Auf die blau-gelben Berge steigen wir …
Nach vielen Jahren der klimapolitischen Wurstelei steht die Ampelkoalition nun vor großen Herausforderungen, wenn sie ihre eigenen klimapolitischen Ziele erreichen will. Robert Habeck präsentiert ambitionierte Diagramme und macht sich und anderen Mut – doch Zweifel bleiben. zeitzeichen-Redakteur Stephan Kosch beleuchtet die Pläne des grünen „Superministers“.
Zweimal Berge und Täler, oben blau, unten gelb. Wo sind wir? Bei blau im tiefen Tal, vor uns ein steiler Anstieg auf bisher unerreichte Höhen. Aus dem gelben Tal sind wir schon ein wenig heraus, aber auch hier steht das schwerste noch bevor, vierfach höher hinaus als bisher – das ist das Ziel.
Wo sind wir? In der Bundespressekonferenz in Berlin. Genauer gesagt auf einem Diagramm, das Robert Habeck hochhält. Der grüne Wirtschafts- und Klimaminister der Ampelkoalition will zeigen, wie das Ziel Klimaneutralität 2045 erreicht werden kann. Das ist vorgegeben, durch das Klimaschutzgesetz der alten Bundesregierung, das nachgeschärft wurde, nachdem das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr mehr Tempo beim Klimaschutz angemahnt hatte. Habeck formuliert das an diesem Tag so: „Wir müssen die Geschwindigkeit unserer Emissionsminderung verdreifachen und deutlich mehr in weniger Zeit tun.“ Er spricht von einer „Mammutaufgabe“, „mega-anspruchsvoll“.
In der Tat, die „Eröffnungsbilanz Klimaschutz“, die Habeck an diesem Tag im Januar präsentiert, fällt nicht gut aus. Das war absehbar, der Rückgang der Emissionen durch den Corona-Lockdown hat Deutschland zwar überraschenderweise das Klimaschutzziel für 2020 erreichen lassen – minus 40 Prozent im Vergleich zu 1990. Aber der Sondereffekt ist vorbei, die Wirtschaft läuft wieder hoch und mir ihr die klimaschädlichen Emissionen: „Wir starten mit einem drastischen Rückstand. Die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen sind in allen Sektoren unzureichend. Es ist absehbar, dass die Klimaziele der Jahre 2022 und 2023 verfehlt werden“, sagt Habeck.
Das kann er sagen, ohne Asche auf sein Haupt zu streuen, denn schließlich ist er erst seit wenigen Monaten im Amt als Klimaschutzminister der Bundesrepublik. Klimaschutz- und Wirtschaftsminister, um genau zu sein, ein eigenes Klimaministerium konnten die Grünen nicht durchsetzen. Doch eigentlich sollten die Zeiten auch vorbei sein, in denen Klimaschutz jenseits von Wirtschaftspolitik angesiedelt wurde, quasi als Antagonist. Das waren die Zeiten, als man noch fragte, ob man sich Klimaschutz leisten könne, und davor warnte, er bremse die wirtschaftliche Entwicklung.
Es ist nicht auszuschließen, dass manche immer noch so denken und nicht einberechnen, dass ein ungebremster Klimawandel riesige negative wirtschaftliche Folgen mit sich bringt. 280 Milliarden US-Dollar kosteten allein die Stürme, Überschwemmungen, Waldbrände und Erdbeben des vergangenen Jahres, der vierthöchste Wert bisher. 54 Milliarden US-Dollar davon die Hochwasser im Sommer in Europa, die in Deutschland einen Schaden von 40 Milliarden US-Dollar mit sich brachten – die bisher teuerste Naturkatastrophe in Deutschland und Europa. Das zeigen die Zahlen der Münchener Rückversicherung, die Jahr für Jahr eine Schadensbilanz veröffentlicht. Nicht immer ist eine Naturkatastrophe vom Klimawandel getrieben, aber immer öfter. Die Zahl der Extremwetterereignisse nimmt zu, weil sich die Erde immer mehr erwärmt.
