Basstrommelnd

African Head Charges neuer Trip

Der dumpfe Verweis droht ihm nicht: Statt Dreadlocks trägt Adrian Sherwood gesinnungspolizeilich ehrbare Glatze. Als kulturelles Aneignen krumm nehmen ließe sich dem Dub-Produzenten mit seinem Londoner On-U-Sound-Label bloß, dass er das Genre seit den 1980er-Jahren prägt. Derlei Identitätsgehuber juckte die Dub-Formation African Head Charge damals so wenig wie heute. Mit „A Trip To Bolgatanga“, ihrem ersten neuen Album seit langem, kehren sie nun zu On-U zurück, mit ihm an den Reglern.

Doch der Reihe nach: Dub ist eine Art Reggae-Tuning. Die auf Einzelspuren zerlegten Songs werden mit Effekten frisiert – Hall, Verzögerung, Samples. Als sitze man abends versonnen am See. Plötzlich steigt aus der Stille ein Vogelschwarm auf: Was zuerst erschreckt, wird Erregung, die man spirituell oder psychedelisch nennen mag. Tief, mild, berauschend. Und oft schimmert am Ende des Halls die Tür, die Erleichterung verheißt. African Head Charge bereicherten die frühe Bass Culture mit afrikanischen Beats, karibischen Rhythmen, experimentierten mit Techno und Free Jazz. Der kreative Output war groß, tanzbar immer. Percussionist Bonjo Iyabinghi Noah aus Nord-Ghana, wo er zuletzt auch lebte und weiter Unentdecktes suchte, gehörte von Anfang an dazu und leitete auch die Aufnahmen zum Album. Ambient mit viel Drive, Neugier, Respekt, Begeisterung.

Dub ist hier Methode, nicht Stil. Unmittelbare Lieblinge unter den zehn Tracks sind dennoch Reggae-identifizierbar: „Passing Clouds“ mit herrlichem Bläsersatz, das mit Disko-Beat einsetzende „Accra Electronica“, das mit weich-warmer Klarinette, gedämpfter Trompete sachte zur anfliegenden Percussion ins Wiegen kippt, oder „Microdosing“ am Ende: ein rollendes Dub-Hochamt mit Vogelzwitschern und zuckenden Effekten. Pures Bouncen. Hier ist sie wieder, die selige Tür am Ende des Halls, bloß erahnbar, aber glaubhaft. Das reicht. Und so viel zu entdecken, gleich zu Beginn in „A Bad Attitude“ mit King Ayisoba, einem der Besten aus Ghana an der Kologo, jener zweisaitigen, Banjo-ähnlichen Laute, der hier fast keckernd und dann, eher talking-mäßig, in „Never Regret A Day“ auch singt. Wechsel- und berückender Chorgesang kommt hinzu, intensive Spoken-Word-Parts wie im jede positive Psychologie in das Lachhafte drängenden „I’m A Winner“, das mit smartem „I conquer“-Rasta-Patois endet. Bei den Aufnahmen, dürfen wir annehmen, wurde auch herzhaft gelacht. Flöten-schwangere Dschungel-Geister-Reise eher düsterer Art ist „Push Me Pull You“, der Titeltrack, eine elegische Reise nach Bolgatanga in Nordost-Ghana mit den packenden Background-Vocals der von dort stammenden Akanuoe Angela.

Ein Album, das bei jedem Hören neue Seiten zeigt. Erstaunlich. Synkretismus findet allem Identitätspolitik-Furor zum Trotz statt, ist universal und nötig, wenn blind der Artilleriedonner Realität markiert. Sie auszuhalten hilft Dub von dieser Güte.

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