Schweben im Ungewissen

Theologische Reflexionen über die Nachhaltigkeit von KI
Seit 2020 bilden fünf autonom fahrende Elektrobusse eine eigene Linie, die zwischen dem Busbahnhof in MonheimMitte und der Altstadt verkehrt. In den Bussen können bis zu elf Fahrgäste mitfahren.
Foto: picture alliance/Rupert Oberhäuser
Seit 2020 bilden fünf autonom fahrende Elektrobusse eine eigene Linie, die zwischen dem Busbahnhof in MonheimMitte und der Altstadt verkehrt. In den Bussen können bis zu elf Fahrgäste mitfahren.

Hilft Künstliche Intelligenz beim nachhaltigen Wirtschaften? Mit Blick auf den Wasser- und Stromverbrauch der Rechenzentren nicht. Gleichzeitig kann sie aber helfen, Energie effizient zu nutzen und zu verteilen. Es kommt auf die politische Regulierung an, meint Constantin Gröhn, Wissenschaftlicher Referent für Theologie und Wirtschafts­ethik beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt der Nordkirche. Doch auch Kirche und Theologie können Beiträge zum Thema liefern.

Der Kölner Indiepop-Musiker und Autor Peter Licht träumte davon, zu schweben, zu fliegen – ohne den Schrecken eines möglichen Aufpralls. In seinem Song „Die Technik wird uns retten“ öffnet sich ein Raum von scheinbar grenzenlosen Möglichkeiten. Das dazugehörige Album „Beton und Ibuprofen“ von 2021 taucht in die Abgründe der modernen Welt ein und versucht, uns aus den zubetonierten Zuständen zu befreien, die uns Kopfschmerzen bereiten: „Wir fuhren in einem führerlosen Fahrzeug / Und das Fahrzeug fuhr fehlerfrei.“ Diese Zeilen sind Träume aus dem Stoff unserer neuen Wirklichkeit, wahr und doch auch illusionär zugleich.

Künstliche Intelligenz (KI) wird oft als Allheilmittel für die drängendsten Probleme unserer Zeit angepriesen, selbst in Bezug auf den Erhalt unserer Lebensgrundlagen. Sie könnte tatsächlich einen Unterschied machen, planetare Grenzen besser zu achten, wenn sie bedacht, verantwortungsvoll und mit der gebotenen Sorgfalt eingesetzt würde. Vielmehr steht aber zu erwarten, dass KI den nächsten Schritt in der Technisierung und Digitalisierung unserer Gesellschaft darstellt – auf der einen Seite effizient und beschleunigend, auf der anderen Seite begleitet von Rückschritten und Gefahren. Dazu zählen Desinformations-Kampagnen, die Bedrohung der Privatsphäre (einschließlich des Urheberrechts), algorithmische Diskriminierung und ein erneuter Anstieg des Energieverbrauchs. Ein aktueller Ansatz, dieses Spannungsfeld zu regulieren, ist der EU AI-Act, die weltweit erste KI-Verordnung, die hohe Standards für Gesundheit, Sicherheit und Umweltschutz gewährleisten sowie Innovation und Verkauf von KI innerhalb des EU-Binnenmarktes fördern soll. Trotz philosophisch klingender Begriffe wie menschenzen­trierter oder vertrauenswürdiger KI in der Verordnung bleiben die Regelungen hinter den Erwartungen zurück. Denn in puncto Nachhaltigkeit gilt es nach Artikel 40 der europäischen KI-Verordnung bereits als Innovation, wenn in den nächsten Jahren die genauen Treibhausgasemissionen dokumentiert werden müssen – und das auch nur bei Hochrisiko-KI-Systemen.

Dabei ist schon jetzt klar: Die fortschreitende Digitalisierung und die zunehmende Nutzung von Streaming-Diensten und KI-Anwendungen treiben den Bedarf an Rechenleistung in den Rechenzentren in die Höhe. Die modernen „Tempel der Daten“ erfordern immer mehr Energie und verursachen damit einen Anstieg der CO2-Emissionen. Wäre das Internet ein Land, wäre es heute, je nach Quelle, bereits unter den Top drei bis sechs der größten Emittenten.

