Ökumene des Lachens

Eine Tagung in Augsburg vertieft ein wichtiges Dokument der Kirchenleitungen zur Ökumene. Zeitgleich. Ein Wunder?
Der frühere bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und die Franziskanerin Schwester Katharina lachend auf dem Podium.
Foto: Christian Klenk
Der frühere bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und die Franziskanerin Schwester Katharina lachend auf dem Podium.

Einigung statt Einheit: Unter Fachleuten ist zuletzt ziemlich klar geworden, dass eine organisatorische Einheit der Kirchen (derzeit) nicht funktioniert. Ökumene bedeutet nun eher eine ausdrückliche Wertschätzung der Pluralität der anderen Kirchen. Auf einer Fachtagung in Augsburg wurde in diesem Sinne das Miteinander über Konfessionsgrenzen hinweg ausgelotet. Und das zeitgleich mit der Veröffentlichung eines wichtigen gemeinsamen Dokuments der evangelischen und römisch-katholischen Kirche zur Ökumene. Die Chancen und Gefahren einer „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ analysiert zeitzeichen-Redakteur Philipp Gessler.

Manchmal ist es nur noch zum Lachen. Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder erzählt auf Kirchentagen, wie wichtig ihm sein evangelischer Glauben sei – und auf Katholikentagen, wie nahe er dem Katholizismus stehe. Aber vielleicht ist das auch anders zu lesen: Der CSU-Politiker ist eben ein Mann der Ökumene. So forderte er Ende vergangener Woche die Kirchen zu einer „kraftvollen Ökumene“ auf. Und betonte: Heute komme es „nicht auf konfessionelle Unterschiede an, sondern auf die gemeinsame Überzeugung, Gemeinschaft und Zusammenhalt bekräftigen zu wollen“, so Söder.

Der CSU-Landesvater erklärte dies in einem schriftlichen Grußwort zur Jahrestagung der Gesellschaft Katholischer Publizistinnen und Publizisten Deutschlands (GKP). Das Hauptthema der Tagung, die bis Samstag in Augsburg stattfand: die Ökumene. Doch der Anlass der Wortmeldung Söders war sicherlich zugleich ein Dokument, das die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) am gleichen Tag herausgaben. „Mehr Sichtbarkeit in der Einheit und mehr Versöhnung in der Verschiedenheit. Zu den Chancen einer prozessorientierten Ökumene“. So der leicht komplexe Titel des lesenswerten Dokuments (siehe: https://zeitzeichen.net/node/11032). Fast aus dem Nichts zweimal Ökumene am gleichen Tag! Ein Wunder?!

Das ist nicht sehr wahrscheinlich. Aber recht erstaunlich ist schon, wie deutlich sich die beiden Volkskirchen in dem gemeinsamen Papier wieder zu einer geschwisterlichen Zusammenarbeit, eben zur Ökumene, bekennen. Und das, nachdem es in den vergangenen Jahren um diese Kooperation im Namen des einen gemeinsamen Herrn recht still geworden war. Aber gerade die inspirierenden Erfahrungen des vielfach gemeinsam gefeierten Reformationsjubiläums vor sieben Jahren waren nach Auskunft der Verfasserinnen und Verfasser des Dokuments ein Anstoß, diesen ökumenischen Impuls von 2017 (der ja auch mit weiteren Verhärtungen hätte enden können) neu aufzugreifen. Das EKD-DBK-Dokument betont das Prozesshafte der Ökumene, das theologisch gewürdigt wird: Die Ökumene ist demnach schon etwas wert, auch wenn man von irgendeiner Form der sichtbaren Einheit noch weit entfernt ist. Ja, der (mühsame) Weg der Ökumene ist schon Teil der Identität beider Kirche, es geht nicht ohne ihn. Oder wie es in einem Kernsatz des Papiers heißt: „Aufgrund des bereits gegangenen Weges sagen wir als Deutsche Bischofskonferenz und Rat der EKD: Wir wollen nicht mehr ohne den Dialog mit Euch Kirche sein.“ Man könnte es auch buddhistisch angehaucht sagen: Schon der Weg ist das Ziel.

