"Da kannst Du nicht mitreden!“ Ihr Baucherleben betrachten Cisgender-Mütter mitunter als Argument. Es ist ein biologistisches Basta, das vor allem gegenüber Vätern einen Vorsprung behauptet. Besitzergreifenden Umgang mit den Kindern rechtfertigen sie damit oft gleich mit. Was werden sie da erst zur genderqueeren Ezra Furman sagen, die sich mittlerweile „she“ und ihre Elternschaft „Mutter“ nennt?
Wir pfeifen drauf und hören lieber sie! Zwölf Songs hat ihr neues Album „All Of Us Flames“. Dabei Furmans Transidentität zu kennen, ist bereichernd, notwendig nicht, geht es doch stets um Gemeinmenschliches: Liebe, Einsamkeit und Angst, Ablehnung, Anfeindung und wie damit umzugehen sei. Die Antwort prägt das Album: mit Zuwendung, Geltenlassen, Respekt. Dass dies in ihrer oft angefeindeten Community besonders wichtig sei, schwingt mit. Angriffe drohen täglich, auch tödliche, in den USA wie bei uns. Von Betroffenheitsgesten oder lautem Aktivismus ist hier aber keine Spur. Sie textet als Mensch – offenherzig, eingängig, mit Alltag und Abgründen. Und die Zahl ihrer Fans wächst ständig, nicht zuletzt wegen des speziellen Ezra-Furman-Sounds, der intensiv Tanz, Ernst und Lebensfreude, Schwere und Leichtigkeit vereint: Doo-Wop-basiert und also Chor-begeistert, herzhaftem Gospel wie dem Soul nahe, rolling und mitunter auch verhalten, im Erzählstil in Dylans Talking ebenso versiert wie mit Leonard Cohens süßlich Hymnischem vertraut oder Springsteens Suche nach Weite. Und punky kann und ist sie auch.
All dies trägt ihr weicher, eindringlicher Tenor auf eine Weise, die selbst heftigster Melancholie den Zahn zieht, etwa in „Point me toward the real“, wo jemand nach einem Absturz und frischer Entlassung aus der Psychiatrie vor der Frage steht: Wo kann ich hin, wer hört mir zu und stellt keine falschen Fragen? Immer kommt es aufs Wesentliche an: „Point me toward the real“. Ein energischer Song mit wunderbarem Bläsersatz. Im (wie das ganze Album) Synthie-geprägten „Forever in Sunset“ legt eine Frau dem Geliebten ihre Abgründe offen: Weil sie nie ankommen und darum besiegt, an einem Ende sein könne und wolle, sei eben der Sonnenaufgang ihr Lebensmodus. Das solltest du wissen! Gedanken an „bis dass der Tod euch scheide“ oder Pension kommen da erst gar nicht auf.
Furman ist wieder mal mittendrin. Zarte Balladen und Pathos, zu dem man stehen kann, gibt es auch. Sie kann es sich leisten, und mit ihr wir. Ankerpunkt ist das eindringliche „Book of Our Names“: „I want there to be a book of our names / None of them missing, none quite the same / None of us ashes, all of us flames / And I want us to read it aloud“. Große Wünsche, die wir teilen. Furmans Ansatz ist identitätsspezifisch, die Botschaft universal. So relevant und lebensnah kann Pop sein. Mitreden kann hier jeder.
Udo Feist
Udo Feist lebt in Dortmund, ist Autor, Theologe und stellt regelmäßig neue Musik vor.