In Bachs heiterer Werkstatt
Bei den diesjährigen Appenzeller Bachtagen, die seit 2014 zum fünften Mal in der Schweiz stattfanden, ging es schwerpunktmäßig unter dem Motto „Bachs Werkstatt“ um die ziselierte Kunst des Parodierens, Arrangierens und Erstellens, die J.S. Bach wie kein anderer beherrschte. Zeitzeichen-Chefredakteur Reinhard Mawick konnte dabei sein.
Das Zimmer ist wüst und leer. Ja, traurig war es einstmals in Bachs berühmter „Componirstube“. Allerdings wohl nur auf dem einzigen Foto, was von derselben erhalten blieb. Es entstand 1902, kurz bevor die alte Thomasschule abgerissen wurde. Zu Bachs Zeiten hingegen muss es dort jedoch eher hergegangen sein wie im Taubenschlag.
So schildert es zumindest Christoph Wolff, der weltberühmte Musikwissenschaftler und Nestor der Bachforschung bei seiner Akademiestunde, die er im Rahmen der Appenzeller Bachtage vergangene Woche im malerischen Teufen/AR im Appenzeller Land in der Schweiz auf dem Berge über St. Gallen abhält: Bach notierte, häufig unter großem Zeitdruck, und die Kopisten kamen, rissen dem Meister die Blätter aus der Hand und rannten ins Nebenzimmer, um Stimmen zu schreiben, denn die Zeit, sie saß im Nacken! Besonders in jenen fieberhaften ersten beiden Leipziger Jahren Bachs von Sommer 1723 an, als er fast für jeden Sonntag eine neue Kantate zu komponieren hatte. Und mit dem Komponieren war es dann ja nicht getan, denn geprobt werden musste auch.
Leider sind viele Details aus Bachs „Componirstube“ und dem Geschehen ringsum im Dunkeln, vieles erscheint heute unvorstellbar, die Frage lautet schlicht: „Wie war das alles zu schaffen?“ Irgendwann Mitte der Woche bekamen die Thomaner damals ihre Stimmen, die mussten sie dann mit ihren Präfekten und Stimmführern pauken und sicher – je nach individueller Fähigkeit – auch noch allein. Und das alles nur mit einem Blatt mit einer linearen Stimme in Händen, ohne Basslinie und harmonische Umgebung. Ach, was wäre man gerne mal dabei gewesen!
Wenn man Christoph Wolff zuhört, der sich ein langes Wissenschaftlerleben mit Bach rauf und runter beschäftigt hat und im Mai seinen 84. Geburtstag feiern konnte, dann wird einem vieles klar: Zum einen beispielsweise, dass Bach ja damals zu Beginn des 18. Jahrhunderts nicht einfach im Schreibwarenladen einkehren und stapelweise Notenhefte kaufen konnte – viel zu teuer beziehungsweise gar nicht möglich. Nein, nein, er musste das Papier selbst herstellen und zwar mit dem sogenannten Rastrall, einer Art Tintenkamm. Und zum andern beispielsweise, dass es auch reichlich Feier- und Festtage unter der Woche gab, geistliche wie weltliche, die angemessener Werke aus des Thomaskantors Feder harrten. „Ach Du meine Güte“, denkt es im Luxusmusicus des 21. Jahrhunderts, wenn er beginnt, sich das vorzustellen …
Foto von Bachs Componirstube, kurz vor dem Abriss der alten Thomasschule, 1902
Der weltberühmte Bachforscher Christoph Wolff bei der Akademie der Appenzeller Bachtage am 22. August 2024 in Teufen/AR (Schweiz).
Für einige der aufmerksamen Zuhörer Wolffs im Lindensaal zu Teufen hatte dieser Mittwoch schon lange vorher begonnen, wenn es hieß: „Singen in der Früh“: Man traf sich morgens um 7:00 Uhr am Shuttlebus und fuhr zur lieblichen Kirche ins nahegelegene Stein/AR und hatte dort schon mit Hilfe und Anleitung des Quartetts der J.S.-Bach-Stiftung unter Führung des kompetent-charmanten Philippe Rayot eine halbe Stunde Choräle gesungen. Und nicht nur das: An diesem ersten Frühsingmorgen bat man auf besondere Weise in eine Bach-Werkstatt, denn – so Rayot – „jetzt machen wir etwas ganz Verrücktes“. Und dann ließ er die versammelte Singgemeinde nach sorgsamer Einführung unisono das Rezitativ „So wie der Hirsch nach frischem Wasser schreit“ – eigentlich für Alt-Solo – mit allen singen. Das hätte Bach sicher nicht gemacht, aber es machte schlicht Spaß, und klappte ohne großes Rumproben sehr ordentlich, obwohl so manche Sprünge nicht ohne waren.
