Kirchenreform – weil was geschehen muss

Am Wochenende wird online in Hofgeismar über Kirchenreform diskutiert – ganz ökumenisch
Das 1787-1789 erbaute Schlösschen Schönburg gehört heute zur Evangelische Akademie der kurhessischen Landeskirche in Hofgeismar.
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Das 1787-1789 erbaute Schlösschen Schönburg gehört heute zur Evangelische Akademie der kurhessischen Landeskirche in Hofgeismar.

Schon vor Corona standen die Zeichen auf Kirchenreform, und spätestens seit Veröffentlichung der Freiburger Studie von 2019 hat das Thema an Brisanz gewonnen. Am kommenden Wochenende gibt es dazu eine ökumenische Digitaltagung – veranstaltet in und von der Evangelischen Akademie in Hofgeismar.

Das Wort „Reform“ hatte einmal Glanz! Das ist nun bald ein halbes Jahrhundert her: Es war die Zeit, in der man sich anschickte, die „Bildungsreform“ konkret werden zu lassen: mit „Reformschulen“, einer „reformierten Oberstufe“ und „Reformuniversitäten“. „Mehr Demokratie wagen“ war zu gleicher Zeit mehr als ein wohlfeiles Programm; die Welt schien endlich reif, nicht bloß interpretiert zu werden, sie wartete auf Veränderung, zumindest auf Reformen.

Was ist von der Liebe zur „Reform“ geblieben bis auf den eher spröden Charme der Reformhäuser, deren geistige Wurzeln allerdings noch in eine frühere Vergangenheit weisen - auf die Lebensreformbewegungen bis ins 19. Jahrhundert?

Seit geraumer Zeit – den Anfang hat wohl die „Gesundheitsreform“ im letzten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts gemacht – hat „Reform“ als politisches oder gesellschaftliches Programm seinen Nimbus verloren, es ist mit Vorsicht zu genießen. Schien der Begriff Reform ehedem das “Sesam, öffne dich“ in ein Reich der Freiheit zu sein, so hat das Reformprogramm unserer Tage seinen Ursprung im Reich der Notwendigkeit: Es folgt fast immer ökonomischem Zwang. Er besteht darin, dass auf vertrauten Wegen dem Kurs „Weiter so!“ folgen zu wollen, unmöglich ist. Die Ergebnisse solcher Reformprozesse sind nicht selten schmerzhaft oder laufen anderen Interessen zuwider. Deshalb sind sie nur schwer konsensfähig. Man packt sie deshalb gerne mit spitzen Fingern an. Das wiederum hat zur Folge: Prokrastination gibt es nicht nur im privaten Umfeld; sie bestimmt auch die Reformen im öffentlichen Leben: ob Pflege-, Steuer- und Parlamentsreform.  

„Ecclesia semper reformanda“

Reformieren müssen sich auch die Kirchen – aus gutem Grund. Veränderung tut zunächst grundsätzlich not, angesichts eines gesellschaftlichen Umfelds, das sich rasant wandelt. Es geht zunächst darum, wie Kirchen in Form und Inhalt ihrem ureigenen Auftrag, der Bezeugung des Evangeliums nachkommen können. Hier hat das seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts oft zitierte Programm “ecclesia semper reformanda“ sein Recht.

Doch müssen die Kirchen nicht nur deshalb Strukturreformen in Angriff nehmen. Untersuchungen sagen seit längerem einen gravierenden Rückgang der Mitgliederzahlen und der Finanzkraft voraus. Dies zu verstehen und akzeptieren, ist schmerzhaft – vor allem für Menschen, die eine Kirche in anderen Verhältnissen noch gekannt haben. Ein schlechter Ratgeber wäre angesichts der Prognosen ein beschwichtigendes „Es kann ja auch anders kommen“. Mag dies nicht grundsätzlich auszuschließen sein, so gilt es letztlich, sich auf wahrscheinliche Szenarien einzustellen – nicht viel anders, wie man es im privaten Umfeld auch tut.  

„Kirchenreform 2030/2040 unter ökumenischer Perspektive“ heißt die digitale Tagung, die die Evangelische Hofgeismar in Kooperation mit dem Evangelischen Studienseminar Hofgeismar in dieser Woche am 11. und 12. Februar veranstaltet. Im Blick sind also die beiden nächsten kommenden Jahrzehnte – und welche Kirchenreformen notwendig und zu erwarten sind. Zugleich wird auf der Tagung der Fokus weitergestellt - zum einen mit einem Blick zurück: Denn bereits in den Jahren allgemeiner „Reform“-Euphorie, den 1970er-Jahren, stellten sich Theologie und Kirche in der damaligen Bundesrepublik anlässlich der ersten EKD-Mitgliedschaftsuntersuchung die Frage, ob und wenn ja, wie die Kirche zu reformieren sei. Wurde hier etwas verpasst – und haben die damaligen Überlegungen heute noch etwas mit Blick auf die heutigen Reformprozesse zu sagen?