Gleichzeitig sind Investitionen in Klimaschutz ein riesiger Markt und bieten einer Volkswirtschaft die Möglichkeit, sich ein Stück weit neu zu erfinden. So sieht es zumindest auch die Ampel-Regierung, die laut Präambel des Koalitionsvertrages die soziale Marktwirtschaft als „sozial-ökologische Marktwirtschaft“ neu begründen will. Man könnte spöttisch sagen, dass sich aus diesem Wortungetüm jede der drei Parteien nun das heraussuchen kann, was ihr am wichtigsten ist. Aber dass diese Regierung den Klimaschutz ernster nimmt als die Vorgängerregierungen, kann man ihr nicht absprechen.
Das 1,5-Grad-Ziel gilt und soll mit einem Maßnahmenkatalog erreicht werden, der engagierten Klimaschützern nicht weit genug geht, aber dennoch durchaus ambitioniert ist: Die Industrie soll Investitionen in Klimaschutz absichern können durch „Carbon Contracts for difference“. Wenn ein Unternehmen mehr dafür ausgibt, als es durch den geringeren Verbrauch von Verschmutzungsrechten einspart, gleicht das der Staat aus. Auf EU-Ebene soll eine Art CO2-Zoll für Waren aus anderen Regionen eingeführt werden. Viel Geld soll in „grünen“ Wasserstoff fließen, der mit erneuerbaren Energien hergestellt wird und zum Beispiel klimafreundliches Stahlkochen ermöglichen soll. Moore, Meere und Wälder sollen als natürliche Klimaschützer geschützt werden. Ab 2035 dürfen nur noch CO2-neutrale Fahrzeuge zugelassen werden. Der CO2-Preis soll, wie geplant, fossile Brennstoffe verteuern, dafür wird es einen Ausgleich für finanzschwächere Familien geben und die EEG-Umlage soll wegfallen. Dennoch soll der Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix bis 2030 auf 80 Prozent steigen – eine knappe Verdopplung innerhalb von acht Jahren.
Damit sind wir wieder zurück im Saal der Bundespressekonferenz und in den blauen und gelben Bergen und Tälern, die Habeck präsentiert. Denn gerade um den Ausbau der Erneuerbaren stand es in den vergangenen Jahren schlecht. Der Zubau bei der Photovoltaik ist durch schlechtere Förderung im tiefen Tal, bei der Windenergie sorgen Ausschreibungen, lange Genehmigungswege und die Blockade einiger Bundesländer für Flaute. Die Angst vor der „Verspargelung“ geht um, dabei sind an Land gerade mal 0,8 Prozent der Fläche Deutschlands mit Windkrafträdern besetzt. Das reicht aber nicht, um die Ausbaupläne zu erreichen, zwei Prozent sollen es werden, sagt Habeck. Und um die Photovoltaik voranzubringen, wird eine Anlage auf gewerblichen Neubauten zur Pflicht, bei privaten soll sie die Regel werden. Was genau das bedeutet, will er mit der Bauministerin bald festlegen. Auch die Frage, was das für kirchliche Neubauten bedeutet, ist nach Auskunft einer Ministeriumssprecherin noch offen.
Zwei Pakete
Habeck kündigte ein „Osterpaket“ und ein „Sommerpaket“ mit neuen Regeln an. Doch er weiß, dass es hier und bei all den anderen Fragen im Klimaschutz nicht nur um Technik und Verwaltung geht. „Das Land steht vor einer großen politischen Debatte“, sagte er und ergänzte: „auch eine soziale“. Er mache sich keine Illusion darüber, wie tief in die gesellschaftliche Wirklichkeit eingegriffen werde.
Wohl wahr, denn der Klimaschutz ist noch immer ein Thema, das zu kontroversen Diskussionen führt, auch wenn grundsätzlich nur noch sehr wenige dagegen sind. Aber wenn es konkret wird, wird es oft schwierig.
Zum Beispiel bei der Frage der steigenden Energiepreise. Diakonie-Vorständin Maria Loheide erklärte dazu: „Inflation und Klimaschutz dürfen Arme nicht weiter belasten. Einkommensarme Haushalte müssen entlastet werden, reiche in die Pflicht genommen werden, denn sie verbrauchen überproportional viel Energie. Diese Gerechtigkeitslücke bei Klimaschutz und Ressourcenzugang muss geschlossen werden.“ Dabei ist die Frage, wie viel Geld für eine „Rückerstattung“ überhaupt vorhanden ist, denn zunächst einmal sind die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung für andere Dinge vorgesehen (lesen Sie dazu auch das Interview ab Seite 40).
