Im Weinberg
Man darf die Auftritte Anselm Grüns getrost als Phänomen bezeichnen. Egal, wo der Cellerar der Benediktinerabtei Münsterschwarzach auf die Bühne geht, überall zieht er ein großes Publikum an. Mehrere zehntausend Menschen hören in jedem Jahr seine Vorträge, vom Top-Manager bis zum Jugendlichen reicht das Spektrum der Zuhörer, manch einer lässt sich am Rande von Veranstaltungen von ihm segnen. Dreihundert(!) Bücher hat er bereits veröffentlicht, seine Werke wurden in über dreißig Sprachen übersetzt. Mögen Kritiker ihm auch eine Vermischung von christlicher Theologie und Esoterik vorwerfen und manchmal die inhaltliche Tiefe vermissen, Grün trifft offenbar den richtigen Ton, wenn es um religiöse Fragen geht, und redet und schreibt in einer Sprache, die Herz und Seele vieler Menschen erreicht. Die Bandbreite reicht dabei von Geschenkbänden mit kurzen Sinnsprüchen und Weisheiten bis zu theologischen Diskursen mit Vertretern anderer Konfessionen und Religionen.
Ziemlich genau in der Mitte zwischen diesen beiden Polen ist sein Buch über den Wein zu verorten. Sicher - auch hier fällt zunächst die Gestaltung von Pia Vogel auf, die schönen großformatigen Fotos zum Thema mit viel weißem Raum um die meist kurzen Textzeilen. Doch wer das Buch nun als irgendeinen weiteren Geschenkband abtun möchte, in dem weintrinkende Christen beim ersten Glas des Abends mehr oder minder animiert blättern mögen, tut ihm Unrecht. Denn eine lesefreundliche Gestaltung bedeutet ja keineswegs, dass die Lektüre nicht lohnt, und eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Thema kann man Grün nicht absprechen. Zum Beispiel gelingt es ihm, einen überschaubaren, leicht verständlichen und doch instruktiven Überblick über die Bedeutung des Weins in christlicher Kultur und Theologie zu geben. Er wandert auf gut fünfzig Seiten an Bibelstellen des Alten und Neuen Testamentes zum Thema Wein entlang, beschreibt den Inhalt und interpretiert in kurzen Sätzen, und weicht nie der Frage aus, was diese doch so unterschiedlichen Fundstücke für die heute Glaubenden bedeuten können.
Frage des Abendmahl
Hingegen umschifft er theologische Klippen wie die Frage, was das Abendmahl nun genau sei. "Der Wein wird zum Blut Jesu, das für uns vergossen wird. Das Herzblut zu vergießen, ist der tiefste Ausdruck von Liebe. So trinken wir im eucharistischen Wein die menschgewordene Liebe Gottes, die Liebe, die in der Hingabe Jesu in seinem Tod für uns ihren Gipfel erreicht hat. Das ist die größte Würde, die der Wein jemals erfahren hat." Geht es nun hier um Symbolik oder echte Wandlung des Weins? Man kann das so oder so verstehen und sich irgendwo in diesen Sätzen wiederfinden, egal ob Katholik, Lutheraner oder Reformierter. Soll man diese "weiche" Sprache nun als Schwäche sehen? Immerhin, für die Anschlussfähigkeit von Grüns Texten und theologischen Deutungen an eine möglichst große Leserschaft unterschiedlicher religiöser Prägungen ist sie ein Erfolgsrezept - mit ökumenischen Meriten.
Letzten Endes aber geht es in diesem Buch ja nicht um Theologenstreit, sondern um einen Spaziergang durch die Weinberge, die realen ebenso wie die des Herrn. Wir hören unserem belesenen Begleiter zu, wie er über die Rolle der Klöster in der Weinbaugeschichte parliert, wie er uns ausgewählte Weinheilige präsentiert und uns dann noch ein paar Gedanken zu den Themen "Wein und Liebe", "Wein und Gemeinschaft" oder "Wein und Gesundheit" mit auf den Weg gibt. Denn schließlich weiß auch Anselm Grün: "Ich muss dem Weintrinker keine frommen Reden halten. Er soll einfach das, was er tut, mit allen Sinnen tun und dabei die tiefe Symbolik seines Tuns bedenken. Dann werden ihm das Geheimnis Jesu Christi und das Wesen christlicher Spiritualität aufgehen."
Anselm Grün: Der Wein. Geschenk des Himmels und der Erde. Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach 2012, 134 Seiten, Euro 24,90.
Stephan Kosch