Wer nicht spurt, wird gejagt

Warum die AfD eine ernsthafte Bedrohung für die Demokratie darstellt
Björn Höcke
Foto: dpa/ Julian Stratenschulte
Der Landesvorsitzende der AfD Thüringen, Björn Höcke, im November 2019 in Braunschweig.

Ist der Selbstbeschreibung der AfD als bürgerlich zu glauben? Nein, meint der Politikwissenschaftler Tobias Fernholz (Tübingen). In der demokratieverachtenden Haltung der Partei liegt der Unterschied zwischen einer bürgerlich konservativen Politik einer Union und einem demokratiegefährdenden Rechtsradikalismus der AfD.

Die Geschichte der AfD ist eine Geschichte von Irrtümern. Der erste Irrtum unterlief dem damaligen Gründer der Partei Bernd Lucke, der glaubte, eine „eurokritische“ Partei gegründet zu haben, die sich sowohl aus einem konservativen bürgerlichen Milieu, als auch aus rechtsradikalen Kreisen rekrutiere. Lucke glaubte, diese Kräfte innerhalb seiner Partei unter Kontrolle zu haben. Dieser Irrtum wurde ihm klar, als er 2015 von der sächsischen AfD-Landesvorsitzenden Frauke Petry aus der Partei getrieben wurde. Bernd Lucke war jedoch nicht der einzige, der sich irrte. An seiner Seite stand eine Öffentlichkeit, die fasziniert war von diesem Neuling in der Politik. Journalisten und Wissenschaftler versuchten zu verstehen. Was sie bei ihrer Faszination nicht sahen, war die Tatsache, dass die AfD nie bürgerlich und nie rechtspopulistisch war. Sie war schon immer eine rechtsradikale Partei, offen zum Extremismus.

Spätestens seit August 2018, als in Chemnitz die extreme Rechte ihre Macht demonstrierte und gemeinsam mit der AfD durch die Stadt marschierte, wich die Bezeichnung der rechtspopulistischen Partei zunehmend dem Begriff des Rechtsradikalismus. Doch was ist mit Rechtsradikalismus gemeint, und ist der Begriff des Populismus per se falsch? Diese neue Bezeichnung lässt sich konzeptuell mit den Arbeiten des niederländischen Populismusforschers Cas Mudde erfassen. Mudde spricht seit Anfang der 2000er-Jahre vom sogenannten „populist radical right“. Einer sogenannten „dünnen Ideologie“, sprich einer Haltung zur Welt, die anknüpfungsfähig zu anderen Weltanschauungen ist. Diese Zuordnung prägte die Populismus- beziehungsweise Rechtspopulismusforschung der letzten Jahre und zeichnet sich durch drei Elemente aus: Nativismus, Autoritarismus und Populismus.

Es geht um Rassismus

Nativismus ist die Überhöhung der als „natürlicherweise“ im eigenen Land lebenden und geborenen Menschen über all jene, die eben nicht über diese „naturalisierte“ Verbindung verfügen. Ein Beispiel hierfür lieferte die AfD in ihrem Bundestagswahlprogramm aus dem Jahr 2017, indem sie eine Rückkehr zum exklusiven Einwanderungsrecht durch die Blutlinie forderten. Um es deutlicher zu sagen: Es geht um Rassismus. Die Argumentation der Rechtsradikalen verläuft unter dem Deckmantel des sogenannten ‚Kulturrassismus‘, der zwar vordergründig nicht auf ‚Rassen‘ sondern auf ‚Kultur‘ beruht. Beides aber wird als unveränderbar und prägend angesehen. Es ist in der Argumentation austauschbar.

Der Autoritarismus zeigt sich in der zentralen Forderung, dass der „Wille des Volkes“ unbedingt durchgesetzt werden muss. Was auch immer das (native) „Volk“ will, hat, ohne Wenn und Aber, seine Umsetzung zu finden. Ein Verständnis unserer Gesellschaft, das nur Freund und Feind sieht, das keine gesellschaftliche Aushandlung, sondern nur die Durchsetzung von Macht kennt, ist kaum in der Lage, von der Gesellschaft getragene Entwicklungen als solche zu begreifen. Stattdessen gelten bestehende Hierarchien und verbindliche Traditionen als unumstößliche Eckpfeiler der Gesellschaft. Dieses fehlende Verständnis, so führt es der anerkannte Verschwörungstheorieforscher Michael Butter aus, macht Verschwörungstheorien für rechtsradikale Populistinnen und Populisten besonders reizvoll. In ihnen steckt die Idee, dass eine Elite, die zum Beispiel für die Gleichstellung der Geschlechter „verantwortlich“ ist, nur von der Macht entfernt werden müsste, um den alten Status erneut herzustellen. Alle, die diesem „Volkswillen“ widersprechen, sind keine politischen Gegner, deren Argumente zu widerlegen seien, sondern nicht weniger als Feinde „des Volkes“, Verschwörerinnen und Verschwörer. Die Krux dieser Argumentation ist, dass der „Wille des Volkes“ als der Inbegriff der Demokratie instrumentalisiert wird. Minderheitenrechte, Abwägung, Konsens, Aushandlung, Solidarität, auch und gerade mit politischen Gegnern, haben keinen Platz. Wer nicht spurt, wird zum Feind, der gejagt wird oder auf dessen Gräbern man tanzen möchte, um zwei Vorsitzende der AfD, Alexander Gauland und Andreas Kalbitz, zu zitieren.

