Niederlagen werden verdrängt. Mit der Last der Niederlagen will sich keiner lange herumschlagen. Dabei ist der gute Umgang mit ihnen gesund, wichtig und hilfreich im Blick auf die nächsten Herausforderungen. Man kann aus ihnen lernen oder daran zerbrechen.
Holger Gertz ist Journalist der Süddeutschen Zeitung. Als solcher hat er über die Jahre Personen und Situationen beobachtet und beschrieben, die vom Verlieren erzählen. Ob er das Vorhaben vor Jahren schon geplant hat, verrät er nicht. Aber er skizziert in der Einleitung zu dem Band anhand einer Begegnung mit dem Fußballer Miroslav Klose seine Motivation, den Fokus seiner Beobachtungen auf das Feld von Sieg und Niederlage zu legen: Lange galt dieser Spieler als Inbegriff des tragischen Helden, der in seiner langen Karriere nie einen Titel erringen konnte - umso bedeutsamer war der Sieg im WM-Finale 2014 als die, so Gertz, schönste aller Pointen. Es sei spannend zu beobachten, wie bei einer Niederlage etwas außer Kontrolle gerate - auf dem Feld des Sports ist es vermeintlich harmloser als sonst und ist doch lehrreich und ehrlich.
Gertz, der schon einmal „Reporter des Jahres“ war, geht mit dem Schreibstift um wie mit einer Kamera. Als Leser hat man das Gefühl, ganz nah dran zu sein. Ganz nah an Boris Becker zum Beispiel, dem Helden vom Wimbledon, den sein Lebensweg im späteren Verlauf ganz nach unten führte und der sich medial lächerlich machte. Der aber inzwischen gelernt hat, mit dem Verlieren umzugehen und nun wieder schreitet, statt zu humpeln. Erst in der Tragödie der Niederlage offenbart sich die wahre Seele des Sportlers oder des Sports.
Aber nicht nur die Stars des Sports, wie der Ruderer Peter-Michael Kolbe, der Boxer Henry Maske oder der Fußballer Franz Beckenbauer werden beobachtet und beschrieben, sondern auch Fans, wie die von Borussia Dortmund, die ihren Verein lieben und an ihm leiden, wenn es Niederlagen hagelt. Gertz erinnert auch an das tödliche Ende des georgischen Rodlers Nodar Kumaritaschwilli, der im Training bei den Olympischen Spielen verunglückte.
Die zwischen 1997 und 2015 verfassten Texte kommen spielerisch leicht daher, dahinter ist viel Tiefgang und treffende Analyse. Der Zeitgeist der alten Tage ist in diesem Buch, das Sportgeschichte schreibt, deutlich zu spüren. Wenn etwa von Charly Schultz die Rede ist, der in seiner Boxbude auf dem Oberhausener Volksfest Preisgelder für diejenigen aussetzt, die seine Boxer schlagen: er hat den legendären „Rumble in the Jungle“ zwischen George Foreman und Muhammad Ali gesehen und auf seine Weise verinnerlicht. Hans Krankl und Willy Kreuz kommen zu Wort, zwei der „Helden von Cordoba“, die später dem Glück nur noch hinterher rannten. Ein Sieg wirkt nicht ewig weiter, auch wenn er ewig bleibt. Das hat auch Werner Kohlmeyer bitter erfahren müssen, einer der „Helden von Bern“, dem nach dem Triumph das Leben entglitt.
„Das Spiel ist aus“ ist eine gelungene Mischung aus Reportagen, Essays und Menschenbildern. Es bereitet großes Vergnügen, dieses kurzweilige Buch zu lesen, auch wenn hier und da schwer Verdauliches zutage gefördert wird. Vieles stimmt nachdenklich und ist theologisch zu bedenken: wenn es um Fragen von Schuld und Mitleiden geht oder um Katharsis, um Fußball als Religion. Es gibt auch keine Gewinner in biblischen Geschichten, die nicht den Geschmack der Niederlage erfahren hätten - hier findet man sie in neuer Gestalt. Von diesen existenziellen Motiven erzählt Gertz auf handwerklich brillante Weise. Man kann das Buch bei vielen Gelegenheiten zur Hand nehmen - es nach der Lektüre nur eines Textes wieder wegzulegen, fiel mir jedenfalls schwer.
Peter Noss
Peter Noss
Peter Noss ist Pfarrer für Ökumene, Dialog und Partnerarbeit am Dekanat Wetterau in Friedberg.