Vielschichtig

Namenlose Stimmen, verstörende, leise Dialoge zwischen einer Frau und zwei jungen Männern - hier setzt das Hörspiel ein und zwingt zum intensiven Zuhören. Nach und nach bekommen die Stimmen Namen: Ora heißt die Frau, die beiden Männer heißen Avram und Ilan. Ihre Geschichte beginnt nachts, in der Isolierstation eines israelischen Krankenhauses während des Sechs-Tage-Krieges 1967.

Die jugendlichen Stimmen verstummen. Erwachsen sind sie nun, und nach und nach erzählt Ora ihr Leben, ein Leben, das immer wieder vom Krieg dominiert wird. Dialoge, Monologe, Gegenwart und Rückblenden folgen schnell aufeinander. Sind oft atemlos, beschwörend gesprochen, Ora erzählt die Familiengeschichte während einer langen Wanderung durch die Berge von Galiläa - während ihrer Flucht vor einer Nachricht. Ihr Zuhörer ist Avram, gebrochen von Krieg und Folter, innerlich mehr tot als lebendig.

Ihr Ehemann Ilan spielt nur in Rückblenden eine Rolle, denn er ist auch auf einer Flucht, vor der zermürbenden Lage daheim. Diese lange Wanderung wird nun zu einem psychotherapeutischen Heilungsweg. Sie ist ein großer Abgesang und zugleich eine Abrechnung mit der Nahost-Kriegspolitik. Doch sie zeigt auch, dass Menschen existieren, die Menschlichkeit mitten im Krieg bewahren.

Stimmen, wie die von Martina Gedeck, Christian Redl und Michael Evers machen in einem großen Ton-Arrangement Gefühle, Einsamkeit und Lebensfreude, Krieg, Geheimnisse, Be- und Aufbegehren lebendig. Es ist ein Hörspiel, das man zweimal anhören sollte, so vielschichtig sind Story und Botschaft.

David Grossmann: Eine Frau flieht vor einer Nachricht. Hörbuch Hamburg, 3 CDs.

Angelika Hornig