Mit Geschick gewählt

Aber ist das nicht etwas zu rosarot beschrieben? Wie stark ist die Ökumene derzeit wirklich noch, im Land der Reformation und weltweit? Ist ein neuer Aufbruch möglich, wie das gemeinsame Kirchenpapier hoffnungsfroh fordert? Oder stimmt nicht eher dieser leicht verzweifelte Ausruf: „Nur noch Ruhe und kein Sturm. Wer glaubt noch an die Ökumene?“

Das war der Titel der GKP-Tagung in Augsburg, wo sich hochkarätige Fachleute der Ökumene und kirchliches Spitzenpersonal über Theorie und Praxis der Ökumene in Deutschland und international austauschten. Dabei war der Ort mit Geschick gewählt, denn Augsburg ist, recht betrachtet beides sehr deutlich, eine Stadt der Reformation und der Ökumene: Mitte Oktober 1518 debattierte Martin Luther im hiesigen Fugger-Palast mit dem römischen Kardinallegaten Cajetan über seine Thesen, die die Reformation auslösten. Im Juni 1530 wurde das noch heute prägende Augsburger Bekenntnis des Protestantismus („Confessio Augustana“) auf dem Reichstag in Augsburg verlesen und vom Reformator und Luther-Freund Philipp Melanchthon (1497-1560) dem deutschen Kaiser Karl V. überreicht. In Augsburg wurde ein paar Jahrzehnte später, 1555, auf einem Reichstag noch einmal versucht, mit dem so genannten Augsburger Religionsfrieden ein friedliches und dauerhaftes Zusammenleben von lutherisch und römisch-katholisch geprägten Territorien im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation zu sichern.

Gemeinsame Wand, die stützt: Die Kirchen

Gebaute Ökumene: „Basilika St. Ulrich und Afra“ und „Evangelisch St. Ulrich“. Foto: Philipp Gessler

Nachdem ein solch friedliches Nebeneinander-Leben der christlichen Konfessionen im Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648) katastrophal gescheitert war, war das zwischen den Konfessionen zerrissene Augsburg wiederum der Ort, in dem Neues erprobt wurde. Über Jahrhunderte wurde eine „Parität“, also eine strikte Ökumene des Alltags, auch rechtlich vereinbart. Das heißt, für jeden wichtigen städtischen Verwaltungsposten gab es sowohl einen katholischen wie evangelischen Mann (keine Frau). Schließlich war es in Augsburg, wo in der bezaubernden evangelischen St. Anna Kirche am 31. Oktober 1999, am Reformationstag, die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“ von Repräsentanten des Lutherischen Weltbunds (LWB) und der römisch-katholischen Kirche unterzeichnet wurde. Dies war, weltweit gesehen, der letzte große Meilenstein in der innerchristlichen Ökumene zwischen den Kirchen der Reformation und der Kirche Roms. Gerade weil die Rechtfertigungslehre im Protestantismus eine so herausragende Bedeutung hat.

Kurz: Mit dem segensreichen Wirken eines genius loci war auf der GKP-Tagung in Augsburg durchaus zu rechnen. Die Mauern atmen hier Ökumene, um es weniger pathetisch zu sagen, als es sich zunächst anhört. Denn die zu hörenden Fachleute diskutierten in einem katholischen Tagungszentrum, das genau neben der römischen „Basilika St. Ulrich und Afra“ lag, die sich, und das ist der Clou, seit Jahrhunderten eine gemeinsame Wand teilt mit der Kirche„Evangelisch St. Ulrich“, so der originelle Name. Das ist, recht besehen, in Stein gehauene Ökumene. Seit vielen Generationen.

