Dieses Buch über den dänischen Theologen und Philosophen Knud E. Løgstrup schließt wirklich eine Lücke. Der nach Søren Kierkegaard und Nikolai Frederik Severin Grundtvig wichtigste Theologe aus dem nördlichen Nachbarland Dänemark ist zu Unrecht in Deutschland nahezu unbekannt. Sein ethisches Opus Magnum Die ethische Forderung (deutsch 1959) hat zwar eine gewisse Aufmerksamkeit erreicht, aber die gewichtigen, ebenfalls ins Deutsche übersetzten Bände „Metaphysik I-IV“ sind weithin unbeachtet geblieben. Das ist nicht zuletzt der eigenwilligen Sprache und einem ungewöhnlichen Denkstil geschuldet. Ole Jensen, ein Løgstrup-Schüler, hat nun ein Buch auch in deutscher Übersetzung vorgelegt, das einen Überblick über das Denken Løgstrups und biographische Teile auf höchst in-struktive Weise miteinander verbindet.
Jensen gliedert den Stoff in drei Teile. Damit pointiert er Perspektiven, in denen sich das Denken Løgstrups überzeugend erschließt. In dem ersten Teil, den Jensen mit der Wendung „Einstieg-Polemik“ charakterisiert, beschreibt er, wie Løgstrup sich kritisch an Imanuel Kant und Kierkegaard an der gesamten Existenztheologie einschließlich der dänischen Variante „Tidehverv“ (Zeitwende) abarbeitet. Løgstrups Kritikpunkt besteht darin, dass im Kant’schen Denken eine Denkhaltung kulminiert, die dem erkennenden Subjekt eine so große Form- und Prägekraft zubilligt, dass die geschaffene Wirklichkeit nur noch als „Rohstoff“ zu stehen komme und ihrer Eigenmacht beraubt werde. Im zweiten Teil („Ausführung - Philosophie“) zeichnet Jensen nach, wie Løgstrup seine eigene Sichtweise nun positiv entfaltet. Dabei spielt sein phänomenologischer Denkansatz eine grundlegende Rolle. Wichtige, für sein Denken prägende „Entdeckungen“ Løgstrups sind Phänomene, die er „souveräne Lebensäußerungen“ nennt. Vertrauen, Offenheit der Rede, Barmherzigkeit und Hoffnung sind für ihn vier Gegebenheiten, die unser Leben vor aller Reflexion immer schon bestimmen. Und selbst wo diese Phänomene nur eingeschränkt wirksam sind, zehrt auch die Fehlhaltung noch parasitär von ihnen. Løgstrup scheut sich nicht, positiv von Ontologie, Schöpfungsdenken, Metaphysik und allgemeiner Religiosität zu sprechen. Gegen die existenzphilosophische Betonung der Zeit und deren Flüchtigkeit, wie sie auch die Existenztheologie prägt, hebt Løgstrup Phänomene des Raumes und der Dauer hervor.
Im dritten Teil („Konsequenzen: Theologie - Ethik“) entfaltet Jensen die Folgen der Løgstrup’schen Philosophie für dessen theologische Ansichten. Dabei bezieht er sich immer wieder ausdrücklich auf Martin Luther. Die Verkündigung soll an die phänomenologische Sichtweise anknüpfen. Philosophie und Theologie halten die religiöse Deutung der Welt als Gottes Welt für „naheliegend“. Die Gabe des Lebens und die Endlichkeit allen Lebens verweisen auf eine Macht hinter aller Wirklichkeit, die uns in ihrer Güte in Jesus erschlossen ist. Die Gabe des Lebens impliziert: Nicht nur ist mein Leben mir anvertraut, ich habe in gewisser Weise auch das Leben anderer Menschen in meiner Hand. Darin liegt eine tiefe Verantwortung.
Ole Jensen, der einige Jahre auch Leiter einer dänischen Volkshochschule war, versteht es, komplexe philosophische und theologische Gedanken allgemeinverständlich darzubieten. Die Verknüpfung mit der Darstellung des Lebens von Løgstrup ordnet dessen Gedanken sowohl in die Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts als auch in die dänische Geschichte (Dänemarks Besetzung durch Hitlerdeutschland, Widerstand, Rechtsabrechnung, Studentenaufstand, Umweltthematik) auf eine erhellende Weise ein.
Friedrich Hauschildt
Friedrich Hauschildt
Friedrich Hauschildt ist Präsident i.R. des Amtes der VELKD in Hannover.