„Papier der Ermutigung"

Die beiden Volkskirchen wagen einen Neuanfang in der Ökumene. Ein druckfrisches gemeinsames Dokument ist Ausdruck davon.
Die amtierende EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs und Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige, Vorsitzender der Ökumekommission der Deutschen Bischofskonferenz bei einer gemeinsamen Pilgerreise 2016
Foto: Matthias Kopp/DBK
Die amtierende EKD-Ratsvorsitzende Kirsten Fehrs und Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige, Vorsitzender der Ökumekommission der Deutschen Bischofskonferenz bei einer gemeinsamen Pilgerreise 2016.

Die Evangelische Kirche in Deutschland und die Deutsche Bischofskonferenz wollen neue Wege in der Ökumene gehen. Vereint im Elend haben sie dafür ein neues Dokument vorgelegt. Es hat einen den sperrigen Titel, kündigt inhaltlich aber einen Paradigmenwechsel an.

Man kann sagen, die 64 Seiten kommen zur rechten Zeit. Wer sich in den vergangenen Jahren überhaupt noch für die evangelisch-katholische Ökumene in Deutschland begeistern konnte, musste schon hart im Nehmen sein - und sich damit abfinden, eher in einem Kreis von zunehmend frustrierten Weißhaarigen zu stehen, die mehr oder weniger das Vergehen der guten alten Zeit von Gestern beweinten. Ökumene, das schien langsam zu etwas Nerdigem oder Aus-der-Zeit-Gefallenem zu werden, so ein Sechziger/Siebziger-Jahre-Ding. Nach dem Motto: Kann man heute noch machen, man kann es aber auch lassen. Denn es bringt ja eh‘ nichts. Lass uns doch verschieden sein! Jeder macht mit seiner Konfession sein eigenes Ding, dann hat man seine Ruhe in seiner feinen Gemeinschaft der Gleichen.

Mit dieser Stimmung in vielen Teilen der beiden Volkskirchen aber wollte sich ein Kreis von überzeugten ökumenischen Geistern nicht abfinden. Daraufhin reifte etwas im „Kontaktgesprächskreis“ von Vertreterinnen und Vertretern des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Diese sich regelmäßig treffende Runde vor allem von Bischöfen beider Konfessionen ist eine nicht sehr bekannte, aber dafür umso wichtigere und bereits Jahrzehnte alte Institution der beiden großen deutschen Kirchen, die ja, nebenbei bemerkt, immer noch knapp 40 Millionen Menschen in Deutschland repräsentieren. Hier werden seit vielen Jahren im Hintergrund Konflikte bereinigt, wenn es mal wieder zwischen EKD und DBK zu sehr knirscht. Ein Beispiel war vor vielen Jahren das Entsetzen, als in einem internen, aber geleakten Papier der EKD der damalige DBK-Vorsitzende als führungsschwach und die ganze katholische Kirche in Deutschland mit der Gefährlichkeit eines angeschlagenen Boxers verglichen wurde. Hätte es damals nicht Entschuldigungen und Erklärungen im „Kontaktgesprächskreis“ gegeben, wäre die Sache ökumenisch noch mehr eskaliert und wohl ziemlich böse ausgegangen.

Versuch eines Paradigmenwechsels

Nun also ein neues Papier der EKD und DBK zur Ökumene, angestoßen vom „Kontaktgesprächskreis“ mit dem etwas sperrigen Titel „Mehr Sichtbarkeit in der Einheit und mehr Versöhnung in der Verschiedenheit. Zu den Chancen einer prozessorientierten Ökumene“. In einer gemeinsamen Online-Pressekonferenz von DBK und EKD wurde es am Donnerstag der Öffentlichkeit vorgestellt. Der „Spitzensatz“, wie die evangelische Vertreterin Miriam Rose, Professorin für Systematische Theologie in Jena, es nannte, lautet darin: „Aufgrund des bereits gegangenen Weges sagen wir als Deutsche Bischofskonferenz und Rat der EKD: Wir wollen nicht mehr ohne den Dialog mit Euch Kirche sein.“

Dieser zunächst eher schlicht daherkommende Satz hat es in sich. Denn er fasst im Kern das Dokument zusammen, das nicht weniger sein soll als der „Versuch eines Paradigmenwechsels“ in der Ökumene in Deutschland, wie es Volker Jung, Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), sagte. Ökumene soll nach dem Verständnis des neuen Dokuments nichts mehr sein, was „nice to have“ sei, also ein Endzeit-Ziel vielleicht in einem fernen Jahrzehnt, sondern sie habe, wie Rose es sagte, „ekklesiologische Qualität“. 

