Spielentscheidender Unterschied
Die Evangelische Journalistenschule in Berlin ist von der Schließung bedroht. Hintergrund sind Sparmaßnahmen und Restrukturierungspläne ihres Trägers, des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik. Johanna Haberer, Professorin für Christliche Publizistik an der Universität Erlangen-Nürnberg, hält diese Pläne für falsch und für vergleichbar mit der Schließung von Intensivbetten in Zeiten von Corona.
Es ist wie ein Déjà-vu: Am 17. Februar 2000, genau vor zwanzig Jahren, entschied der Verwaltungsrat des Gemeinschaftswerks der Evangelischen Publizistik (GEP): „Mit Ablauf des dritten Studienganges zum Jahresende 2000 wird das Ausbildungsprogramm der Evangelischen Journalistenschule in seiner gegenwärtigen Form beendet.“ Als Grund wurden „Finanzierungsprobleme“ genannt und der gestiegene Bedarf an Öffentlichkeitsarbeitern für die Felder der kirchlichen Arbeit, seien es die Öffentlichkeitsabteilungen der Kirchenämter, die Bildungsarbeit oder die Diakonie. Wenn die Kirche schon Journalisten ausbilde, so war die Argumentation, dann doch wenigstens für den Bedarf der eigenen Einrichtungen. Dann erst sei der Finanzierungsrahmen legitimiert. Eine eigene Journalistenausbildung für den allgemeinen Medienmarkt dagegen erschien angesichts rückläufiger Kirchensteuermittel aus der Sicht kirchlicher Finanzpolitiker eher wie ein Luxus. Damals entschied man sich doch, die Evangelische Journalistenschule mit verändertem Programm fortzuführen. Der öffentliche Druck vieler prominenter Befürworter aus Journalistenkreisen zeigte offenbar Wirkung.
Jetzt soll die Evangelische Journalistenschule wieder einmal geschlossen werden oder in abgespeckter Form dahinvegetieren. Die Argumente wiederholen sich und zeigen eine Spannung kirchlichen Engagements in den Medien, die sich zuspitzt, seit sich die medialen Öffentlichkeiten ins Unendliche vervielfachen. Seither müssen sich Kirchen die Frage stellen, wie ihre Werte und Themen im digitalen Raum überhaupt noch auffindbar sind. Und ob sie nicht in die Aufmerksamkeit für die „hauseigenen“ Themen wie Verkündigung, Seelsorge und diakonisches Handeln investieren müssen, anstatt eine vermeintlich unverbindliche journalistische Ausbildung zu befördern, die der Gesellschaft als ganzer zugute kommt.
Auf den ersten Blick kann man die Überlegungen im Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik nachvollziehen. Bei näherem Hinsehen allerdings wirkt die Schließung einer qualitativ ausgezeichneten Journalistenschule in diesen Tagen so, als ob jemand Intensivbetten schließt in Zeiten von Corona. Denn nichts braucht diese Gesellschaft zur Zeit nötiger als Profis, die der viralen Kontaminierung unserer Informationsgesellschaft Einhalt gebieten und sich zugleich sensibel im medialen Religionsdiskurs verständlich machen können.
Neustart nach dem Krieg
Man könnte sich auf den Standpunkt stellen: Es gibt guten Journalismus und schlechten Journalismus, aber keinen christlichen. Aber dann könnte man ebenso fragen: Warum betreibt die Kirche christliche Krankenhäuser, wo es doch gute und schlechte Medizin gibt und keine christliche? Warum betreibt sie Internate, Schulen oder Akademien, was andere ja auch hervorragend können, wenn da nicht doch ein kleiner spielentscheidender Unterschied wäre?
Wenn der Unterschied zu den vielfältigen anderen Initiativen der evangelischen Kirche auf dem Sozial- und Bildungsmarkt zu einer Journalistenschule lediglich der wäre, dass die kirchlichen Träger auf den anderen Feldern entweder ihre Tätigkeiten selbst erwirtschaften können oder durch kommunale Gelder refinanzieren; wenn also das Geld das einzige Argument wäre, dann wäre die Schließung der Evangelischen Journalistenschule in Berlin ein trauriger Akt für eine Kirche, die von sich behauptet, ein Teil der deutschen Gesellschaft zu sein. Die darauf stolz ist, mit einer öffentlichen Theologie diese Gesellschaft in relevanten Fragen aus evangelischer Perspektive zu beraten und zu begleiten.
