Faktenreich

Neue Bonhoeffer-Biographie
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Sie kennt die Bonhoefferforschung der vergangenen Jahrzehnte. Darüber informiert sie die Leser knapp, aber zutreffend. Sie schildert Bonhoeffers Leben von der Kindheit bis zum Tod in Flossenbürg und macht jeweils die Verknüpfung von Existenz und Erkenntnis deutlich.

Eine Erkenntnis kann nicht getrennt werden von der Existenz, in der sie gewonnen ist." Wer sich mit dem Menschen Bonhoeffer beschäftigt, kommt um die Auseinandersetzung mit seiner Theologie nicht herum, und wer seine Theologie verstehen will, muss seine Biographie zur Kenntnis nehmen. Christiane Tietz, Professorin für Systematik und Sozialethik in Mainz, steckt in diesen ersten Sätzen ihre Aufgabe ab. Sie kennt nicht nur Eberhard Bethges umfangreiche Biographie genau, sondern auch die Bonhoefferforschung der vergangenen Jahrzehnte. Darüber informiert sie die Leser knapp, aber zutreffend.

In wohltuend gutem Deutsch schildert sie Bonhoeffers Leben in zehn kurzen Kapiteln, von der Kindheit bis zum Tod in Flossenbürg, und macht jeweils die Verknüpfung von Existenz und Erkenntnis deutlich. Bonhoeffer hat bei Adolf von Harnack, Karl Holl und vor allem durch die Schriften Karl Barths Entscheidendes gelernt; aber daneben haben Erlebnisse in der Familie, die frühe Romreise, sein Vikariat in Spanien und das Studienjahr in den USA ihn vor 1933 zu dem ökumenischen Theologen gemacht, der Deutschland "von außen her" sehen und die Gefahren des Nationalsozialismus deutlicher erkennen konnte als die Theologen der Berliner Universität, zu der er seit Juli 1930 gehörte, oder die leitenden Männer der Kirche, deren Pfarrer er im Mai 1931 geworden war.

Die beiden Berliner Jahre Bonhoeffers vor Hitlers Machtergreifung werden auf nur neun Seiten dargestellt, aber sie zeigen, wie der 27-Jährige auf die politischen und kirchenpolitischen Kämpfe vorbereitet war. Entscheidende Aussagen belegt die Verfasserin überall durch gut ausgewählte Zitate Bonhoeffers oder seiner Freunde und Gegner. Die Schrift "Die Kirche vor der Judenfrage" aus dem Frühjahr 1933 analysiert sie mit den traditionsgebundenen und den neuen kritischen Gedanken genau. Der Protest gegen den "Arierparagraphen" in der Deutschen Evangelischen Kirche führt Bonhoeffer in ein Auslandspfarramt in London, wo die Freundschaft mit Bischof Bell nicht nur zu neuen Lernerlebnissen führt, sondern weitere Eingriffe in den Kirchenkampf möglich macht, bis die durch die Synoden von Barmen und Dahlem entstandene Bekennende Kirche Bonhoeffer zurückrufen kann. Er übernimmt in Finkenwalde eins von fünf neuen Predigerseminaren. Das Naumburger Seminar lag übrigens am Queis und nicht an der Saale; so wie Pätzig, das Gut der Wedemeyers, in der Neumark und nicht in der Nähe von Finkenwalde lag. Solche Kleinigkeiten wären in einer zweiten Auflage zu berichtigen.

Christiane Tietz zeigt, wie Bonhoeffer in Finkenwalde und später in den vollends illegalen "Sammelvikariaten" mit der "Nachfolge" eine Theologie des "glaubenden Gehorsams" entwickelt und wie er den lebensrettenden Aufenthalt in New York als Irrweg abbricht. Der mit Redeverbot belegte Pfarrer wird Agent der Abwehr des Admirals Canaris, und während dieser "Tätigkeit auf dem weltlichen Sektor" entwickelt er in der "Ethik" unter anderen eine Theologie des Widerstandes als "frei zu verantwortender Tat". Sein aktiver Beitrag zum Widerstand wird 1942 das Treffen mit Bischof Bell in Schweden.

Das zehnte Kapitel, das den Grund für Bonhoeffers Verhaftung, seine Zeit in Tegel und den Weg nach Flossenbürg nachzeichnet, ist zu Recht doppelt so lang wie die anderen Kapitel, und hier - wie in dem Epilog mit der vorbildlichen Darstellung der Bonhoefferrezeption - zeigt sich die ganze Meisterschaft der Verfasserin. Sie kann Bonhoeffers "neue Theologie", die ihn nach 1951 bekannt gemacht hat, ebenso treffend nachzeichnen, wie die Gefängnisexistenz mit den Haftbedingungen und den Verhören. Sie zeigt, wie die Briefe der Braut, Maria von Wedemeyer, und die Korrespondenz mit Eberhard Bethge Bonhoeffer in dieser Zeit getragen und mit den Gedichten sogar zu neuen Ausdrucksformen geführt haben. Christiane Tietz hat ein stilistisch glänzendes, kurzes, aber faktenreiches Buch geschrieben.

Christiane Tietz: Dietrich Bonhoeffer. Verlag C. H. Beck, München 2013, 144 Seiten, Euro 8,95.

Ferdinand Schlingensiepen

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