Über Sprachverbote

Gendern, was das Zeug hält? Na klar! Das machen wir doch sowieso
Foto: privat

Gendern was das Zeug hält? Na klar, meint unsere Kolumnistin Antje Schrupp. Denn die deutsche Sprache ist bereits durch und durch gegendert, unterscheidet nach biologischem Geschlecht. Und gerade deshalb müssen wir nach neuen Ausdrucksformen suchen.

In Deutschland sind staatliche Sprachvorschriften zurzeit in Mode: Diverse Bundesländer, zuletzt Hessen und Bayern, verbieten im staatlichen Einflussbereich das, was sie „Gendern“ nennen, also die Verwendung von neuen sprachlichen Formen, die die Vielfalt von Geschlechtsidentitäten sichtbar machen.

Allein schon die Bezeichnung „Gendern“ zeigt die Sinnlosigkeit solcher Anwandlungen. Denn die deutsche Sprache ist durch und durch „gegendert“. Sie unterscheidet nach biologischem Geschlecht (es gibt unterschiedliche Begriffe für weibliche und männliche Personen, Tante oder Onkel, Lehrer oder Lehrerin), und sie kennt grammatikalische Geschlechter (der Mond, die Sonne, das Meer). Es gibt schlichtweg keine „ungegenderte“ Art und Weise, sich der deutschen Sprache zu bedienen.

Hoffen auf billigen Applaus

Es soll aber auch keineswegs das Gendern schlechthin verboten werden, sondern nur eine bestimmte, neue Variante davon, und zwar geschlechtsübergreifende Personenbezeichnungen, die Sonderzeichen wie Doppelpunkt oder Asterisk im Wort-Innerern verwenden, also zum Beispiel Verkäufer:in oder Politiker*in. Die auf diese Weise markierte Lücke zwischen weiblichem und männlichem Genus dient als Verweis darauf, dass es jenseits der beiden „binären“ Geschlechter noch andere geschlechtliche Möglichkeiten gibt.

Konservative verbinden mit solchem Durchgreifen vermutlich die Hoffnung auf billigen Applaus von schlichten, rechtspopulistisch gefährdeten Gemütern. Das hauptsächliche Argument, das sie anführen, lautet: Solche Sonderzeichen seien im Duden nicht vorgesehen. Sie entsprächen also nicht den „offiziellen Sprachregeln“. Allerdings ist der Duden kein Kompendium offizieller Sprachregeln, sondern lediglich ein Verzeichnis dessen, was sich zu einem bestimmten Zeitpunkt als gängiger Sprachgebrauch herausgebildet hat. Er muss daher dauernd verändert und aktualisiert werden. Die wahren Souverän*innen der deutschen Sprache sind diejenigen, die sie benutzen. Es kann der Deutschlehrer so lange betrübt das graue Haupt schütteln, wie er will: Wenn die Leute keinen Genitiv mehr benutzen, muss irgendwann auch die Dudenredaktion den Dativ erlauben.

Sprache im Fluss

Sprache verändert sich laufend und muss das auch. Vor hundert Jahren gab es weder „Internet“ noch „Wechselmodell“, es kommen also immer wieder neue Sachverhalte hinzu, die sprachlich bezeichnet werden müssen. Neu erfundene Begriffe und grammatikalische Gepflogenheiten, die sich im Alltag bewähren, werden irgendwann in den Duden aufgenommen.

Normalerweise lockt das keinen Hund hinterm Ofen hervor, aber am „Gendern“ haben sich die alten Herren der Republik festgebissen. Dabei ist auch das nichts anderes als ein Versuch, die Sprache gesellschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Es ist ja nun mal eine Tatsache, dass es Menschen gibt, die weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht angehören, und zwar gibt es sie nicht nur in der Phantasie wildgewordener Queerfeministinnen, sondern seit einigen Jahren ganz offiziell und staatlich besiegelt mit dem Geschlechtseintrag „divers“ im Personalausweis. Eine geschlechtlich diverse Lehrperson ist aber weder Lehrerin (weiblich) noch Lehrer (männlich). Im Deutschen gibt es traditionell keine Möglichkeit, diese Menschen zu bezeichnen. Deshalb müssen wir eine erfinden. 