Die Quelle des Stroms, den die Rechenzentren verbrauchen, ist dabei entscheidend: Fossile Brennstoffe hinterlassen einen besonders tiefen ökologischen Fußabdruck. Doch selbst wenn gemäß Koalitionsvertrag ab 2027 jedes Rechenzentrum in Deutschland treibhausgasneutral arbeiten sollte, bleibt der ökologische Fußabdruck durch die Herstellung und den Transport der großen Mengen an Elektronik und Infrastruktur erheblich. Zudem ist absehbar, dass die Konkurrenz um erneuerbare Energien zunehmen wird.

Dass KI-Systeme und die fortschreitende Digitalisierung als Ganzes zur weiteren Erhöhung der CO2-Emissionen beitragen, geschieht meist unbemerkt von den Nutzenden, die das Internet als immaterielles Phänomen betrachten. Doch die virtuellen Wolken, die ihre Daten regnen lassen, haben große „Auspuffe“: Ein einziges KI-Bild verbraucht die Energie einer Handy-Ladung. Doch nicht nur die Atmosphäre wird belastet. Auch der Wasserverbrauch ist immens.

Durstige Maschinen

Generative Text-Modelle wie Chat-GPT, Gemini oder Mistral sind durstige Maschinen – eine durchschnittliche Unterhaltung mit ihnen verbraucht etwa einen halben Liter Trinkwasser, wie eine Studie der University of California und der University of Texas zeigt. Bei derzeit rund 1,5 Milliarden Besuchen pro Monat summiert sich dies schnell. Hinzu kommt der Wasserbedarf beim Training dieser Modelle. Allein das Training von ChatGPT-3 verbrauchte 5,4 Millionen Liter (5 400 Kubikmeter) Wasser, wovon bereits 700 000 Liter für die Kühlung der Rechenzentren benötigt wurden. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Wasserverbrauch pro Person beträgt in deutschen Haushalten 121 Liter pro Tag.

Das bedeutet, dass allein für das Training von ChatGPT-3 so viel Wasser verbraucht wurde, wie rund 122 Personen in einem Jahr verbrauchen würden. In Regionen mit extremem Wassermangel, wie Äthiopien, beträgt der durchschnittliche Wasserverbrauch pro Person in ländlichen Gebieten nur etwa 15 Liter pro Tag. Der Wasserverbrauch für das Training von ChatGPT-3 entspricht somit dem Jahresverbrauch von etwa 985 Personen in diesen Regionen. Es ist noch unbekannt, wie oft sich Trainingszyklen für die vielen verschiedenen Modelle wiederholen. Zwar verwenden viele Rechenzentren geschlossene Kühlkreisläufe, doch Wasserverluste durch Verdunstung, Leckagen und Wartungsarbeiten sind unvermeidlich und können erhebliche Mengen ausmachen.

Stille Wächter

Eine strenge Definition von Nachhaltigkeit, wie sie beispielsweise der ökologische Imperativ nach Hans Jonas fordert, betont die beständige Möglichkeit für viele Generationen von Menschen, ein gutes Leben zu führen. Sein Konzept der „Permanenz echten menschlichen Lebens“ zielt auf das dauerhafte Aufrechterhalten des menschlichen, tierischen und pflanzlichen Lebens auf diesem Planeten ab. Zukunftsfähig ist nur, was global verallgemeinbar ist – eine globale Klimagerechtigkeit ist notwendig, damit alle Staaten die Chance haben, mitzumachen. Würde jeder Mensch täglich Texte, Bilder oder Musik generieren lassen, wäre dies nicht nur nicht nachhaltig, sondern schon kurzfristig nicht tragbar.