Und Klaus Seitz, Abteilungsleiter Politik bei Brot für die Welt, begrüßt zwar den umwelt- und klimapolitischen Schwung der Ampelkoalition, den die vorherige Bundesregierung zuletzt vermissen ließ. Die neuen Ausbauziele für die erneuerbaren Energien seien ebenso wie der damit verbundene Kohleausstieg bis 2030 wichtige Schritte zur Emissionsreduktion. „Ob es mit diesen und anderen vereinbarten Maßnahmen gelingt, Deutschland auf einen mit dem 1,5 Grad-Limit kompatiblen Pfad zu bringen, bezweifle ich aber.“
Sehr bedauerlich sei zudem, dass dem Anliegen der globalen Klimagerechtigkeit im Koalitionsvertrag kaum Tribut gezollt werde. Zwar bekenne sich die Koalition dazu, den deutschen Anteil zu den für die internationale Klimafinanzierung zugesagten 100 Milliarden Dollar jährlich aufzubringen und zu erhöhen. „Dazu, wann und in welchem Umfang dies geschieht, sagt sie freilich nichts. Und die Frage des Umgangs mit den Schäden und Verlusten, die viele besonders verletzliche Staaten infolge des Klimawandels bereits jetzt erleiden, ist noch nicht mal einen Halbsatz wert“, moniert Seitz.
Doch zumindest im Inland wird es ernst mit den klimapolitischen Maßnahmen, und das ist gut so, denn es bleiben nur noch wenige Jahre, um Schlimmeres zu verhindern. Die Debatten, die viele der Maßnahmen auslösen werden, dürften nicht weniger anstrengend werden, als die um Corona und das Impfen. Und sie haben auch das Potenzial, die gesellschaftliche Spaltung zu vertiefen, vor allem wenn Populisten klimapolitische Argumente benutzen, um erneut diejenigen um sich zu sammeln, die aus welchen Gründen auch immer „dagegen“ sind.
Nicht alles wird man mit Geld befrieden können, es geht schließlich auch um ideologische Grundsätze. Migration, zum Beispiel, denn deutsche Unternehmen brauchen dringend Fachkräfte aus dem Ausland, um all die Arbeit zu erledigen, die ansteht. Atomenergie – noch so ein aufgeladenes Thema, das über Frankreich und neue EU-Regeln für eine grüne Investition wieder nach Deutschland schwappt. Die Ampelkoalition ist hier klar, wir brauchen Gas für den Übergang und neue Kraftwerke dafür, die später mit Wasserstoff laufen können, aber kein neues Atomkraftwerk – und auch keine Laufzeitverlängerung. Noch hält der Konsens an diesem Punkt, wie auch an einem anderen, ebenfalls ideologisch aufgeladenen Thema: Freiheit. Die findet der eine mit dem Bleifuß auf der Autobahn (oder zumindest der theoretischen Möglichkeit dazu), der andere sieht sie durch den Klimawandel bedroht. Es war wahrscheinlich richtig, das Tempolimit nicht zur Bedingung der Regierungsbildung zu machen – zu gering ist der klimapolitische Effekt, zu groß der ideologische Theaterdonner, der damit verbunden gewesen wäre. Es gibt jetzt andere Bretter zu bohren.
Und es ist gut, dass Robert Habeck auf die Kraft des Dialogs setzt. Bis zum Sommer will er mit jedem zuständigen Landesminister gesprochen haben, im besten Falle auch mit jedem Ministerpräsidenten. Er unterscheidet zwischen Bürgerbeteiligung nach Recht und Gesetz mit in Büros hinterlegten Plänen, die man als Bürger einsehen kann und es doch nie tut, und echten Diskussionsveranstaltungen vor Ort, bei denen „man sich in die Augen guckt“. Habeck verstieg sich sogar zu der Aussage, die Klimaschutzpläne der Bundesregierung böten „enorme Chancen für die politische Kultur“, für ein „neues Verhältnis zwischen Bund und Ländern“, wir würden „lernen, wie wir besser sein können“. So pathetisch redet einer, der sich und anderen Mut machen will vor dem Anstieg auf die blauen und gelben Gipfel.
Stephan Kosch
Stephan Kosch ist Redakteur der "zeitzeichen" und beobachtet intensiv alle Themen des nachhaltigen Wirtschaftens. Zudem ist er zuständig für den Online-Auftritt und die Social-Media-Angebote von "zeitzeichen".