Das heißt: Beide Kirchen sind nach diesem neuen Denken nicht mehr vollständig Kirche, wenn sie nicht zugleich ökumenisch ausgerichtet sind und mit der anderen Kirche im Dialog sind. Oder, wie es Thomas Söding von der Katholisch-Theologischen Fakultät an der Universität Bochum sagte: Die sichtbare Einheit bleibe das Ziel in der Ökumene, aber sie müsse sich schon jetzt als Einheit im gemeinsamen Weg bewähren

Dynamischer Prozess

Schon dieser Weg, so Söding, sei volle Ökumene und nicht defizitär, weil eben das utopische schöne Ende noch nicht erreicht sei. Ein Beispiel sei da das frühe Christentum, in dem auch trotz aller Unterschiede etwa bei den Sprachen oder in der Herkunft in der Vielfalt eine Einheit im Christusbekenntnis möglich war: Stichwort Pfingsten. So eine „katholische“, also umfassende, Kirche schwebt dem neuen Papier vor.

Die gemeinsame Praxis soll die Ökumene befeuern, die als ein für die beiden Kirchen essentieller Prozess begriffen wird, nicht nur als ein ersehnter Endpunkt göttlicher Harmonie: „ut unim sint“ – „auf dass sei eins seien“, wie Jesus es fordert (Joh 17,21), betont das Papier. Der Magdeburger Bischof Gerhard Feige, Vorsitzender der Ökumekommission der Deutschen Bischofskonferenz ergänzte: Die Einheit der Kirche werde als ein „dynamischer Prozess“ gesehen und geschätzt. Deshalb auch der Untertitel des neuen Papiers, das übrigens hier kostenlos heruntergeladen werden kann.

Praktische Blaupause

Das Dokument liefert für das neue oder zumindest neu angeregte ökumenische Denken in Deutschland eine theologische und teilweise auch praktische Blaupause. Denn es will auch in der Ökumene der Kirchengemeinden vor Ort wirken: Wo könnte man zusammenarbeiten – und wo passiert das jetzt schon, ohne dass dies viel Aufsehen erregt? Genannt wurden bei er Pressekonferenz etwa die Nutzung gemeinsamer Bauten oder das gemeinsame gesellschaftliche oder diakonische Engagement von katholischen und evangelischen Gemeinden an der Basis. Jung sprach von einem „Papier der Ermutigung“.

Bischof Feige betonte gegen Ende der Vorstellung des Papiers am Donnerstag, dies sei kein Impulspapier nach dem Motto: „Wie retten wir uns als Kirchen gemeinsam? Oder wie bewahren wir unsere Bedeutung in der Gesellschaft?“ Aber zu vermuten wäre schon: Das gemeinsame Elend etwa in Sachen sexualisierter Gewalt oder bei den prognostizierten Zahlen in Sachen Kirchenmitgliedschaft und Kirchensteuereinnahmen war der Einsicht in beiden Kirchen sicherlich nicht abträglich, dass eine Ökumene auch in dieser Hinsicht Vorteile hat. Nämlich gemeinsame Probleme vielleicht ebenso besser gemeinsam lösen zu können. Auch in dieser Hinsicht kommt das Dokument mit dem sperrigen Titel also zur rechten, wenngleich zu einer ziemlich späten Zeit.

Online Abonnement

Sie erhalten Zugang zur gesamten Website und zur kompletten Monatsausgabe als Web-App.

64,80 €

jährlich

Monatlich kündbar.

Einzelartikel

Sie erhalten Lesezugriff für diesen Artikel.

2,00 €

einmalig

Kein Abo.

Haben Sie bereits ein Online- oder Print-Abo?
* Ihre Kundennummer finden Sie auf Ihrer Rechnung. Ein einmaliges Freischalten reicht aus; Sie erhalten damit zukünftig automatisch Zugang zu allen Artikeln.

Ihre Meinung


Weitere Beiträge zu "Kirche"