Das dritte Merkmal ist der Populismus. Gemeint ist der alles durchdringende Widerspruch zwischen korrupten Eliten auf der einen Seite und dem wahrhaftigen Volk auf der anderen. Hierin liegt weniger ein ökonomisches Argument zwischen oben und unten, denn mehr ein moralisches. Nur wer über die rechtschaffene Demut verfügt, auf „das Volk“ zu hören, kann legitim über dasselbe herrschen. So weit, so nachvollziehbar. Das populistische Moment der Rechtsradikalen sieht jedoch keine Aushandlung vor, wozu auch, wenn die autoritären und nativistischen Elemente bereits vorgeben, wer zum „Volk“ gehört und wie dessen Wille auszusehen hat. Markus Frohnmaier, Bundestagsabgeordneter der AfD, brachte dies 2015 in einer Rede auf den Punkt, indem er vom „Parteienfilz“ sprach, der „aufgeräumt“ und „ausgemistet“ wird, und erst dann „wird wieder Politik für das Volk und nur für das Volk gemacht – denn wir sind das Volk, liebe Freunde“. Dieses „Volk“ wird mit derartiger Rhetorik in eine andauernde Krise hineinfantasiert. Dabei handelt es sich aber um keine reale Krise, wie etwa jene des Klimawandels, nein, es geht um eine zutiefst fiktive reaktionäre Krise, die in jeder emanzipatorischen Errungenschaft unserer Gesellschaft ein weiteres Indiz ihres Untergangs wittert. Die rechtsradikale Partei bleibt dadurch in einer andauernden Mobilisierung. Ein Spannungsabfall findet nicht statt, und mit jedem verstreichenden Tag wird der herbeigeredete Verfall der Gesellschaft unumkehrbarer. Dadurch wächst Handlungsdruck.

Kombiniert man diese drei Elemente, ist das Resultat eine Partei, die eine ernsthafte Bedrohung für die Demokratie darstellt. Die wiederholten Irrtümer im Umgang mit ihr haben dazu geführt, dass diese Bedrohung so real ist wie vermutlich zu keinem Zeitpunkt in der Geschichte der Bundesrepublik. Belege hierfür finden sich im kurzen Schaffen dieser Partei zuhauf, angefangen mit Führungspersönlichkeiten wie dem Landesvorsitzenden der AfD Thüringen, Björn Höcke, der durch den Soziologen Andreas Kemper als Landolf Ladig, Autor eines neonazistischen Magazins, identifiziert wurde, oder dem Landesvorsitzenden der AfD Brandenburg, Andreas Kalbitz, der gleich unverblümt in persona auf neonazistischen Sommerlagern der verbotenen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ oder bei Neonazi-Aufmärschen in Athen beobachtet wurde. Beide sind seit dem Jahr 2013 fester Bestandteil der AfD.

Selbstverharmlosung als Strategie

Auch der Blick auf die parlamentarische Arbeit der AfD offenbart eine gewisse Konsequenz ihres autoritären und völkischen beziehungsweise nativistischen Denkens. Im Bundestag stellte die AfD eine Anfrage nach der Anzahl von Kindern, die mit Behinderung geboren werden und wie hoch dieser Anteil bei Menschen mit Migrationsanteil sei. Der Abgeordnete Jens Maier brachte im Januar 2020 die steile These vor, Geflüchtete seien für den erhöhten CO2-Ausstoß verantwortlich. Seit Januar 2019 ist zudem bekannt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz Teile der AfD als Verdachtsfälle eingestuft hat und derzeit eine weitgehende Beobachtung prüft.

Nun ist es keinesfalls so, dass sich die mediale und wissenschaftliche Öffentlichkeit vor diesen Entwicklungen verschloss. Der Irrtum ist eher das Ergebnis ‚erfolgreicher‘ Kommunikation. Die Richtschnur dieser Kommunikationsstrategie, die sich zum Beispiel in einem internen Gutachten der AfD widerspiegelt, ist eine Kombination aus Selbstverharmlosung und Selbstmarginalisierung. Die Selbstverharmlosung konnte zuletzt nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland beobachtet werden. Die AfD sei eine bürgerliche Partei, hieß es nun. Diese, auch von einer MDR-Journalistin verwendete Zuordnung der AfD wurde bei jeder Gelegenheit verbreitet. Zur Erinnerung: Wir sprechen von Landesverbänden, in denen Höcke und Kalbitz den Vorsitz stellen und in denen der, laut dem Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, „immer extremistischer“ werdende Flügel dominiert. Mit bürgerlich hat dies wenig zu tun. Doch die überraschende Wahl des FDP-Kandidaten Thomas Kemmerichs zum Thüringer Ministerpräsidenten zeigt, dass ihre Strategie aufgeht. Nach den viel thematisierten Grenzen des Sagbaren fallen nun auch die Grenzen des Machbaren.

