Offene Debatte

Diskussion um den assistierten Suizid muss neu geführt werden

Es war ein Scheitern mit Ansage: Schon im Vorfeld der Parlamentsdebatte über die rechtliche Neuregelung der Suizid­assistenz in der letzten Berliner Plenar­woche vor der Sommerpause deutete sich an, dass keiner der beiden vorgelegten Gesetzes­entwürfe eine Mehrheit erringen und letztgültig überzeugen konnte. Mit Recht. Zwar haben es sich die Parlamentarier mit ihren Entwürfen nicht leicht gemacht, bis zuletzt an ihnen gefeilt, verhandelt, um Mehrheit gerungen. Doch während der eine Entwurf den assistierten Suizid im Strafgesetz­buch festschreiben will, und damit wahrscheinlich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht gerecht wird, droht der andere mit seinen neu zu schaffenden Beratungsstrukturen und Fristen zu einer Normalisierung des assistierten Suizids zu führen.

Beim ersten Entwurf wäre die Suizid­assistenz für schwerstkranke Sterbende schwieriger geworden, für Menschen in Lebenskrisen jedoch lägen die Hürden auf dem Weg in den Tod im zweiten Entwurf deutlich niedriger (siehe auch www.zeitzeichen.net/node/10575 und www.zeitzeichen.net/node/10516). Hinter jedem Wunsch nach assistiertem Suizid steht ein individuelles Leben. Eine Ausgestaltung eines solchen Gesetzes muss viele Menschen in für sie scheinbar ausweglosen Situationen im Blick haben, sozial isolierte und psychisch kranke oder solche, die am Ende des Lebens angekommen sind, womöglich schwerst leidend. Es stellt sich die Frage, ob man ihnen allen mit ein- und dem­selben Regelwerk gerecht werden kann.

Und so bleibt erst einmal alles, wie es ist: Deutschland hat die liberalste Regelung zum assistierten Suizid, die es in Europa gibt. Und wenn man weiß, dass in diesem Land jährlich knapp 10 000 Menschen durch einen Suizid sterben, 200 durch eine Suizidassistenz, dann muss der Fokus von Staat und Gesellschaft auf einem konsequenten Ausbau der Suizid­prävention, der Palliativmedizin und der Palliativpflege liegen, wie es auch die EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus in ihrer Stellungnahme betont. Dann darf man nicht den zweiten Schritt vor dem ersten machen, in aller Eile ein Suizidgesetz beschließen, ohne die Prävention auszu­bauen. Deshalb ist es richtig und begrüßenswert, dass sich die Parlamentarier fast einmütig für einen Ent­schließungsantrag zur zügigen Stärkung der Suizidprävention ausgesprochen haben. Das heißt: Die Bundesregierung muss dem Bundestag nun bis zum 31. Januar 2024 ein Konzept vorlegen, wie zeitnah bestehende Strukturen und Angebote der Suizidprävention unterstützt werden können. Dazu einen Gesetzentwurf und eine Strategie zur Suizidprävention bis Juni 2024, in denen Maßnahmen und Akteure koordiniert und eine dauerhafte sowie zeitnahe Umsetzung sichergestellt werden.

Das alles wird nicht zum Nulltarif zu haben sein.Dazu bedarf es aber auch einer gesellschaftlichen Haltung, die das Leben nicht allein deshalb für sinnlos erklärt, weil man Hilfe annehmen muss. Zudem müssen wir uns fragen, wie wir ein Lebensende gestalten und die ohnehin vorhandene Diskriminierung von Alten und Kranken abbauen können. Offene Gespräche und Debatten sind nötig, in der Gesellschaft und im Parlament. Es braucht Zeit, diese zu führen, und Aufklärung. Denn der selbst­gewählte Tod darf keine selbstverständliche Option des Sterbens werden, aber sollte in ausweg­loser Situation möglich sein.

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Kathrin Jütte

Kathrin Jütte ist Redakteurin der "zeitzeichen". Ihr besonderes Augenmerk gilt den sozial-diakonischen Themen und der Literatur.


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