Rossbreiten

Alówaŋ: Feathers

"Teuflisch gut“ hat Beigeschmack, aber der Diabolos durch scharfe Draufsicht auch viel Erhellendes. Der notorisch unabhängige Klaus Bittermann nennt seine Hauptreihe darum „Critica Diabolis“. Zur Frage, ob der Teufel gut oder böse sei, sagt er nur: „Wenn wir uns im Jenseits treffen sollten, dann bestimmt bei ihm zu Hause.“ Seine Edition Tiamat im Blick zu haben, ist jedenfalls stets ein Gewinn – ähnlich wie beim Indie-Label Glitterhouse. Frisch gibt es da Alówaŋ: ein Wort der Lakota Sioux. Es bezeichnet ein Gesangsritual, in dem Einzelnen Referenz erwiesen und Rang zugemessen wird. Kein pietistisches Vor-Gott-Bringen, doch vielleicht ähnlich. Es geht um Verbindung, Vergegenwärtigen, um Nähe. Darauf zielen auch die zehn sehr getragenen, durchweg dunklen Folksongs des Alówaŋ-Debüts „Feathers“. Dahinter steckt der lang verschütt gewesene Jean-Yves Tola aus Paris. Ende der 1980-er begegnet er dort erstmals als Drummer „Passion Fodder“, die Velvet-Underground-Gitarren und -Violine mit Punk-Energie, Dark Wave und Melancholie des frühen Countrys verbanden.

Tola und ein Bandmate gründeten dann in L. A. mit Eugene Edwards „16 Horsepower“, jene Kultband, die mit ihren bibelschwarzen Texten als „Gothic Country“ firmierte. 2005 war Schluss. Tola wechselte zur Pferdezucht in Kentucky. Er und seine Frau führen da eine Farm. Bloß ließ die Musik ihn nie los. Er schrieb, komponierte, richtete ein Homestudio ein und tat sich für „Feathers“ mit der Singer-/Songwriterin Chantal Acda zusammen (vergleiche zz 5/21), die wie er Pferde liebt.

Das Album atmet Weite, Thoreauschen Wald und Vergänglichkeit, aber auch Zustimmung. Darin liegt seine Kraft. Man mag es mystisch nennen. Es schillert und hat tiefen Sog. Songstories, Arrangements und Gesang gehen Hand in Hand – Acda, teils mit sich im Duett, als Männer kommen Calvin Dover und einmal Steve Taylor hinzu. „Passion Fodder“-Mastermind Theo Hakola tritt als Gastgitarrist auf. Das Intro „Let It Flow“ setzt den Akzent: Piano-Tupfer, dann ebenso verhalten Bass und Drums, bis Acda mit tröstlich warmem Timbre einsetzt, später Dover und Cello. Mehr Beat, doch sachte, hat „Sirènes“: „The Sounds of Waste / passing by“. Es schließt mit einem Alówaŋ-Sample, mit Gesang und Trommel. Und die identitätspolitischen Besserwisser-Rüpel, die nun was von kultureller Aneignung blöken, halten einfach mal ihren dummen Mund. Das schreitende „Horsewind“ ist Ballade und Hymne – und die Vision eines Matrosen, der in den Rossbreiten eine jener Windstillen miterlebt, in denen die Pferde an Bord wegen fehlenden Wassers geschlachtet oder über Bord geworfen wurden: „Ears backwards / Horses running / take me deeper“. Piano, Bass und Drums, zu denen Cellosaiten verzweifelt wiehern. Der Mann sieht die Tiere dann in der Tiefe ziehen. Zum Heulen und bestürzend schön. Ein Album über Pferde, Verlust, Seele und unsere fragilen Bilder davon.

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