Philipp Rayot (rechts) mit einem Quartett der J.S.-Bachstiftung begleitet das tägliche „Singen in der Früh“.
Auf diese Weise gestärkt konnte man auch gut den Tag angehen, wo es dann am Freitag ganz praktisch an das Thema „Bachs Werkstatt“ ging. Rudolf Lutz, Impresario des Festivals und musikalischer Tausendsassa in Sachen Präsentation, Virtuosität und Humor hatte sich mit dem renommierten Bachforscher, Germanisten und Musikwissenschaftler Anselm Hartinger zusammengetan, der im Hauptberuf Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums in Leipzig ist und im Nebenamt den Appenzeller Bachtagen als Co-Intendant dient. Die beiden schlüpften dieser Tage in die Rolle Bachs und eines seiner Textdichter.
Das Objekt ihrer dichtenden und komponierenden Taten war die Bachkantate BWV 207. Es handelte sich um die Kantate „Vereinigte Zwietracht der wechselnden Saiten“, die Bach 1726 komponierte, um die Ernennung eines gewissen Gottlieb Kortte als Juraprofessor in Leipzig zu feiern – eine festliche, prachtvolle Musik mit Hörnerklang (näheres siehe hier).
Die Musik dieser Kantate hat Bach dann neun Jahre später mit komplett geändertem Text für eine Huldigungsmusik anlässlich des Namenstages von Kurfürst Friedrich August III. von Sachsen am 3. August 1735 in großen Teilen wiederverwendet. Und Ende August desselben Jahres 1735 gab es anlässlich des jährlichen Ratswechsels auch eine festliche Musik – leider weiß man – wie so oft in bei Bach – nur das „dass“, aber nicht das „was“, denn die Ratsmusiken sind nur sehr lückenhaft überliefert, und die Quellenlage ist bescheiden. Aber was läge näher, als dass Bach und sein Dichter wenige Woche nach dem „Event“ des Namenstages diese prächtige Musik verwendet und textlich „umgeswitcht“ erneut verwendet haben könnten?
Dieser Hypothese hatten sich Lutz und Hartinger lustvoll bemächtigt und pünktlich zu den Appenzeller Bachtagen in diesem Jahr eine Parodie der Kantate BWV 207, respektive BWV 207a, vorgelegt. In der Regel gilt: Arien und Chöre werden einfach neu textiert, Rezitative werden meist neu komponiert, denn die Töne dieser feingliedrigen Sprechgesänge textlich eins zu eins zu ersetzen, funktioniert nicht. Es würde in fruchtloses Silbe-gegen-Silbe-Zählen ausarten. Und da die BWV-207-Vorlage sehr, sehr lange Rezitativpassagen enthielt, war Hartingers Textierungsaufgabe durchaus anspruchsvoll, zumal es dem gelernten DDR-Bürger Anselm Hartinger (*1971) nicht nur darum ging, eine gut singbare gefällige Textfassung zu liefern, sondern eine, die sich von vormoderner Obrigkeitsehrfurcht glaubhaft verabschiedet und so für öffentliche, gleichsam „Ratswahl-ähnliche“ Anlässe im 21. Jahrhundert attraktiv sein könnte.
„Gerechte Regierungsführung, gelingendes Miteinander“
Und das Werk der beiden Künstler, die sich augenzwinkernd zu diesem Behufe in „Johann Anselm Clauder“[1] (Hartinger) und „Johann Rudolf von Lutzenbach“ (Lutz) umbenannt hatten, wurde dann zum Abschluss der Appenzeller Bachtage in einem Festgottesdienst in der Evangelisch-reformierten Kirche in Teufen aufgeführt. Es war den beiden wichtig, wie sie im Vorwort der Partitur noch einmal betonten, in den Texten, die zu einer Kantate zu einem „politischen“ Anlass gehörenden heutigen Herzensthemen zu schärfen, wozu „gerechte Regierungsführung, gelingendes Miteinander in der (Stadt-) Gesellschaft und vor allem innerer und äußerer Friede“ gehören. Und dies alles „in barocker Sprache für heute“. Jede/r mag sich ein eigenes Urteil bilden, wieweit dies gelungen ist. Der Autor dieser Zeilen hält diese anspruchsvolle Dichtung für außerordentlich gelungen (siehe gesamten Text unten!). Verglichen mit den realen Ratswahlkantatentexten des 18. Jahrhunderts, in denen unkommentiert Sätze wie „Die Obrigkeit ist eine Gottes Gabe, ja selber Gottes Ebenbild“ (so zum Beispiel in BWV 119) und ähnliches stehen.