Manche KI-Anwendungen kommen aber auch unmittelbar der Allgemeinheit zugute: KI-Systeme können die Verteilung und Nutzung von Energie verbessern. Zum Beispiel können intelligente Stromnetze (Smart Grids), die von KI gesteuert werden, den Energiefluss in Echtzeit überwachen und steuern. Das führt dazu, dass erneuerbare Energien effizienter genutzt werden und weniger fossile Brennstoffe benötigt werden. Wie stille Wächter können KI-Systeme auch über Umweltparameter wachen und Veränderungen in den Ökosystemen frühzeitig erkennen. Durch die Analyse von Satellitendaten unterstützen sie gut vernetzte Försterinnen und Förster dabei, über die Wälder zu blicken und – mit dem entsprechenden politischen Willen – illegale Abholzungen zu verhindern. Zudem können sie helfen, die häufiger werdenden katastrophischen Wetterereignisse vorherzusagen. Auch in der Kreislaufwirtschaft spielen KI-Anwendungen eine bedeutende Rolle: automatisierte Sortierungssysteme helfen, Wertstoffe zurückzugewinnen und den Bedarf an neuen Rohstoffen zu verringern.

Was können Kirche und Theologie in dieser Debatte beitragen? Zunächst sollten sie einen differenzierten Blick auf die Technik des maschinellen Lernens und generativer Algorithmen gewinnen. Es braucht also die Bereitschaft, Neues zu denken und zu lernen. Es fängt mit Worten wie „prompten“ (als dem strukturierten Dialog mit der KI) an und endet bei der Frage, wo es in unserer Arbeit Sinn hat und ob es wirklich notwendig ist, sich beispielsweise generativer Textmodelle zu bedienen. Diese „Lernarbeit“ ist notwendig in Theologie und Kirche, weil es mit der KI wie mit dem Internet ist: Beides bleibt Bestandteil unserer jetzigen Zivilisation. Diese Tatsache stellt uns vor die moralische Herausforderung, wie wir mit einer Technologie umgehen, die einerseits einen Vorteil für die derzeit Nutzenden bringen kann, andererseits aber, in einem größeren Kontext betrachtet, erhebliche ökologische und ethische Gerechtigkeits-Fragen aufwirft.

Doch der wahre Beitrag der Kirche könnte in einer Ethik des Genug liegen – einer Ethik, die das rechte Maß findet und den bewussten Umgang mit Technologie fördert. Diese Denkweise der Suffizienz bedeutet nicht Verzicht oder Verbot, sondern eine Besinnung auf das Wesentliche. Wa­rum sollte es nicht eine Art ‚Energie-Score‘ für die Nutzung digitaler Anwendungen geben, der anzeigt, wie viel Strom die Nutzerin oder der Nutzer bereits verbraucht hat? Die Fülle des Einfachen zu erkennen und in der gesellschaftlichen Beschleunigung auch das Innehalten zu fördern, ist ohnehin eine zentrale Aufgabe von Kirche.

Kirchliche Einrichtungen können durch Bildungsprogramme und Verantwortungs­träger*innen durch öffentliche Stellungnahmen das Bewusstsein dafür schärfen, dass die Herausforderungen des Anthropozäns besonders auch die digitale Welt betreffen, die ein integraler Bestandteil der Wirtschaft und unseres Alltags geworden ist. Kirchliche Initiativen können zudem Plattformen für den Dialog zwischen Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft über die verantwortungsvolle Nutzung von Technologie schaffen.

Kirchliche KI-Reflexion kann aber noch tiefgreifender wirken: Obwohl Technologie oft als neutral betrachtet wird, ist sie doch stets geprägt von den historischen, kulturellen und sozialen Bedingungen ihrer Entstehung. Menschliche Entscheidungen und gesellschaftliche Strukturen beeinflussen maßgeblich, wie Technologien entwickelt, genutzt und interpretiert werden. Politische Prioritäten, wirtschaftliche Interessen und kulturelle Normen spielten bisher die dominierende Rolle, doch angesichts der ökologischen Herausforderungen müssen die ökologischen Grundlagen des Lebens künftig Vorrang erhalten. Ohne die Einhaltung der planetaren Grenzen ist jede Zivilisation und jede relevante Wirtschaft verloren.

