Freiheit

Plädoyer für mehr Transzendenz

Renata Schmidtkunz, seit vielen Jahren Redakteurin beim Österreichischen Rundfunk (ORF), hat mit "Himmlisch frei" ein bemerkenswertes Buch geschrieben: So fragt sie weniger, wie politisch auf Entwicklungen wie die Attacken auf öffentliche Institutionen, auf die Verarmung ganzer Bevölkerungsteile oder die Spaltung der Gesellschaft zu reagieren ist. Sie fragt vielmehr, was Menschen seelisch bestärken kann, in solcher Zeit für humane Werte einzutreten.

Die Autorin beschreibt eindrücklich, wie sie den schleichenden Prozess der Veränderung in Österreich erlebt und beobachtet hat. Vieles lässt sich unmittelbar mit der Entwicklung in Deutschland gleichsetzen. Beispielsweise das tina-Syndrom, also: There is no alternative, das Effizienz-Gespenst und das Gewinndenken: „Was nichts bringt, wird nicht mehr gemacht“. Ihre Schlussfolgerung in der Analyse ist: „Jene, die gerne alles außer das von ihnen verursachte Elend, privatisieren würden, bestimmen heute den öffentlichen Diskurs.“

Die Analyse macht deutlich, dass in den westlichen Gesellschaften die Transzendenz abhanden gekommen ist. Renata Schmidtkunz befragt viele verschiedene Menschen, was ihnen Transzendenz bedeutet, und es wird klar, dass es um Räume der Freiheit geht, um die innere Freiheit, über das Vorfindliche hinaus zu denken. Das kann durch Religion möglich sein, aber auch über Poesie, Kunst, durch Musik, die Erkenntnis, dass es mehr gibt als das, worüber der Mensch verfügt, was er kontrollieren kann.

Wenn Transzendenz Freiheitsräume eröffnet, müssen diese wieder zugänglich gemacht werden in einer Welt, die der Mensch zu beherrschen meint. Dazu ist Bildung notwendig. Aber eben auch die Vermittlung von Religion, weil gerade Gott und das Heilige nicht verfügbar sind. Nur, wer sich vom Machbarkeitswahn befreit, hat auch wieder die Freiheit, Utopien zu denken, Visionen von einer anderen Welt zu haben, wie die Bibel sie kennt und darlegt. Renata Schmidtkunz weiter: „Eine Welt, in der Menschen alles wissen, planen und beherrschen, ist eine tote Welt.“

So plädiert die Autorin für Religion in einer Zeit, in der Religion nur noch als Konfliktpotenzial oder ewig gestrig angesehen wird. Nur mit Transzendenz, – die, wie gesagt, auch durch Poesie, Kunst, Musik und Wissenschaft als Dimension möglich wird, könne verhindert werden, dass Europa ein eindimensionaler Raum werde. Denn eine absolute Welt verhindere Phantasie und Kraft, Neues zu denken, Alternativen zu finden. Der Gedanken der Unendlichkeit sei per se das Gegenteil von Herrschaft, schreibt Renata Schmidtkunz.

Ihr Buch ist ein anregendes Plädoyer für das Wagnis, Transzendenz zu denken, den Glauben an Gott dem Glauben an die Machbarkeit und Beherrschbarkeit als Entwurf der Freiheit entgegenzusetzen. Und so schreibt Renata Schmidtkunz schließlich weiter: „Wenn Menschen an einen Gott glauben, der die Mächtigen vom Thron stößt und die niedrigen erhebt, hat das Mantra der Alternativlosigkeit ausgedient und keine Macht mehr über diese Menschen.“ Das erscheint fast wie eine Aufgabenbeschreibung für unsere Kirchen in dieser Zeit.


 

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Foto: epd

Margot Käßmann

ist Landesbischöfin a.D. und ehemalige Ratsvorsitzende der EKD. Bis 2018 war sie Herausgeberin von "zeitzeichen". Sie lebt in Hannover.


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