Als musikalisches Modernisierungsstatement, ja als musikalische Zeitansage, ist auch der neukomponierte Eingangssatz zu sehen, in dem sich modernitätssensible Zeitansage und musikalische Stimmigkeit vereinen: Dem Duo Hartinger/Lutz alias Clauder/von Lutzenbach erscheint es eben nicht statthaft, dass Ratswahlkantaten, die auf eine demokratisch verfasste Gesellschaftsform gemünzt sein sollen, mit glorifizierenden Pauken und Trompetenchören beginnen, sondern mit Demut. So komponierte Lutz das eindrucksvolle Eingangsdictum „Unsere Väter hofften auf dich“ (Psalm 22) für Bass-Solo und Orchester. Er verwendete dabei den langsamen Satz des 1. Brandenburgisches Konzertes (Adagio – hier eine Aufnahme mit dem Freiburger Barockorchester) als Material. Das korrespondiert mit dem folgenden Eingangschor, für den Bach selbst schon 1726 den Eingangssatz des 1.Brandenburgischen Konzertes verwendet hatte (hier die Gesamtfassung). Hätte Bach heute es auch so gemacht? Wer weiß …
Nun ist die neuzeitliche Veränderung der Texte Bachscher Kantaten natürlich ein heikles Feld: Man denke nur an die schauerlichen Versuche der Nazis, alle jüdisch-biblischen Bezüge zu tilgen oder an die öden Versuche interessierter politischer Kreise in der DDR, sozialistische Bachkantatentexte zu kreieren (wovon Anselm Hartinger in den Tagen des Festivals aus der Perspektive des erleidenden Zeitzeugen erzählte). Aber dieser freundlich-kreative Demokratisierungsversuch im gekonnt barocken Gewand (die Barocksprache passt nun mal zu Bachs Musik am besten, denn sie stand im Hintergrund seines Denkens) von Hartinger verdient auf jeden Fall eine Chance und BWV 207 hl[2] möge auf jeden Fall weitere Aufführungen zu wünschen. In Deutschland würde sich zum Beispiel der 3. Oktober anbieten – zuweilen gibt es an diesem Tage ja auch Gottesdienste. Ja, mehr noch: Hartingers und Lutz` ambitionierte Kantate „Unsere Väter hofften auf dich“ könnte durchaus ein Anfang sein, dass in diesem Parodieverfahren Bachs Kantaten in ganz neuer Weise für den „musikalischen Alltag“ unserer Zeit erneut attraktiv werden. Material hätte es ja genug ...
Aufführung der Kantate BWV 207 hl im Festgottesdienst am 25. August 2024 in Teufen/AR (Schweiz).
Sehr viel mehr gäbe es von diesen fünften Appenzeller Bachtagen zu berichten, beispielsweise von lebhaften gesellschaftspolitischen Diskussionen über kulturelle Aneignung mit Mithu Sanyal und Markus Somm (brillant und klar moderiert von Barbara Bleisch), von einer gediegenen „normalen“ Kantatenaufführung der Originalkantate BWV 207 „Vereinte Zwietracht der wechselnden“ Seiten, von einem berückenden Auftritt des Appenzeller Jugendchores, von einem sehr spektakulären Jugendprojekt mit raumgreifender Uraufführung des Komponisten Janos Mijnssen im Zeughaus zu Teufen und von einem sehr tiefsinnigen Vortrag des Theologen Karl-Josef Kuschel zum Thema „Begreifen, was mich ergreift – Erfahrungen mit der Musik von Johann Sebastian Bach“ vor erlesenem Kreise in einem Privathaus. Auch könnte man viel erzählen über die Atmosphäre der fünf sehr besondere Begegnungstage und was dort in Vergegenwärtigung und im Banne der Bach’schen Musik im Nachdenken und Diskutieren darob stattfand. Typisch Bach à la Schweiz Abteilung Appenzell eben! Am nachhaltigsten aber könnte sich die fulminante Neuschöpfung der Kantate BWV 207 im demokratischen Gewande erweisen. Möglicherweise sagen wir später: Teufen 2024 war die Initialzündung.
Was bleibt? Vorfreude auf das (hoffentlich) nächste Festival 2026 und die große Hoffnung, dass sich für dieses segensreiche Schweizer Bachschaffen auch auf die lange Sicht gute Zukunftsperspektiven ergeben können – vor Ort und in aller Welt. (Vergleiche dazu „Optimistisch? – Absolut!“ das Gespräch mit Konrad Hummler auf zeitzeichen.net).