Wertschätzung der Pluralität

Auf der Tagung schilderte die römisch-katholische Theologin Johanna Rahner, die seit vielen Jahren den Lehrstuhl für Dogmatik, Dogmengeschichte und Ökumenische Theologie an der Universität Tübingen innehat, eindrücklich den Paradigmenwechsel, der sich in der Ökumene in den vergangenen Jahren abgezeichnet hat: Es sei klar geworden, dass eine Einheit der Kirchen (derzeit) nicht mehr funktionieren könne. Aber Ökumene bedeute jetzt eher eine ausdrückliche Wertschätzung der Pluralität mit den anderen Kirchen. Ganz im Sinne des EKD-DBK-Papiers stehe nicht mehr die Einheit im Vordergrund, sondern die Einigung, also der Einigungsprozess in seiner Vielfältigkeit. Das passe in ein postmodernes Lob der Vielfalt – oder, wie es theologisch häufig heißt, ins Konzept einer „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“.

Dabei gebe es aber, so Rahner, Gefahren: Stünden nun etwa nur noch Geschmacksfragen in der Ökumene zur Diskussion, nicht mehr die Frage nach der Wahrheit? Werde nicht mehr um den richtigen Weg gerungen? Schaue man nicht mehr, was die anderen Kirchen vielleicht besser machten, was womöglich sinnvoll zu kopieren sei? Wichtiger aber noch, warnte Rahner: Erwachse nicht gegenwärtig eine negative Ökumene der religiös Gestrigen in den verschiedenen Konfessionen, die neben konfessioneller Enge, ja Muff vor allem eines verbinde: ein antidemokratisches, nationalistisches, ja tribales Denken?

Öffnung notwendig

Eine solche „transkonfessionelle Kampfgemeinschaft“, hier zitierte Rahner den Berliner evangelischen Theologen und „zeitzeichen“-Kolumnisten Christoph Markschies, scheine weltweit an Macht zu gewinnen. Dies gelte es, zu bekämpfen, auch weil diese Tendenzen gerade in pfingstlerischen Bewegungen weltweit mit einem neoliberal gefärbten Evangelium des Wohlstands („prosperity gospel“) und einer Ökonomisierung des Christentums einher gingen. Johanna Rahner appellierte deshalb vor den Anwesenden an einen wahren ökumenischen Kampfgeist: „Die Ökumene-Hasser dürfen nicht mehr das Wort haben.“ Entweder die Kirchen öffneten sich weiter der Welt um sie herum – oder sie würden zunehmend zu Sekten.

Ähnlich argumentierte Dagmar Heller, die Leiterin des Konfessionskundlichen Instituts des Evangelischen Bundes in Bensheim. Die weltweiten „Ungleichzeitigkeiten“ würden gerade wegen der pfingstlerisch,-pentecostal oder evangelikal geprägten Kirchen vor allem im Süden der Welt wachsen. Diese Kirchen aber hätten in der Regel wenig Interesse an einer ökumenischen Begegnung oder Bewegung in gegenseitiger Achtung. Hellers katholisches Pendant, Johannes Oeldemann, der Direktor am Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn ist, stellte nüchtern fest: Ökumene funktioniere weltweit eigentlich immer dort am besten, wo das Christentum in einer Minderheitenposition sei. Lehrt Not Ökumene?

Notwendiger Perspektivwechsel

Hier war auf der Tagung ein notwendiger Perspektivwechsel zu registrieren: Der war Emmanuel von Christoupolis, dem Vikarbischof der Griechisch-Orthodoxen Metropolie von Deutschland, zu verdanken. Er nahm neben der evangelisch-katholischen Kooperation, die vor allem im Alltag nach Jahrzehnten der Erfahrung meist recht reibungslos funktioniert, die Ökumene mit den orthodoxen Kirchen stärker in den Blick. Der Orthodoxie gehören immerhin schon rund vier Millionen Menschen in Deutschland an.