Die erste publizistische Institution, die die evangelische Kirche gleich nach dem Krieg gründete, war nicht das Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik (GEP), sondern die sogenannte Christliche Presseakademie (CPA). Zwei Soldaten in amerikanischer Gefangenschaft hatten die Idee einer Journalistenfortbildung in christlichem Geist: Der Theologe Eberhard Stammler und der Nürnberger Journalist und Kriegsberichterstatter Christoph Freiherr von Imhoff. Man wolle zu einer Publizistik stehen, die „ohne christliche Propagandaparolen dem Publikum durch eigene Erfahrung anhand des Weltgeschehens Probleme, Zusammenhänge und Fehler aufzeige.“ Man wollte von Seiten der Christen den Journalisten den Respekt zollen, den ihre Aufgabe in der Gesellschaft verdient.
Die Christliche Presseakademie wurde 1949 ins Leben gerufen, um Journalisten und Journalistinnen weiterzubilden, die in den Kriegsjahren bei der von den Nationalsozialisten gleichgeschalteten Presse gearbeitet und dort ihren Kopf verloren hatten oder die gekündigt worden waren, weil sie aus nationalsozialistischer Sicht unzuverlässig waren.
Sie alle mussten sich neu orientieren. Für diese verunsicherte Berufsgruppe gründete die Evangelische Kirche ein Institut, das sich über die Jahre einen ausgezeichneten Ruf erwarb, das renommierte Journalisten als Dozierende beschäftigte und ungezählte ausgezeichnete Journalistinnen hervorbrachte. Der Geist der CPA hat die Medienlandschaft in Deutschland nachhaltig geprägt.
Ihre legitime Nachfolgerin war die Evangelische Journalistenschule. Denn die Christliche Presseakademie wurde 1988 in ihrer bisherigen Form aufgelöst und in Evangelische Medienakademie umgetauft. Heute gehört die Evangelische Medienakademie zur Öffentlichkeitsarbeit der Nordkirche und bildet im Wesentlichen Öffentlichkeitsarbeiter für den kirchlichen Bedarf aus.
Geist der Gründer
Der Geist der Gründer allerdings war nach den Erfahrungen der Propagandamedien und der daraus folgenden Katastrophe für die Meinungen und Überzeugungen der Bürger während der Nazizeit auf ein anderes Ziel gerichtet. Man wollte Menschen bilden, die zu einer unabhängigen, vielfältigen, einer fairen und validen Meinungsbildung der Bürger im ganzen Land beitragen sollten. Die Gründer der CPA folgten dem protestantischen Konzept, dass sie künftig die Entwicklungen der Kommunikationskultur nicht mehr aus den Augen lassen wollten, um nie mehr wieder so zu versagen wie im sogenannten Dritten Reich.
In diesen Nachkriegsjahren wurden noch andere Institute gegründet, die nicht direkt dem Bild der Institution Kirche in der Öffentlichkeit dienten, so etwa der Medienfachdienst „Kirche und Rundfunk“ (heute „Kirche und Medien“) oder den Evangelischen Filmbeobachter (heute epd Film). Alles sind qualitativ hochwertige Publikationen, die aus der Sicht eines christlichen Menschenbildes die medialen Kommunikationskulturen kommentieren und begleiten.
Man wollte vom christlichen Freiheitsgedanken kommend einen Beitrag leisten zur Demokratie, zur Freiheit von Presse und Rundfunk, und man wollte journalistische Qualität in Unabhängigkeit fördern, gegen das Wiedererstarken der Diktatur arbeiten, man wollte auf die öffentliche Sprache achten, auf die Berufsbedingungen von Journalisten sowie auf die Medienpolitik und Medienentwicklung in Deutschland Einfluss nehmen.