Weitere Infos und alle Programme der einzelnen Veranstaltungen:
Ein Beitrag von Bernd Heyder im Deutschlandfunk zu den Appenzeller Bachtagen am Montag, 26.August 2024.
Weiteres Material:
Hier finden Sie den Text der von Anselm Hartinger (alias), den Rudolf Lutz in Teilen (Nr. 1 und sämtliche Rezitative) neu nach Bach’schen Vorbildern und im Bach’schen Stile vertonten Kantate „Unsere Väter hofften auf dich“ (BWV 207 hl), die am 25. August im Festgottesdienst in der Evangelisch-reformierten Kirche in Teufen/AR (Schweiz) uraufgeführt wurde:
1. Concerto — Bass
Unsere Väter hofften auf Dich, und da sie hofften, halfst Du ihnen heraus. (Psalm 22,5)
2. Coro
Lobsinget dem Höchsten, ihr dankbaren Chöre,
frohlockende Pauken, entfesselt den Schall!
Gott macht die Riegel der Tore noch fest,
bietet den Bund uns zu schließen aufs Neue,
errettet von Zwietracht und Fall,
fordert von uns nur die glaubende Treue
die uns zum Trost die Hoffnung läßt.
3. Recitativo — Tenor
Der heutge Freuden-Tag soll wieder uns verbinden,
da wir in Gottes Haus uns wie von alters her zusammenfinden,
um unsern Großen Rat
ins schwere Amt zu tragen,
und ihm – auf Frist und Zeit
zu nöt‘gem Dienst bereit –
Gefolgschaft zuzusagen.
Wir wählen den Senat,
doch niemand weiht ihn ein
als nur der Himmel selbst, der höchste Herr allein.
Dieweil an dessen Segensgunst,
hienieden alles hängt,
drum prüfe, wer zu dieser Macht sich drängt,
ja, wer auf Erden prangt und schaltet,
ob auch der Liebe und Vergebung Brunst
in seinem Herzen waltet.
O wunderweise Tat,
ein David hört auf kluger Frauen Rat,
ein König beugt sich seinem Knechte,
und tut aus Gnad und Huld für seine Stadt das Rechte.
4. Aria — Tenor
Geleite, Herr, die uns regieren,
dass sie auf rechtem Wege gehn.
Die Demut adle das Beginnen.
Die Weisheit leite eure Sinnen,
daß ihr nach einst vollbrachten Jahren
da ihr des Dienstes Last erfahren
den Lohn der Tugend möget sehn.
5. Recitativo — Alt, Bass
Es geht uns wohl! In unsern satten Auen,
kann man von solcher Lust manch schön Exempel schauen:
den wohlgefügten Bau der Kirchen und Chalete,
die Tafel ist gedeckt, nicht nur mit Brot und Bete,
dem, der noch stets und mehr
allein durch Herkunft und Salär
vom Besten kann erlangen.
Doch ziert es eine Stadt, wenn nur die einen prangen?
Solang der Arme, der Verstossne, trinkt aus seinem Tränenkrug,
wo sich des lang erdienten Trostblicks Trug
mit bittrer Galle mischt,
dieweil das Licht verlischt
in stillen Seelenkammern.
Des flüchtgen Geldes Glanz,
das schön gelockte Haar,
der wohlgesetzten Worte Pracht,
ist vor des Herren Tag nur finstre Herzensnacht,
denn, was um Stolz und Gier erdacht,
bringt selten Glück für viele.
Die wahre Tugend heißt allein,
zu jedermann gerecht, doch auch barmherzig sein.
Drum wendet das Gesicht, ihr Konsuln und Ädile,
von leeren Titeln ab, teilt gute Gaben aus,
speist selbst vom Sorgenbrot, so wird ein Segen draus,
und führt, die elend sind, in euer eignes Haus:
So wird der Lindenstaat,
Vom Sodomssitz der Klage,
Zum Zion guter Saat,
Zum Tabor unsrer Tage!
6. Aria — Alt
Schenket dieses Reichtums Fülle
Allen Gotteskindern ein.
Niemand kann für sich allein
Glück und Seligkeit erwerben:
Mittun ist das rechte Erben!
Wenn die Stadt als die Gemeine
neu ersteht durch Groß und Kleine
wird sie wohlgegründet sein.
7. Choral
Herr, regier zu allen Zeiten
meinen Wandel hier auf Erd,
daß ich solcher Seligkeiten
einst aus Gnaden fähig werd!
