Das große K

Kafkas Prag: Eine Spurensuche zum 100. Todestag
Die Goldene Gasse: In das winzige Haus zog sich Franz Kafka zum Schreiben zurück.
Foto: Angelika Hornig
Die Goldene Gasse: In das winzige Haus zog sich Franz Kafka zum Schreiben zurück.

Hier war mein Gymnasium, dort in dem Gebäude, das herübersieht, die Universität und ein Stückchen weiter links hin mein Büro. In diesem kleinen Kreis (…) ist mein ganzes Leben eingeschlossen“, schrieb Franz Kafka über Prag. Und trotz einiger Versuche gelang es ihm nie, seinem Geburtsort zu entfliehen. Am 3. Juli 1883 geboren und am 3. Juni 1924 verstorben, jährt sich der Todestag des jüdischen Schriftstellers zum 100. Mal. Kafka revolutionierte und beeinflusste die Literaturwelt maßgeblich, seine Erzählung „Die Verwandlung“ erzeugt bei Lesern bis heute sowohl Verstörung als auch Bewunderung und der Meister des magischen Realismus, der Kolumbianer Gabriel García Márquez, sagte, er habe durch Kafka erfahren, dass man das Unmögliche schreiben könne.

Kafkas Biograf Rainer Stach hat in einer 2000-seitigen Biografie sein Leben und alle Winkel Prags ausgeleuchtet. Mit dem Hintergrundwissen meint man, ihn und die Stadt ein wenig zu kennen, geht auf Spurensuche und möchte, der eigenen Intuition vertrauend, keinen geführten Spaziergang machen, das Tempo selbst bestimmen. Tagebücher und Biografie im Kopf schlendert man durch die Altstadt, findet sein Geburtshaus. Nur noch ein Portal ist davon übrig, eine Büste erinnert an ihn. Familie Kafka zog häufig um, als nächstes in das noch erhaltene Renaissance-Haus „U Minuty“, in dem Kafkas Schwestern zur Welt kamen. Unweit sein erster Arbeitsplatz, die Assekuranz am Wenzelsplatz. Hinein in das imposante Eckgebäude im Jugendstil, mit prachtvollem Treppenhaus. Wo findet sich das ehemalige Büro von Franz Kafka? Nur Schulterzucken am Informationsschalter, die herbeigerufene Kollegin kann auch nicht helfen. Erst ein Anruf bringt Klärung. Nebenan, um die Ecke, ein bescheidener Eingang, eine schlichte Treppe führen zu seinem Büro im dritten Stock. Zauderndes Klopfen: Darf man mal schauen? Ach, es ist alles umgeräumt, irgendwo da, neben dem Balkon. Dennoch scheint er hier, wo er nur ein Jahr arbeitete, präsenter als in dem Gebäude der Versicherungsanstalt, wohin er wechselte. Das ist heute ein Hotel und schmückt sich mit Kafka recht kommerziell.

Wo ist Kafka zu spüren? In den Gassen? „Wechselndes Gefühl inmitten der jungen Leute im Café Arco“, „Im Kontinental bei den Kartenspielern“, steht in seinem Tagebuch. Begegnen wir hier dem heiteren Kafka, der gerne ins Theater, Kino, in Cafés und Wirtshäuser ging, wo er großzügig Getränke spendierte?

Folgen wir ihm lieber an die Moldau, er hat sie geliebt. Die Sonne scheint, der Fluss glitzert kitschpostkartenartig golden über alle Brücken, Smetana dringt unweigerlich ins innere Ohr. „Seelentränker“ nannte Kafka sein Ruderboot. Lässt er sich treiben, oder rudert er gegen den Strom? Ein sonnengetränkter Kafka, ein begeisterter Schwimmer, schafft einen ganz anderen Eindruck, als seine Fotos im schwarzen Anzug, mit dunkler Melone, der erst Pan Tau Leichtigkeit verlieh. Drehen wir daran.

Über die Moldau-Brücke, aufsteigend zur Burg in die Goldene Gasse. Weit oben rechts, in dem winzigen Haus, wohin er sich zum Schreiben zurückzog, entstand die Erzählung „Ein Landarzt“. Beklemmend eng, doch das hebt sich auf, wenn man durch das Fenster gegenüber der Tür schaut, was einen grandiosen Blick hinunter auf Prag öffnet.

Unweit entfernt das Kafka Museum, hier wird das Klischee des unglücklichen, neurotischen Autors bedient durch schwarze Wände, darauf Schrift- und Bildprojektionen und dazu Filme über das alte Vorkriegs-Prag. Aber wo ist Kafka? Das große „K“ auf dem Vorplatz bleibt seelenlos.

Nachdenklich stellt man fest, dass Kafka nicht wirklich greifbar ist, obschon er überall präsent scheint.

Doch da erscheint wieder die Moldau. Mit einem lächelnden Kafka, in goldenes Licht getaucht. 

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