„The beat goes on …!“

Die Kirchen in der DDR mussten in einer anderen gesellschaftlichen und kirchenpolitischen Situation Gedanken über ihren Weg jenseits einer klassischen volkskirchlichen Situation machen. Wurden diese Modelle nach der überraschenden Wende 1989 überhört oder zumindest nicht angemessen berücksichtigt und haben sie Relevanz für heutige Debatten, in denen Kirche absehbar Minderheitskirchen werden?  Hierzu kommen Theolog:innen, Soziologen und Historiker:innen zu Wort – im Dialog mit den Teilnehmenden.

Reformprozesse in der Kirche sind keine Neuigkeit. In den mehr als 30 Jahren, in den der Autor dieses Beitrags, im Dienst seiner Landeskirche steht, sind die Stichworte „Reform“ und „Strukturveränderung“ ein Kontinuum von Kirchenvorstandssitzungen, Pfarrkonferenzen und Synoden gewesen. Nicht wenigen kommt dies als Langstreckenlauf vor, dessen Ziel in unsichtbare Ferne gerückt ist.

“The beat goes on…!“ Die "Projektion 2060" des Forschungszentrums Generationenverträge und des Instituts für Finanzwissenschaft und Sozialpolitik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg haben die Dringlichkeit von Reformen in zugespitzter Form noch einmal deutlicher gemacht. Seitdem steht in fast allen Gliedkirchen der EKD die Diskussion über Strukturreformen ganz oben auf der Agenda. Der Reformprozess „Kirche bewegt. Mitreden - Mitgestalten“ der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck ist hier nur einer unter vielen: Grundsätzlich ist jede Kirche und jede Konfession für sich verantwortlich, das heißt auch für ihre Reformen: Um bei der evangelischen Kirche zu bleiben: Verantwortung wird vom Kirchenvorstand bis zur Landesssynode wahrgenommen. Das gilt aufs Ganze für die zahlreichen Reformprozesse in den EKD-Kirchen.

Erweiterung des Horizonts durch Ökumene

Den Fokus auf die Reformdebatten der Kirchen weiterzustellen, das heißt für die Tagung auch: den Blick auch über die eigene Landeskirche und Konfession hinaus zu richten – und in ökumenischer Perspektive zu betrachten. Hierzulande bedeutet das, etwa die Reformbemühungen in den deutschen Bistümern der römisch-katholischen Kirche, etwa den „Synodalen Weg“ in den Blick zu nehmen.

Dass die Fragen, denen sich die Konfessionen in den Reformprozessen stellen, nicht deckungsgleich sind, ist dabei nachrangig: Eine ökumenische Perspektive einzunehmen, bedeutet für den eigenen Reformprozess eine Erweiterung des Horizonts. Man kann von anderen Konfessionen lernen – auch von deren Erfahrungen in den Debatten um Reformen. Und die Beobachtung ernst nehmen: Viele Menschen verstehen sich zunächst als Christen und dann erst als Angehörige einer bestimmten Konfession.

Die Kirche der Zukunft wird also eine ökumenische sein, auch wenn die Konfessionen bestehen bleiben sollten. Zudem werden „die Kirchen“ in der Außenperspektive ökumenisch wahrgenommen: als „die Kirche“ – im Negativen wie Positiven. Wer eine ökumenische Perspektive einnimmt, lernt schließlich von den Erfahrungen der Kirche weltweit, auch von Christen, die in anderen Kontexten als hierzulande leben. Vertreter der Weltkirchenrates wirken an der Tagung ebenso mit wie Personen, die Kirchenreform und ihre Folgen aus der Perspektive ihrer Handlungsfelder bedenken, der Aus- und Fortbildung, der Diakonie und in „Missionaler Perspektive“.

Was erhoffen wir uns von der Tagung „Kirchenreform 2030/2040 unter ökumenischer Perspektive“? Nicht probate Lösungen, sondern Horizonterweiterung, Lernen durch Gespräche in ökumenischer Perspektive. Jeder und jede kann dazu beitragen: Menschen, die am Thema ein berufliches Interesse haben ebenso wie  Ehrenamtliche, die auf ganz verschiedenen Gebieten das Gesicht der Kirche prägen und deren Weg maßgeblich mitgestalten .

 

Detaillierte Information (und Anmelde-Möglichkeit) zur Tagung „Kirchenreform 2030/2040 unter ökumenischer Perspektive“ unter  https://www.akademie-hofgeismar.de/programm/detailansicht.php?category=1000001&exnr=22313

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