Augen treiben würde. 

Inhalt des Songs des blaubemalten Dionysos (Philippe Katerine) war kein „sexualisiertes Trinkgelage“, sondern eine universalistische Friedensfantasie. Wer den Song kritisiert, erregt sich womöglich auch über „Imagine“ von John Lennon, das ebenfalls einen prominenten Slot während der Feier erhalten hat. Es geht bei diesem Shitstorm auch nicht um negative oder positive Religionsfreiheit oder um „wertschätzende Sensibilität gegenüber gelebter Religion“, als ob irgendwer eine katholische Messe gestürmt hätte. Was hätte Latzel eigentlich zum legendären Pussy-Riot-Auftritt in Moskau zu sagen? Zu Mohammed- und Jesus-Karikaturen? Wo ist die Grenze der kirchenleitenden Kunstkritik?

Den völlig überdrehten Gedanken einer „religiös ideologisierten Überhöhung von Sexualität“ borgt Latzel sich sogar affirmativ aus dem rechten Playbook. Das ist mindestens fahrlässig, wenn nicht gar besorgniserregend. Ein Pfarrer seiner Landeskirche musste Latzel in den Kommentaren unter seinem Beitrag darauf hinweisen, dass „andere sexualisierte ‚heteronormative‘ Darstellungen bei Olympia“ von ihm anders als die queere Kunst nicht „‚differenziert‘ betrachtet“ wurden.

Am Punkt vorbei

In diesen Tagen gibt es eine wahre Flut von frauenfeindlicher Hetze, die sich an verschiedenen Sportler:innen der Spiele, ihren Körpern und ihrer Bekleidung festmacht. Da wünsche ich mir für unsere Gesellschaft doch mehr erwachsene Personen, denen angesichts von ein wenig nackter Haut und 90er-Jahre Eurodance nicht die Gesichtszüge entgleiten. (Über Sportler:innenkörper hat – das nur nebenbei – die ehemalige Tennisspielerin Andrea Petkovic auf ihrem Blog sehr berührend und aufschlussreich geschrieben. Eine Leseempfehlung gerade zu diesen olympischen Spielen!) 

Viele Kommentator:innen unterrichteten Latzel unter seinem Beitrag darüber, dass es sich bei dem Bildzitat in der Inszenierung ja nicht um das „Letzte Abendmahl“ Da Vincis handelte. Das ist nicht nur unzutreffend, sondern geht am eigentlichen Punkt vorbei. Den machte – ebenfalls auf Instagram – Antje Schrupp: 

„Religiöse Gefühle haben keinen Anspruch nicht verletzt zu werden. Dieses Argument ist inhärent autoritär und sollte weg. [D]as Argument gegen den Furor […] ist nicht, dass die Aufführung in Wahrheit gar nicht blasphemisch war, wie jetzt viele ‚tolerante‘ und ‚selber queere‘ Christ*innen argumentieren, sondern das wir als Gesellschaft jederzeit das Recht haben, Dinge zu tun, die wir mögen, auch wenn irgendwelche Gläubige das für blasphemistisch halten.“

Wohlgewähltes Schweigen

Von evangelischen Kirchenleitenden wünsche ich mir ein Mindestmaß an Umsicht in volatilen Debattenlagen. Ja, das kann in Übervorsicht kippen, wie wir sie bei den allermeisten KollegInnen von Latzel in kirchenleitenden Ämtern regelmäßig bestaunen dürfen. Aber das wohlgewählte Schweigen bewahrt eben auch davor, sich zum Verstärker rechtsradikaler Talking Points zu machen – oder sich einfach nur persönlich zu desavouiren. Öffentliche Kunstkritiken nach eigenem Gusto kann man als Akademiedirektor vornehmen, aber nicht als Präses einer Landeskirche, der zu einem sportlichen Großereignis als Vertreter der Evangelischen Kirche spricht. Rechten Narrativen tritt man nicht mit eiligem Hinterher- und Entgegenplappern entgegen, sondern mindestens einmal dadurch, dass man selbst on message bleibt. Bischöfe als Allkommentierer brauchen wir nicht.

Als Theologen aber vielleicht schon. Im „Theologie kontrovers“-Band „Kann man Gott beleidigen?“ (Herder 2013), herausgegeben von Thomas Laubach, fand ich neben sonst ausschließlich katholischen Beiträgen (wie kommt’s?) auch „eine protestantische Positionierung zum Thema Blasphemie“ des evangelischen Theologieprofessors Harald Schroeter-Wittke. Wenn mit „Blasphemie“ die „Verletzung religiöser Gefühle“ gemeint sei, müsse diese lauten:

„Blasphemien sind geboten, um unsere Fixierungen (unsere Erfahrungen) auf und von Gott zu lösen. Die Kirche begrüßt daher freudig alle Formen von Blasphemie, insbesondere diejenigen, die ihr selber weh tun! Denn die Erfahrungen von Blasphemie sind ein Grund dafür, dass wir etwas lernen, dass wir überhaupt auf die Idee kommen, es könnte anders sein, als wir uns das denken!“

 

(Transparenzhinweis: Der Text wurde am 5.8. geringfügig verändert)

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