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Christen und Juden

Der Synodalbeschluss der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“ jährte sich 2020 zum 40. Mal. Ein Grund, Bilanz zu ziehen in einer Welt, die sich verändert. Ein hierzu geplantes Symposion konnte aufgrund der Covid-Pandemie nicht durchgeführt werden. Die Teilnehmer verständigten sich darauf, ihre Manuskripte überarbeitet zu veröffentlichen. Der daraus entstandene Band enthält sechs Beiträge aus „Biblisch-Theologischer Perspektive“, fünf Beiträge aus „Systematisch-Theologischer Perspektive“ und vier Beiträge aus „Praktisch-Theologischer und kirchlicher Perspektive“. Aus Platzgründen kann hier nicht auf alle Beiträge eingegangen werden.

Nach den Geleitworten des rheinischen Präses Thorsten Latzel und der Bonner Systematik-Professorin Cornelia Richter lässt Wolfgang Hüllstrung, Landespfarrer der rheinischen Kirche und Beauftragter für den Christlich-Jüdischen Dialog, die Zeit seit 1980 Revue passieren. Zahlreiche Kommentare sind seitdem erschienen, auf eine zwölfseitige Bibliografie wird verwiesen. Von besonderer Bedeutung waren die „Erwägungen Bonner Professoren“, die eine hitzige Kontroverse ausgelöst haben und im Beitrag von Wolfgang Kinzig, Professor für Kirchengeschichte in Bonn, beschrieben werden. Man könne jetzt „klarer sehen“, „nachdem sich der Pulverdampf verzogen“ habe, der „den Kanonen“ entstammte, „mit denen die Kontrahenten aufeinander feuerten“. Am Schlachtfeldrand wurde der Synodalbeschluss von 1980 abschätzig als „Judenpapier“ bezeichnet. Das sei für heutige Semester kaum noch nachvollziehbar, so Kinzig. Heinrich Assel, heute Theologieprofessor in Greifswald, wurde als Student in Erlangen von dieser Auseinandersetzung „elektrisiert“. Seither hat er sich mit Differenzen zwischen christlicher und jüdischer Perspektive beschäftigt, „sie sind keineswegs identisch. Aber sie sind auch nicht inkommensurabel“, so das Fazit. In seinem Beitrag beschäftigt er sich mit der Christologie-Skepsis des jüdischen Denkers Emmanuel Levinas, der versucht hat, einer menschlichen Theologie eine göttliche Anthropologie entgegenzusetzen.

Gleich zwei Beiträge beschäftigen sich mit Paulus’ Römerbrief 9–11. Die Bamberger Judaistik-Professorin Susanne Talabardon denkt erneut über Bilder des Wettlaufs der Zweige und die Veredelung eines alten Olivenbaums nach, die Paulus verwendet, und kommt wie auch Marc D. Nanos von der University of St. Andrews, Schottland, der auf die Feinheiten verschiedener Übersetzungstraditionen eingeht, zu dem Ergebnis, dass der Baum die Wurzel trägt und nicht umgekehrt. Bernd Schröder, Professor für Praktische Theologie in Göttingen fragt schließlich nach den Bildungsaufgaben, die sich daraus für unsere Zeit ergeben. In einer Zeit wachsenden Antisemitismus müsse die Kirche ihre Verantwortung auch im öffentlichen Bildungswesen wahrnehmen und dürfe sich nicht auf ihren Binnenraum beschränken. Altbischof Markus Dröge untersucht, welche Bedeutung der Synodalbeschluss zum Beispiel für die Evangelische Mittelost-Kommission hat, und beschreibt dies an den Papieren zur „Boykott, Divestment & Sanctions“-Bewegung (BDS) und den Annexionsplänen der israelischen Regierung aus dem Jahr 2020. Damit wird deutlich, dass der als Reaktion auf die Shoah und die jahrhundertelangen christlichen Antijudaismen entstandene Synodalbeschluss aktuell einer neuen Virulenz und Dringlichkeit gegenübersteht. Alle Autoren mahnen deshalb – wie Susanne Talarbardon – zur Solidarität und erinnern an die Verantwortung für Andere und den Bestand der Welt als dem „harten Kern“ unserer Traditionen.

Dieser Sammelband ist im Hinblick auf die Entwicklung interreligiöser Dialoge in unserer „postsäkularen Gesellschaft“, die von neuem Miteinander geprägt ist, unbedingt zu empfehlen.

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