Wir haben prominenten Protestanten drei Fragen gestellt: War es richtig , dass Deutschland sich doch dazu entschieden hat, Waffen an die Ukraine zu liefern? Was ist davon zu halten, dass die Bundesregierung 100 Milliarden Euro zusätzlich für die Bundeswehr bereitstellt? Brauchen wir eine neue evangelische Friedensethik? Hier vorab aus dem Mai-"zeitzeichen" die Antworten des früheren EKD-Ratsvorsitzenden Wolfgang Huber.
Zu Frage 1: „Du sollst nicht töten.“ Friedensethisch schließt dieses Gebot nicht nur den eigenen Verzicht auf Tötungshandlungen ein. Zum Gefälle dieses Gebots gehört vielmehr die Bereitschaft, das gewaltsame Töten durch Dritte zu verhindern. Die evangelische Friedensethik hat sich deshalb nicht nur das in der Charta der Vereinten Nationen verankerte allgemeine Gewaltverbot zu eigen gemacht, sondern auch die Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts anerkannt. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine verstößt gegen beide völkerrechtlichen Vorgaben. Eine Unterstützung der Ukraine ist in dieser Situation angemessen, ja geboten. Der Maßstab dieser Unterstützung ist die Bändigung der Gewalt durch das Recht. Eine wichtige Zielsetzung muss darin bestehen, den Krieg so schnell wie möglich zu beenden und eine Lösung des Konflikts herbeizuführen, bei der die Selbstständigkeit und Integrität der Ukraine gewahrt wird. Der Ukraine steht ohne Zweifel ein Selbstverteidigungsrecht zu. Sie in der Wahrnehmung dieses Rechts auch durch die Lieferung von Defensivwaffen zu unterstützen, ist nach Lage der Dinge angemessen. Das politische Handeln Deutschlands sollte erkennbar dadurch geprägt sein, dass nicht nur das eigene Sicherheitsinteresse, sondern auch das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine gegen den Angriffskrieg Russlands ernst genommen wird.
Zu Frage 2: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein.“ Gemeinsam mit vielen Kirchen hat die Evangelische Kirche in Deutschland sich diesen bei der ersten Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen in Amsterdam 1948 formulierten Grundsatz zu eigen gemacht. Große Teile der evangelischen Kirche in Deutschland haben deshalb der Wiederbewaffnung in West wie Ost Bedenken entgegengestellt. Doch sie mussten zugleich einsehen, dass man nicht einem kollektiven Militärbündnis angehören, sich aber zugleich verabredeten Verpflichtungen dauerhaft entziehen kann. Immer wieder muss man Initiativen ergreifen, die auf eine kollektive Abrüstung ausgerichtet sind. Man muss alternative Wege der Kriegsverhütung und der Friedenssicherung entwickeln. Solche Bemühungen können jedoch nicht an die Stelle von Selbstverpflichtungen treten, zu denen man sich im Rahmen eines kollektiven Verteidigungsbündnisses bekannt hat. Wichtiger als die Schaffung eines Sondervermögens in Milliardenhöhe erscheint allerdings die Pflicht, das Beschaffungswesen in der Bundeswehr so zu verändern, dass das Notwendige rechtzeitig zur Stelle ist.
Zu Frage 3: Es gibt ein verbreitetes Bild der evangelischen Friedensethik, demzufolge diese durch einen prinzipiellen Pazifismus geprägt ist. Verstärkt wurde dieser Eindruck durch die Selbstbindung Deutschlands, sich so wenig wie möglich in gewaltsame Konflikte einzumischen. Das Nein zu Waffenlieferungen in Konfliktgebiete galt als Antwort auf die Schuld, die Deutschland in den Kriegen der Vergangenheit auf sich geladen hatte. Die Bemühungen um zivilen Friedensdienstwaren und bleiben eine wichtige Reaktion auf diese geschichtlichen Erfahrungen. Doch die evangelische Friedensethik hatte immer – während der Zeit der deutschen Teilung in Ost und West unterschiedlich akzentuiert – und hat auch heute eine komplementäre Struktur. Denn beides ist notwendig: das Eintreten für den Frieden mit den Mitteln des Rechts und notfalls mit rechtserhaltender Gewalt, aber ebenso die Arbeit für eine Welt, in der das gewaltfreie Zusammenleben Schritt für Schritt vorankommt.
Wolfgang Huber
Dr. Dr. Wolfgang Huber ist ehemaliger EKD-Ratsvorsitzender, Bischof i. R. und Herausgeber von "Zeitzeichen." Er lebt in Berlin.