Moderne ethische Ansätze, die die komplexe Wechselwirkung von Technologie und Gesellschaft berücksichtigen, betonen die Notwendigkeit struktureller Veränderungen neben individueller ethischer Reflexion, um nachhaltiges Handeln zur Regel zu machen. Die Forderung nach einer zielgerichteten CO2-Bepreisung für KI-Technologien, wie sie etwa vom Politikwissenschaftler Pascal D. König erhoben wird, und die über die bereits existierende Besteuerung des Energieverbrauchs von Rechenzentren hinausgeht, steht exemplarisch für diesen Ansatz. Voraussetzung dafür ist jedoch die Entwicklung geeigneter Methoden zur Messung und Bewertung des CO2-Fußabdrucks von KI-Anwendungen. Die daraus resultierende Spannung zwischen Klima- und Sozialpolitik, bei der höhere Kosten den Zugang zur Technologie einschränken könnten, stellt ein komplexes Diskussionsfeld dar.

Dieser Fokus auf die ökologischen Auswirkungen von KI ist wichtig, darf aber nicht von den grundlegenden ethischen Fragen im Umgang mit dieser Technologie und deren Verflechtung mit bestehenden wirtschaftlichen Strukturen ablenken. Dietrich Bonhoeffer kritisiert in seiner Ethik in diesem Zusammenhang die „Mechanisierung des Lebens“, bei der Lebewesen (also auch Menschen) lediglich nach ihrem Nutzen beurteilt und zu Werkzeugen eines übergeordneten Systems degradiert werden. Wie aktuell diese Kritik an der Ausbeutung ist, lässt sich auch an den heutigen ökologischen Krisen ablesen, die ein neues Verständnis von der Erdengemeinschaft und der lebendigen Welt nötig machen.

Staatliche Regulierung

Hinzu kommt die Sorge, was mit den Daten geschieht: Welche Konsumscores und politischen Präferenzen lassen sich auslesen? Bonhoeffers Kritik lädt uns heute dazu ein, Technologien im Rahmen wirtschaftlicher Strukturen kritisch zu betrachten, die potenziell unerwünschte ökonomische Auswirkungen verstärken könnten. Bestimmte KI-Anwendungen sind darauf ausgerichtet, den Konsummarkt durch niederschwellige Angebote zu erweitern und Menschen zum übermäßigen Verbrauch zu verleiten – beispielsweise durch personalisierte Werbung mittels KI. Gleichsam ist auch behutsam mit KI-Lösungen umzugehen, die die Nachhaltigkeit einer reinen Konsumperspektive unterordnen. Diese Gefahr besteht beispielsweise bei sogenannten „Ethical/Sustainable Consumption Apps“.

Angesichts der Überschreitung planetarer Grenzen ist es unerlässlich, Technologien nicht nur ethisch zu reflektieren, sondern auch staatlich zu regulieren. Nur so kann sichergestellt werden, dass Künstliche Intelligenz verantwortungsbewusst eingesetzt wird und nicht fragwürdige wirtschaftliche Praktiken fördert oder den Konsummarkt erweitert, ohne ökologische Konsequenzen einzubeziehen. Also, lasst uns die Technik nutzen, aber mit einer gesunden Portion Skepsis. Denn trotz der neuen technologischen Perfektion stellt sich das Gefühl von Kontrollverlust ein. Auch in der vermeintlichen „Brave New World“ der KI ist die Vergangenheit, der gleiche Pfad der marktwirtschaftlichen Moderne, auf dem wir immer noch gehen, präsent. Ein abschließendes Zitat aus dem Lied „Die Technik wird uns retten“ von Peter Licht illustriert diese Ambivalenz:

„Und das Fahrzeug fuhr fehlerfrei / Fuhr’n uns ruhig und sicher / Fühlten uns führerlos / Selbst die Toten winken.“

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Foto: Asmus Henkel

Constantin Gröhn

Dr. Constantin Gröhn ist wissenschaftlicher Referent für Theologie und Wirtschaftsethik beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt der Nordkirche.


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