Ist Umkehr (noch) möglich? Wieder einmal tagte eine Weltklimakonferenz, diesmal in Glasgow. Wieder einmal gab es nicht den großen Durchbruch im Kampf gegen den Klimawandel. Wieder einmal gab es viele wichtige Voten und Ankündigungen freiwilliger Maßnahmen. Und wieder einmal bange Fragen: Wie weit trägt das Prinzip der Freiwilligkeit, das keinen Staat oder politisch Verantwortliche in eine Pflicht zur Umsetzung nimmt, vielmehr auf Verantwortungsübernahme aus Überzeugung setzt?
Ist Umkehr (noch) möglich? Da wird berichtet, dass der Premierminister des gastgebenden Landes nach seinem eindringlichen Appell, „den Klimawandel wirklich ernst zu nehmen“ („eine Minute vor Mitternacht“, so seine Zeitansage), den Weg von Glasgow nach London mit dem Flugzeug zurücklegte, um noch rechtzeitig an einem abendlichen Dinner teilnehmen zu können. Und auch die Präsidentin der Europäischen Kommission nutzte in diesen Tagen den Flieger für die kurze Strecke zwischen Wien und Budapest. Nun ist es billig, die beiden an den öffentlichen Pranger zu stellen – und geschieht doch. Denn es entlastet die anderen, die „einfacheren“ Menschen davon, ihr eigenes Verhalten zu ändern, den eigenen CO2-Fußabdruck zu verringern. Doch wer wagt hier eine klare Botschaft? Wer wagt, dies auszusprechen: „Es kommt auf jede und jeden an.“ Und: „Solche Änderungen bedeuten Einschränkungen in fast allen Bereichen des Lebens, wie Mobilität, Wohnen, Essen, Kleidung …“
Da kommt mir Jona in den Sinn: Umkehr sollte er in Gottes Namen den Leuten in Ninive ob ihrer Bosheit predigen. Doch er flieht vor Gott, möglichst weit weg übers Meer. Doch Gott verfolgt ihn und stürzt das ganze Schiff in große Seenot. Jona übernimmt dafür die Verantwortung und bittet die Seeleute, dass sie ihn ins Meer werfen. Zunächst weigern sie sich, sich so schwer zu versündigen. Aber alle eigene Kraftanstrengung beim Gegen-Rudern gegen den Sturm hilft nicht. Das ganze Schiff droht unterzugehen. Da werfen sie schließlich Jona doch ins aufgewühlte Meer. Und das Meer wird still. Jona ist von der Bildfläche verschwunden. So endet das erste Kapitel des Buches Jona. Es beginnt mit seiner Flucht vor Gott. Und es endet mit seinem Untergang im stürmischen Meer.
Jonas Geschichte bringt mich neu ins Nachdenken: Fehlt es heute vielleicht gerade daran, dass solch konkrete Umkehr zu wenig gepredigt wird? Dass die Verkündiger:innen versuchen, die Menschen nicht zu verschrecken, gar so zu verärgern, dass sie sich abwenden, sei es von einer Partei, der Kirche, einer anderen Gruppe; dass die Verkündiger:innen daran zweifeln, ob ihr konkreter Ruf zur Umkehr wirkt? In Ninive, so erzählt die Jona-Geschichte weiter, nahmen die Menschen auf der Straße wie auch der König den Ruf des im Bauch des Fisches geretteten Jona ernst und kehrten um. Da kehrte auch Gott selbst um von seinem Zorn und zeigte sich barmherzig.
Umkehr ist möglich, so erzählt die Geschichte von Jona. Und: Dazu braucht es Menschen, die Klartext reden und den Menschen zumuten und zutrauen, dass sie umkehren – und die vor diesem Auftrag nicht fliehen.
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Ilse Junkermann
Ilse Junkermann ist Landesbischöfin a.D. und Leiterin der Forschungsstelle „Kirchliche Praxis in der DDR. Kirche (sein) in Diktatur und Minderheit“ an der Universität Leipzig.