Und zwar nicht nur, um dem Bedürfnissen der Betroffenen politisch korrekterweise nachzukommen. Sondern aus linguistischen Gründen. In der deutschen Sprache besteht ein sehr enger Zusammenhang zwischen Sexus und Genus. Die Übereinstimmung zwischen biologischem Geschlecht und grammatikalischem Genus, mit der Personen bezeichnet werden, beträgt nahezu hundert Prozent, schreibt die Mainzer Linguistik-Professorin Damaris Nübling, die über Sprache und Geschlecht forscht. Nach einer Ausdrucksform für nicht binär-geschlechtliche Personen zu suchen ist also kein Spleen, sondern eine Notwendigkeit, die aus der Logik des Deutschen folgt. Ein Satz wie „Alle Schülerinnen und Schüler müssen Deutsch lernen“ ist ungenau, ja eigentlich sogar falsch, denn auch diejenigen schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen, die weder weiblich noch männlich sind (sondern zum Beispiel agender, genderqueer oder genderfluid) müssen ja Deutsch lernen. 

Verlaufsform hilft nicht

Dass es zuerst queerfeministische Kreise waren, die hier mit verschiedenen sprachlichen Möglichkeiten experimentiert haben, ist kein Wunder, denn für sie hat sich die Notwendigkeit als erstes und am dringlichsten gestellt, einfach durch das zahlenmäßig starke Vorhandensein der betreffenden Personenkreise. Eine kleine, durch Sonderzeichen markierte Lücke zwischen den beiden grammatikalischen Geschlechtern einzufügen - Feminist*innen – hat sich dabei schlicht als ein besonders praktikabler Weg erwiesen. Die Form ist nicht nur kurz, sie funktioniert auch mündlich: Die kleine Verzögerung zwischen „Feminist“ und „innen“ beim Sprechen kommt als Laut in der deutschen Sprache ohnehin vor, etwa bei Wörtern wie „Spiegelei“ oder „Schutzimpfung“. 

Seit einigen Jahren fasst diese Art, geschlechterinklusiv zu sprechen, daher zunehmend auch bei seriösen Medien und in der Alltagssprache vieler Menschen Fuß. Theoretisch gäbe es wohl auch andere, Duden konforme Wege, die geschlechtliche Realität sprachlich abzubilden. Doch sie sind deutlich unpraktischer, und oft auch aus germanistischer Perspektive viel schlimmer als die neuen Sonderzeichen. 

Die Verlaufsform zum Beispiel, also „Mitarbeitende“ oder „Lesende“, ist bei Menschen beliebt, die zwar geschlechterinklusiv formulieren, aber nicht „gendern“ wollen. Wäre ich Deutschlehrerin, wäre jedoch das die Stelle, an der ich den Rotstift ansetzen würde. Denn es stimmt zwar, dass „Lesende“ als Begriff alle Geschlechter umfasst, auch nicht-binäre. Doch Lesende sind nicht dasselbe wie Leser*innen. „Lesende“ sind Menschen, die gerade in diesem Moment etwas lesen, und sei es eine Speisekarte oder Bedienungsanleitung. Sie sind nicht per se eine Zielgruppe für Verlage und Bibliotheken, genauso wenig wie „Trinkende“ in aller Regel „Trinker:innen“ sind. Die Verlaufsform als genderübergreifende Personenbezeichnung zu verwenden, ist inhaltlich falsch und eine Verarmung sprachlicher Ausdrucksmöglichkeiten.

Umständliche Wege

Es gibt noch mehr Optionen. Manche sind lustig, wie die des Satirikers Jan Böhmermann, der in seinem ZDF-Magazin Royale das Publikum konsequent als „Meine Damen und Herren und alle dazwischen und außerhalb“ anspricht. Ich fürchte nur, eine Schülerin in der Deutschklausur kann sich auch das nicht unbedingt erlauben. Will sie die staatlichen Sprachverbote beachten und trotzdem geschlechtliche Sachverhalte korrekt benennen, müsste sie wohl den ganz umständlichem Weg wählen. Statt verbotenerweise von „Lehrer*innen“ zu sprechen, könnte sie Duden konform formulieren: „Lehrerinnen und Lehrer sowie alle Lehrpersonen, die keinem der beiden binären Geschlechter ausschließlich und eindeutig angehören“. Viel Spaß beim Korrigieren der Aufsätze.

Wir anderen, die wir ja von niemandem zu einer bestimmten Sprechweise gezwungen werden können – es gehört nämlich zu unserer bürgerlichen Freiheit, uns des Deutschen so zu bedienen, wie es uns gefällt –, wir sollten ab sofort auf allen Kanälen „gendern“, was das Zeug hält. Damit die Dudenredaktion das möglichst schnell absegnet und der Anti-Gender-Spuk der rechtskonservativen Sprachpolizei ein Ende hat.

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