Der zweite Bestandteil, die Selbstmarginalisierung, drückt sich in dem Bestreben der AfD aus, sich immer wieder in die Rolle der Unterdrückten zu manövrieren. Aus dieser Position heraus verschiebt sie die Diskussion weg von ihren haltlosen Argumenten hin zu der wiederkehrenden Erzählung, benachteiligt zu sein. In der Debatte geht es ihr also nicht darum, Argumente vorzubringen, die tatsächlich diskutierbar wären. Es geht darum, öffentlich darzustellen, wie „unfair“ sie von anderen behandelt werden. Die Kombination aus Selbstverharmlosung und Selbststigmatisierung zeigt sich deutlich am Umgang mit skandalösen Aussagen. Diese werden in regelmäßigen Abständen von Führungspersönlichkeiten der Partei in die Öffentlichkeit abgelassen. Hier sorgen sie für Aufsehen und Aufregung, die nach kurzer Zeit von den Rechtsradikalen eingefangen wird. Es läge ein „Missverständnis vor“, heißt es dann. Die Person sei absichtlich missverstanden worden und alles sei nie so gemeint gewesen. Eine aufrichtige Entschuldigung folgt selten, stattdessen werden all jene, die Kritik üben, als „die wahren Hetzer entlarvt“. Nicht weniger als die Meinungsfreiheit stünde auf dem Spiel. Am Ende dieses vielfach wiederholten Schauspiels fordert gar die AfD eine Entschuldigung. Aus dem Täter wird das Opfer, aus der grenz-überschreitenden Aussage wird ein harmloses Missverständnis. Die eigenen Anhängerinnen und Anhänger applaudieren, die Öffentlichkeit ist irritiert, und es steht die Frage im Raum, ob der Umgang mit den Rechtsradikalen der falsche sei?

In den vergangenen Jahren hielt sich die Idee des „Mit-Rechten-Reden“. Dieser Umgang war motiviert von der Überzeugung, mit dieser demokratisch gewählten Partei sprechen zu müssen, gepaart mit einem gewissen voyeuristischen Interesse an den Rechtsradikalen. Aufgrund ihrer erfolgreichen Kommunikationsstrategie war eine Debatte jedoch von vorneherein aussichtslos. Stattdessen bot sich für die Rechtsradikalen wieder und wieder die Möglichkeit, ihre menschenverachtenden Positionen in aller Öffentlichkeit auszubreiten. Kaum Beachtung findet im Kontext dieser Diskurse die Tatsache, dass es Menschen gibt, die von den rassistischen, sexistischen und antisemitischen Aussagen betroffen sind. Als nicht betroffene Person ist es kaum vorstellbar, was es bedeutet, in Zeitung, Radio, Fernsehen und Internet stets und ständig die eigene Existenz abgesprochen zu bekommen.

Der Faschist Höcke

Aber kann Ausgrenzen eine Lösung sein? Was ist mit den Unterstützern der AfD? Hier sei auf die Arbeiten des Jenaer Soziologen Matthias Quent verwiesen, der sich insbesondere nach der Landtagswahl in Thüringen zu der Bedeutung von Protestwählern äußerte. Wenn die Wahlentscheidung zugunsten des Faschisten Höcke gefällt wird, dann ist dieser Protest einer, der Faschismus zumindest billigend in Kauf nimmt. Wir müssen diese Wählerinnen und Wähler und die Mitglieder der AfD ernst nehmen darin, dass sie es vorziehen, Rechtsradikale zu unterstützen und damit eine Bedrohung für unsere demokratische Gesellschaft darstellen. Mit dieser Konsequenz sollte jeder Wähler, jedes Mitglied der AfD konfrontiert werden.

In dieser demokratieverachtenden Haltung liegt letztlich der Unterschied zwischen einer bürgerlich konservativen Politik einer Union und einem demokratiegefährdenden Rechtsradikalismus der AfD. Erstere hat politische Gegner, die sie achtet, Zweiterer hat politische Feinde, die er verachtet. Letzterer hat keinen Platz in einer Demokratie. Wer seine Feinde jagen will und auf ihren Gräbern das Tanzbein schwingen möchte, ist ein Fall für die vielfach beschworene „wehrhafte Demokratie“.


 

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Foto: Privat

Tobias Fernholz

Tobias Fernholz ist Politikwissenschaftler an der Uni Tübingen und Doktorand im Promotionskolleg Rechtspopulistische Sozialpolitik und exkludierende Solidarität.


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