Man mag sagen, das seien alte Ideale, die in Zeiten der explodierenden digitalen Medienkommunikation nicht mehr finanzierbar seien. All diese Ziele seien für die kirchliche Institution unter Effizienzaspekten nicht messbar und würden der Kirche unmittelbar nichts „bringen“. Wer so argumentiert, möge jedoch ernst nehmen, dass unseren Vorvätern, die ohne Finanzmittel praktisch in einem zerstörten Land saßen, nichts so teuer war, wie eine freie, unabhängige Medienlandschaft, die dafür sorgt, dass die Menschen nicht belogen werden, sondern sich ein fundiertes Urteil bilden können. Denn eine Berichterstattung, die unabhängig und nach allen Seiten recherchiert, die informiert, kommentiert, die mit Hintergrund versehen und nachhaltig verfolgt wird, ist für eine Gesellschaft, die in Frieden und Gerechtigkeit leben will, ebenso wichtig wie Desinfektionsmittel in Zeiten des Coronavirus.
Dass die Unabhängigkeit der Presse in den Medienentwicklungen der jüngsten Zeit gefährdet ist, ist hinlänglich bekannt. Seit die ungarische und die polnische Regierung die Pressefreiheit beschneidet, seit überall in Europa die öffentlich-recht-lichen Rundfunksysteme unter Druck geraten, seit die AfD die Abschaffung des dualen Rundfunksystems in ihr Parteiprogramm geschrieben hat, seit zunehmend Journalistinnen und Journalisten tätlich angegriffen werden, seit die Anzeigenverluste die Presse zu einer immer kommerzielleren Ausrichtung zwingt, seither müsste deutlich sein, dass eine halbe Million Euro für die Ausbildung unabhängig denkender Journalistinnen, die sich ein christliches Menschenbild auf die Fahnen geschrieben haben, nicht zu viel Geld sein kann.
Es ist zugleich unbestritten, dass die Kirche in digitalen Zeiten mit ihrer herkömmlichen Publizistik vor schier unlösbaren Fragen steht. Immer mehr Kanäle gilt es zu bedienen, immer mehr Öffentlichkeiten zu bespielen. Auf all diesen neuen Plattformen winken keine Refinanzierungsmöglichkeiten für den hohen personellen Aufwand, den die crossmedialen Formate erfordern, sofern die Angebote sorgfältig gestaltet und qualitativ hochwertig ausgearbeitet sein sollen.
Der schleichende mediale Aufmerksamkeitsverlust aller kirchlichen Einrichtungen scheint unvermeidlich, da Kirchensteuermittel wohl schwerlich dafür verwendet werden können, um Platzierungen bei Google zu kaufen. Ein Schicksal, das die Kirche übrigens mit allen Nonprofitorganisationen wie auch Stiftungen teilt. Die Priorisierung durch marktgesteuerte Algorithmen und die darauf folgende Suchmaschinenoptimierung durch Geld könnte die öffentliche Präsenz religiöser und kultureller Angebote langsam zum Verschwinden bringen.
Digitale Neuformatierung
Die journalistische Ausbildung als Projekt der evangelischen Menschenbildung mit dem digitalen Präsenzproblem der kirchlichen Institutionen zu vermengen, wäre allerdings fatal. Auch lässt sich die digitale Herausforderung nicht durch kurzfristige crossmediale Projektfonds lösen, wie das die EKD seit Jahren versucht. Sie können nicht mehr als eine Ideensammlung hervorbringen, aber keine Strategie ersetzen.
Die Sichtbarkeit der Kirche in digitalen Zeiten erfordert ein theologisch und medial durchdachtes Konzept, das die Logiken der neuen Öffentlichkeiten ernst nimmt, das nicht mit Personal spart, das digitale Fort- und Weiterbildungsangebote für kirchliche Opinionleader und Ehrenamtliche befördert, das Verlinkungsstrategien entwirft, um das „digitale Wir“ der evangelischen Christen sichtbar werden zu lassen.
Die Erhaltung der Evangelischen Journalistenschule – weiterentwickelt durch einen ausgebauten crossmedialen Schwerpunkt und mit einer digitalen Neuformatierung der Unterrichtsprozesse – könnte ein wichtiger Teil eines solchen Konzepts sein.
Johanna Haberer
Johanna Haberer ist emeritierte Professorin für christliche Publizistik und beratende Mitarbeiterin von zeitzeichen.