Emmanuel ist als der griechisch-orthodoxe Bischof in Berlin ein leidenschaftlicher Vertreter der Ökumene. Er sagte: „Ökumene ist wie ein Buffet. Und wir sind erst bei der Vorspeise.“ Aber auch er habe gelegentlich mit fundamentalistisch gesonnenen Gläubigen zu tun, die ihm vorwürfen: „Du bist ein Verräter der Orthodoxie“ – etwa, wenn er zu eifrig den ökumenischen Austausch suche. Das aber stehe er durch, ließ er durchblicken. Ökumene sei eben für ihn nicht nur ein notwendiger Dienst, sondern ein Anliegen – auch wenn sie im Konkreten viel Arbeit mache. Übrigens duzten sich die meisten Fachleute auf der Tagung ganz selbstverständlich, so eng ist ihre Zusammenarbeit schon seit Jahren.

Ökumene der Dummheit

Apropos Anliegen: Wie viel Spaß die Ökumene auch machen kann, war beim Gespräch des früheren bayerischen Landesbischofs und EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm mit der katholischen Ordensschwester Katharina Kluitmann zu erleben. Bedford-Strohm ist seit zwei Jahren Vorsitzender des Zentralausschusses des weltweiten Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Genf. Schwester Katharina leitet zur Zeit die Provinz der Franziskanerinnen in den Niederlanden und ist Mitglied im Synodalen Ausschuss der katholischen Kirche in Deutschland. Schön war zu sehen: Sie lachten viel zusammen, die katholische Schwester und ihr evangelischer Bruder.

Ernster wurden sie nur, als Kluitmann vor einer „Ökumene der Dummheit“ warnte, bei der die Brüder und Schwestern der anderen Konfession fast genau die Fehler wiederholten, die man selbst schon gemacht habe – Stichwort: die Turbulenzen und Vertuschungen bei der Aufarbeitung der Sexualisierten Gewalt in den Kirchen. Dazu kommen die Schwierigkeiten der globalen Ökumene: Bedford-Strohm schilderte eindrücklich, wie sehr gerade lutherische Bischöfe aus Afrika etwa Konzepte einer Homosexuellen-Segnung im ÖRK ablehnten. Ein Argument: Die Missionare des Nordens hätten doch erst mit biblischen Argumenten die Schwulenabneigung nach Afrika gebracht – nun werde eine vom globalen Norden propagierte Schwulenehe als eine neue Form kolonialistischer Bevormundung verstanden. Das sind dann wohl die Fallstricke der Ökumene weltweit.

Charme und Charisma

Die internationale Perspektive bestärkte auch Antje Jackelén. Die gebürtige Deutsche war bis vor wenigen Jahren die Erzbischöfin von Uppsala und damit de facto das Oberhaupt der schwedischen Lutheraner. Sie betonte, dass sie etwa mit Papst Franziskus sehr gute ökumenische Erfahrungen gesammelt habe, denn der habe einen Sinn gerade für eine „pastorale Ökumene“ im Alltag. Die deutsch-schwedische Bischöfin a.D. erklärte mit viel Charisma und Charme sowie erneut die Perspektive weitend, der notwendige interreligiöse Dialog könne ebenfalls die christliche Ökumene befeuern. Schließlich hatte die Theologin noch zwei aufmunternde Ratschläge für die Ökumene zur Hand: „Ökumene braucht auch Humor“, unterstrich sie. Und: „Der Grund-Rat ist: Weitermachen – und nicht aufgeben!“

Vielleicht ist es ja wirklich so, dass Ökumene am Ende nur mit mehr Humor, ja mehr Lachen glücken wird. Und etwas anderes blitzte auf beim ökumenischen Gottesdienst von Emmanuel von Christoupolis mit Erzbischöfin a.D. Jackelén, dem römisch-katholischen Ortsbischof Bertram Meier und dem Jesuitenpater Christof Wolf, der Geistlicher Beirat der GKP ist: Das gemeinsame Gebet mit den klug vereinten Schönheiten der unterschiedlichen Liturgien kann ebenfalls verbinden. Auch hier kann der Weg schon das Ziel sein. Gerade wenn man dabei gemeinsam feiert in einem Gotteshaus wie „Evangelisch St. Ulrich“. Bei dem die Wand der einen Kirche die der anderen stützt.

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