Waches Herz

Barock mit Paper Kite

Reflexionen über den Dreißigjährigen Krieg in Dichtung und Musik – hier sind also nicht die australischen Indierocker Paper Kites, sondern hier ist das junge Bonner Ensemble Paper Kite am Start – mit einem zweiten Album, das die Ausrichtung der Gruppe auf die Musik des Frühbarock vertieft. Neben einem Werk des Musicus Poeticus Schütz wartet Paper Kite mit Komponisten auf, die allesamt der thüringisch-sächsischen Tradition der Generationen vor Johann Sebastian Bach zuzuordnen sind: Andreas Hammerschmidt, Johann Rosenmüller, Schützens Schüler Christoph Bernhard, Johann Philipp und dessen Bruder Johann Krieger sowie Philipp Heinrich Erlebach. Johann Kriegers „Abend-Andacht“ aus den „Neuen musicalischen Ergetzligkeiten“ von 1684 ist titelgebend für diese Auswahl, die sich nicht an einer liturgisch konzipierten Abend-Andacht der Zeit orientiert, sondern neben reflektierend-erbaulichen Texten den Schwerpunkt auf die Ich-Texte der Bibel legt: Hohelied- (Hammerschmidt) und Psalm-Vertonungen.

Dieser Ich-Ausdruck, das individuelle Moment, ist auch die große Stärke der CD und ihre pulsierende Kraft: Hier zeigt sich Sopranistin Marie Heeschen, um die sich ein Quintett aus zwei Violinen (Antonio de Sarlo, Rafael Roth), Cello (Guillermo Turina), Theorbe (Sören Leupold) und Orgel (Felix Schönherr) schart, ganz in dem einnehmend wandlungsfähigen Ausdrucksvermögen ihrer Stimme und ihrem klar konturierten, mitunter einem springenden Bergquell gleichenden, dabei aber immer mozartisch sinnlichen und weich strömenden Timbre. Ihr unaffektierter, die Sinne öffnender Umgang mit der Sprache und ihre sich an den Klang verschwendende – nicht verlierende – Hingabe verhelfen jedem Werk zu seinem ihm eingeschriebenen Kolorit. Dabei kann sich Marie Heeschen auf ein exzellent eingespieltes, jede ihrer Regungen aufnehmendes und sie sicher durch alle Fährnisse begleitendes Ensemble verlassen. Auch Thomas Dehler, der Zeitzeugentexte eines Söldners, eines Priors und von Andreas Gryphius einspricht, erweist sich mit Eindringlichkeit als Könner seines Fachs.

Insgesamt aber wirken diese elementar erschütternden Texte – entgegen der Intention der CD – artifiziell eingebunden und einer museal-historisch-akademischen Dramaturgie verpflichtet, die die Betroffenheit in den Konzertsaal bannt, statt der Gegenwart aller Geschichte Raum zu geben. Vielleicht hätte das in der Musik aufscheinende Memento Mori in unserer Wirklichkeit mit Stimmen aus Syrien, aus der Ukraine, aus häuslicher Gewalt, mit Obdachlosen … eine andere Dringlichkeit erfahren – die Musik hätte ihre Lebendigkeit und Kraft beweisen können. Dessen ungeachtet: Das neue Paper-Kite-Album ist viel farbiger als seine Aufmachung, lebendig wie der Mai und fährt mit wachem Wind durch die Alte Musik.

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