Das Menschliche im Blick

Mannheimer Kunsthalle präsentiert die britische Künstlerin Sarah Lucas
Sarah Lucas: Six Cent Soixante Six, 2023.
Foto: Katie Morrison/Courtesy Sadie Coles HQ, London
Sarah Lucas: Six Cent Soixante Six, 2023.

Eine Frau sitzt lässig da, dem Betrachter zugewandt, ganz selbstverständlich. Doch etwas stimmt nicht: Auf ihrem T-Shirt liegen in Brusthöhe zwei Spiegeleier, die eine nackte Oberweite vortäuschen. Unweigerlich richtet sich der (männliche) Blick auf die Spiegeleier. Und man begreift, dass es hier um die Natur oder auch nur soziale Konvention des Begehrens geht – und um deren witzige Ironisierung. Alles das, denkt man dann, verrät der Blick der Frau, die einen direkt ansieht. Es ist ein Schauen, das den konventionellen Blick entlarvt. Und das tut ja auch diese ganze inszenierte Fotografie der britischen Künstlerin Sarah Lucas mit dem Titel „Selbstporträt mit Spiegeleiern“.


Die retrospektive Ausstellung, welche die Mannheimer Kunsthalle der renommierten Künstlerin bis zum 20. Oktober widmet, trägt den Titel Sense of Human. Es geht eben um den Sinn für Menschliches, den Lucas’ Kunst charakterisiert. Und „human“ klingt und liest sich fast wie „humour“, Humor, den die Arbeiten ebenfalls bezeugen. Männliche Lust und weibliche Rollenbilder – das sind die Leitthemen der Künstlerin. Sie umspielt Lucas immer wieder, die in den 1980er-Jahren im Kreis der „Young british Artists“, zu dem auch Damien Hirst zählte, bekannt wurde. Und Lucas ironisiert sie stets aufs Neue. Das unternimmt die 1962 geborene Künstlerin in verschiedenen Stilen und Techniken – in Fotografien wie in skulpturalen Arbeiten und Installationen.

Rauer Charme

Ein rauer Charme zeichnet diese Kunst aus. Zumal die frühen Fotografien geprägt sind vom Arbeitermilieu, dem Lucas entstammt. Ein schwarz-weißes Bild zeigt sie auf schäbigem Mobiliar sitzend vor einem Second-Hand-Laden. Schon hier fasst sie die Betrachter genau ins Auge. Überhaupt die Möbel: Ein Schreibtisch, Schrank oder eine Tiefkühltruhe verteilen sich im Raum, als Bestandteil von Installationen oder für sich stehend. Menschen und Möbel, das fügt sich zusammen; auch das zählt zum „Sense of Human“. Eine Badewanne ist vertreten, die Erinnerungen weckt an Duchamp oder Beuys. Eine abgewetzte Matratze, die neben dem Porträt mit Spiegeleiern zu Lucas’ bekannteren Arbeiten zählt, ist ebenfalls dabei: „Au Naturel“ aus dem Jahr 1994. Als Besonderheit und komische Darstellung von Geschlechtsmerkmalen ragen auf einer Seite zwei Melonen hervor, auf der anderen eine Salatgurke mit zwei kleinen Mandarinen. Kunsthistorische Referenzen findet man noch häufiger: Ein riesiges Sandwich erinnert an die „Soft Sculptures“ von Claes Oldenburg. Oder man denkt an Jeff Koons, dessen knallige Ballonfiguren den gefüllten Strumpfhosen von Lucas ähneln. Aus solchen prallen Strümpfen formt sie zum Beispiel eine drollige Kaskade weiblicher Brüste.

Ein echter Blickfang ist die Installation „666“: ein schicker knallgelber Triumph-Sportwagen, auf dem sich kuriose Wesen räkeln, weiblich offenbar, mit langen Beinen und vier Brüsten. Natürlich wird auch hier ein Geschlechterklischee aufs Korn genommen, zusammen mit der Werbe-Ikonographie der 1960er- und 1970er-Jahre. Zugleich bedrängt einen die Frage, wie sich die Bilder fortentwickelt haben – und wie man sich persönlich zu ihnen verhält. Mehr als nur interessant sind auch die weiteren Fotoarbeiten: Immer ist Sarah Lucas selbst zu sehen. Auf einer Aufnahme wirkt sie groß wie eine Riesin und hat einen Fuß drohend erhoben – ob sie die ihr in starker Untersicht begegnenden Betrachter wie Insekten zertreten könnte? Die Arbeit, welche die anregende Schau beschließt, zeigt Lucas wieder sitzend; zwischen ihren in legeren Sportschuhen steckenden Füßen thront ein Totenschädel. Menschlich, allzu menschlich ist schließlich auch die Vergänglichkeit – doch man sollte die Zeit, die bleibt, sinnvoll nutzen. Und dazu beitragen kann eben auch der Umgang mit Kunst.

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