Fußball ist nicht das Leben. Die daran geknüpften Unwägbarkeiten, Emotionen, Erwartungen, und wie Menschen damit umgehen, sind aber ein gutes Bild dafür. In das gehört seit der WM auch Kraken-Orakel Paul. Und das wiederum ist "ein Zeichen der Rückkehr von Religion", findet der Fundamental-Theologe Thomas Ruster. Wie wir immer schon aus den Sternen oder Opfertiereingeweiden mehr über unbekannte Mächte der Welt erfahren wollten, so nun eben durch Paul. Fußballerisch zwar fragwürdig, so Ruster, "aber wenn Menschen sich darauf einlassen, ist das im Prinzip nicht verwerflich, sondern entspricht einer gesunden religiösen Grundwahrnehmung".
Eingemeindende katholische Unbekümmertheit, die dem Protestanten Joachim Kunstmann abgeht. Doch den Religionspädagogikprofessor bewegt dasselbe Phänomen, auch wenn er es nicht wie so viele (auch Protestanten) als Realität behauptet, sondern eher beschwört. Sein Buch Rückkehr der Religion ist vor allem flammender Appell dafür. Religion sei dringend nötig, weil sonst das Leben unwiederbringlich verkümmere, wobei auch diese endzeitgestimmte Dramatisierung an Fußball erinnert, wo es ja Spiele gibt, die keinesfalls verloren werden dürfen. Etwa wenn der Abstieg droht.
Entschiedungsspiel
Ton und Anspannung im Buch entsprechen solchen Entscheidungsspielen. Das dies nicht immer mitreißt, liegt daran, dass diese Erregung über dreihundert akademisch voll abgesicherte Seiten füllt. Dabei kann Joachim Kunstmann Axiome ("das Wissen darum, dass Religion kein Selbstzweck, sondern Medium der Lebensentfaltung und der Heilung ist") und Anliegen auch knapp auf den Punkt legen: "Was mich treibt, ist die Sehnsucht nach unbeschädigtem Leben, und ein Empfinden für die Unverzichtbarkeit der Religion." Ins Bildliche übersetzt: Niemals zweite Liga!
Joachim Kunstmann: Rückkehr der Religion. Glaube, Gott und Kirche neu verstehen. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2010, 318 Seiten, Euro 24,95.
Udo Feist
Udo Feist
Udo Feist lebt in Dortmund, ist Autor, Theologe und stellt regelmäßig neue Musik vor.