Gieb, daß ich mich acht gering,
meine Klag nur vor dich bring:
Sanftmuth auch an Feinden übe,
die Gerechtigkeit stets liebe!
8. Recitativo — Sopran, Bass, Tenor, Alt
Zuletzt, fehlt da nicht noch ein Gut,
das uns so wohl als nötig tut?
O Herr! der du uns niemals abgewiesen:
Dein edler Friede sei gepriesen!
Beim Grollen der erschröcklichen Kartaunen
stirbt Merkur einen frühen Tod,
und wo die scharfen Waffen blitzen,
der Würger selbst im blutgetränk
kann niemand je in Ruhe sitzen,
noch sein Verdienst und die erhandelte Bilanz
ins Steuerbuch einritzen.
Drum wappnet euch, ihr Bürger und Hauptleute,
daß ihr nicht gebt dies treue Land zur Beute
solch bösem Feinde hin / wir kennen, ihn zu strafen,
mit guter Macht, den besten Para-Grafen;
Dies hehre Wort sei unser Wappenschild:
Daß Friede herrscht, wo Freiheit gilt.
Denn schließt solch Friede nicht auch ein,
dem Nächsten sein Plaisir zu lassen?
Einander nicht (wie’s mancher tut), um zeitlich Gut, verfloßne Schuld,
ja bloßes Meinen hin zu hassen?
Kein König kann Levit / zugleich und Priester sein!
Ist niemand ohne Fehl, so braucht es keinen Stein!
Es war der Väter Hoffen stets
wie auch der Mütter, Kinder Bitte,
Daß steter Friede _eußt,
dem linden Aaronsbalsam gleich,
aus Gottes Reich in unsres Lebens Mitte.
Drum eilt herbei, Musik und Saitenspiel
stimmt hurtig an, auf dass es uns gelingt,
und unser Sehnsuchts-Schrei bis an den Himmel dringt
9. Coro
Friede, Friede, sei im Lande, Friede, Friede allem Stande!
Recht und Treue stets aufs Neue stiften edle Friedensbande!
Nur der Friede kann allein
unsrer Wohlfahrt Gründung sein,
wo der Pflug das Schwert besiegt,
Mars den Musen unterliegt,
wählt das Glück sich seine Stelle,
wohnt Gott selbst in unsrer Stadt,
die um deines Friedens Quelle
dürstend sich versammelt hat.
Die Ausführenden waren:
Miriam Feuersinger, Sopran
Alex Potter, Altus
Bernhard Berchtold, Tenor
Matthias Helm, Bass
Chor der J. S. Bach-Stiftung
Orchester der J. S. Bach-Stiftung
Leitung: Rudolf Lutz
[1] Johann Christoph Clauder ist der Textdichter der Huldigungskantate BWV 215 „Preise dein Glücke, gesegnetes Sachsen“ von 1734, die der 1.Kantate des Weihnachtsoratoriums BWV 248 als Vorlage diente und damit natürlich potenziell ein möglicher Dichter eine Parodie wenige Monate später für eine Ratswahlkantate unter Verwendung des musikalischen Materials 1735 (siehe hier).
[2] Das Kürzel „hl“ kann und soll natürlich (auch) als Kennzeichnung der (Mit-)Schöpfer Hartinger und Lutz gelesen werden. Die beiden selbst aber meinen es als Widmung für eine andere Person, nämlich für Liesbeth Hummler, die Ehefrau des Mäzens Konrad Hummlers. Hartinger und Lutz schreiben dazu in der Partitur am Ende des Vorwortes:
Die gar nicht so geheime wichtigste Regierungstugend und Seele allen Miteinanders in der Welt und Kunst ist und bleibt aber die großzügige Herzensgüte und geduldige Hingabe an gemeinsame Ziele und Visionen. Es ist der vertrauende Glaube an Menschen und ihre zum Guten verändernde Kraft, der gerade auch diese
Stiftung zu einer „Familie“, einer „Familienunternehmung“ im allerbesten Sinne des Wortes gemacht hat. Daher sei diese Kantate niemand anderer als Liesbeth Hummler gewidmet, die dieses und viele weitere Unterfangen seit so vielen Jahren engagiert mit angestoßen und ausdauernd befördert hat. Ihre Initialen soll man der von uns für die Kantate gewählten Nomenklatur BWV 207hl von nun an gern mit beilegen.
Anselm Hartinger, alias Johann Anselm Clauder
Rudolf Lutz, alias Johann Rudolf von Lutzenbach
Reinhard Mawick
Reinhard Mawick ist Chefredakteur und Geschäftsführer der zeitzeichen gGmbh.