Neukonzeption

Friedensbewegungen

Johannes Ludwig, Referent für globale Vernetzung und Solidarität im Bistum Limburg, sucht nach Wegen, wie sich die Friedensbewegung wieder neu erfinden kann. Denn er meint, mit dem Krieg Russlands in der Ukraine die Friedensbewegung zwischen Dornröschenschlaf und Hirntod verorten zu müssen. „Eine Friedensbewegung, die zwar an den richtigen Zielen festhält, letztlich aber über kein gesellschaftliches Mobilisierungspotenzial verfügt, ist wirkungslos und letztlich überflüssig, dient sie doch eher der Selbstvergewisserung ihrer Mitglieder als dem effektiven Hinarbeiten auf die von ihr verfolgten friedenspolitischen Ziele.“

Bevor Ludwig seine Überlegungen für eine Neukonzeption der Friedensbewegung vorstellt, beschreibt er zunächst die Entwicklung des Friedensbegriffs und die historischen Ursprünge der Friedensbewegung. Er erkennt wohl, dass mitunter von der einen Friedensbewegung gesprochen wird, obwohl doch anzuerkennen ist, dass es diese eine Friedensbewegung nicht gibt. Diese Unschärfe erschwert die Beurteilung, ob das Engagement für den Frieden eher erfolgreich oder vergeblich ist.

Im Rückblick auf die neue Friedensbewegung, gemeint sind die Massenproteste gegen den NATO-Doppelbeschluss von 1979, mit den Großdemonstrationen im Bonner Hofgarten am 10. Oktober 1981 und am 22. Oktober 1983 (unerwähnt bleibt die Demonstration am 10. Juni 1982 auf den Bonn-Beueler Rheinwiesen), alle mit jeweils 300 000 bis 500 000 Teilnehmern, wertet Ludwig die Proteste für die Friedensbewegung als überaus erfolgreich, obwohl sie die militärische Nachrüstung nicht verhinderten. Erfolg scheint abhängig zu sein von der Anzahl der Demonstrierenden.

In der aktuellen Situation des russischen Krieges in der Ukraine bemängelt Ludwig an der Friedensbewegung, heute noch wären dieselben Menschen wie in den 1980er-Jahren dabei, nur gealtert, mit den gleichen Parolen („Frieden schaffen ohne Waffen“), antiwestlichen Vorurteilen („Abschaffung der NATO“) und neuerlich gefährdet, von Querdenkern und AfD-Anhängern unterwandert zu werden. Deshalb empfiehlt er der Friedensbewegung, von der Klimabewegung zu lernen. Diese habe besonders unter jungen Menschen ein bahnbrechendes Potenzial bewiesen. Als Vorbild gilt die Umweltaktivistin Greta Thunberg mit den von ihr angestoßenen Schulstreiks Fridays for Future. Dass Thunberg inzwischen wegen ihrer Proklamationen für die Palästinenser unter Antisemitismusverdacht steht, konnte der Autor beim Verfassen seiner Studie noch nicht wissen. Ohnehin schränkt er die Lern­option Klimabewegung wieder ein, weil er die radikalen Proteste der Klima­kleber der Letzten Generation nicht gutheißen kann. Sie haben, weil die Öffentlichkeit sie nicht akzeptiert, eine geringe Effektivität und sind eher kontraproduktiv.

Zwar merkt Ludwig an, dass die Friedensbewegung sich nach dem Ende des Ost-West-Konflikts statt in Großdemonstrationen vor allem in der Kampagnenarbeit organisiert, wie im Einsatz gegen Landminen, Streumunition und für die atomare Abrüstung, jetzt insbesondere in der Betreuung der Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine und ebenfalls in Israel und Palästina. Das Programm heißt Friedensarbeit, die bisweilen kleinteilig und unspektakulär, aber meist mühsam ist. Die Aktionsgemeinschaft Dienst für den Frieden (AGDF), im Oktober 1981 zusammen mit der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) Veranstalter der großen Friedensdemonstration, ist mit ihren derzeit 32 Mitglieds­organisationen einer der Träger dieser Friedensarbeit. Hier befindet sich niemand zwischen Dornröschenschlaf und Hirntod. Ludwig hat die Friedensarbeit der Friedensbewegung glatt übersehen. Die AGDF kommt in seiner Studie nicht vor.

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