Das geistige Fundament zeigen

Carl Zuckmayer wollte den Widerstand gegen Hitler auf die Bühne bringen – auch mit der Figur Dietrich Bonhoeffer
Carl Zuckmayer (Portrait)
Foto: akg-images/AP
Carl Zuckmayer (1896–1977), Bild aus dem Jahre 1967.

In den 1960er-Jahren arbeitete Carl Zuckmayer an einem Bühnenstück über den deutschen Widerstand. In diesem porträtierte der Dramatiker auch den evangelischen Theologen Dietrich Bonhoeffer. Zuckmayer brach das Projekt zwar ab. Jedoch erlauben es Manuskripte aus dem Deutschen Literaturarchiv Marbach nun erstmals, das Vorhaben zu rekonstruieren. Gefunden hat die Manuskripte Tilman Asmus Fischer, der wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Praktische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin ist.

"Vielleicht wundern Sie sich gar nicht so sehr – ich komme zu Ihnen, um über Religion zu sprechen; – man kann auch sagen, – über Gott.“ Mit diesen Worten eröffnet Theodor Haubach – Sozialdemokrat, seit etwa 1930 religiöser Sozialist aus dem Umfeld Paul Tillichs und Mitglied des Kreisauer Kreises – das Gespräch mit Dietrich Bonhoeffer. Der Dialog ist Teil eines dem 20. Juli 1944 gewidmeten Dramas, an dem der Schriftsteller Carl Zuckmayer in den Jahren 1966 bis 1969 arbeitete. Zuckmayer, ein persönlicher Freund Haubachs, hatte diesen bereits 1927 mit Helmuth James Graf von Moltke, einem der späteren Gründer des Kreisauer Kreises, bekanntgemacht. Zwar hielt Zuckmayer im Jahre 1969 die Gedenkrede bei den offiziellen Feierlichkeiten zum 20. Juli in Berlin – sein dramatisches Vorhaben hatte er jedoch zuvor abgebrochen; ein Entschluss, den er als persönliches Scheitern erlebte. Anhand von Manuskripten, die sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach befinden, lässt sich nun erstmals Einblick in Zuckmayers Vorhaben gewinnen.

Das Konzept, welches Zuckmayer seinem Bühnenstück zu Grunde legte, wird in einem von drei „Leitsätze[n]“ beziehungsweise „Entscheidende[n] Sätze[n] zur Einführung“ greifbar. Es handelt sich hierbei um ein längeres Zitat aus einem Brief Dietrich Bonhoeffers an seine Eltern vom 20. Februar 1944: „Wenn auch die Gewalt der äusseren Ereignisse unser Leben in Bruchstücke schlägt, wie die Bomben unsere Häuser, so soll doch möglichst noch sichtbar bleiben, wie das Ganze geplant und gedacht war, und mindestens wird immer noch zu erkennen sein, aus welchem Material hier gebaut wurde oder werden sollte.“ Ebendiesem Anliegen war Zuckmayers Entwurf verpflichtet: das geistige Fundament des deutschen Widerstandes sichtbar zu machen.

Unterschiedliche Kräfte

Dies beabsichtigte Zuckmayer, durch etwa 24 Dialogszenen zu leisten, in denen die unterschiedlichen Kräfte des Widerstands mit ihren jeweiligen Prägungen und Überzeugungen thematisiert werden sollten. Wie die Szenen angelegt waren, lässt sich exemplarisch an den Entwürfen Zuckmayers für das Gespräch zwischen Haubach und Bonhoeffer verdeutlichen. Zuckmayer intendierte nicht, „bestimmte Personen, die wirklich gelebt haben und getötet worden sind“, zu porträtieren, sondern „in jeder auftretenden Gestalt nur Züge solcher Personen, die das Modell bilden“, zusammenzufassen. Zuckmayer nennt Theodor Haubach als Beispiel solch eines „Modell[s] des Denkens, Empfindens und Handelns der dramatischen Personen“ – und in entsprechender Weise lässt sich auch Zuckmayers Bonhoeffer als Personifikation eines weltanschaulichen Konzepts verstehen.

Steht Haubach für den Religiösen Sozialismus, wird in Bonhoeffer eine Theologie des christlichen Widerstands figuriert. So ist Haubach zunächst um eine Ehrenrettung für die marxistische Religionskritik des 19. Jahrhunderts bemüht: „Ich glaube, dass der Begriff des Atheismus seit Feuerbach und Hegel missverstanden worden ist. Der sogenannte atheistische Sozialist des 19. Jahrhunderts, ich meine vor allem Marx, war Humanist in jeder Faser seines Wesens, und der wahre Humanist will ja nicht Gott abschaffen, damit dort, wo er war, ein Vakuum entsteht, sondern er will – einen lebendigen Gott.“

Dieser jedoch, insistiert Bonhoeffer, sei in dem Gott zu finden, der „durch die Bibel und durch Jesus Christus zu uns gesprochen hat“. Dem hält Haubach zwar die Deutung der Bibel als „Quelle von Irrtümern und Verdunkelung“ in „Aufklärung“ und „dialektische[m] Materialismus“ entgegen, jedoch steht er damit selbst vor der Frage, was „die Vernunft [wäre], wenn sie nicht mehr als ein Mechanismus, ein Daseinsregulator, wenn sie nicht geistigen, also göttlichen Ursprungs ist“. Mithin stößt er auf die Notwendigkeit eines transzendenten Bezugspunkts menschlicher Verantwortung: Er wisse nämlich „nicht, woher das Fragen und Fordern der Seele kommt, das uns z. B., ganz gegen unser vernünftiges Interesse, der Todesgefahr trotzen lässt“.

Ein Gedankenbund

Der sich von hier aus entspinnende Dia­log liest sich als ein Ringen um das, was die Figur Bonhoeffer einen „Gedankenbund von Christentum und Sozialismus“ nennt beziehungsweise Haubach als „neue Scholastik“ beschreibt: „Ich denke an eine philosophisch untermauerte Staatsmoral, die der platonischen durch die Konzeption der Evangelien überlegen ist. Ich denke an ein beweisbares Christentum, an einen durch den Verstand überzeugenden Glauben.“ Damit fügen sich die Szenenentwürfe in die Programmatik des gesamten Stücks ein, in dem der Dramatiker Zuckmayer gestalten wollte, was der Gedenk­redner Zuckmayer dann 1969 in seinem „Memento“ beschwor: „ein Spannungsfeld zwischen verschieden gelagerten und geladenen Energien, die doch eine gemeinsame Kraftquelle und eine gemeinsame Mitte besaßen“ – „in einem Grundprinzip waren sie alle verbunden: Deutschland mußte wieder ein freier Rechtsstaat werden“.

Entsprechend der Akzentuierung des gemeinsamen ethischen Anliegens reagiert die Figur Bonhoeffer auf Haubachs sozialistische Würdigung des Christentums wiederum mit einer christlichen Würdigung des Marxismus: „Vielleicht ist der Marx’sche Traum vom ‚ganzen Menschen‘, der Kraft Beherrschung der Bedingungen, unter denen er lebt, seine volle Freiheit hat, ein Wahrtraum vom gottgeschaffenen Menschen, der zu seiner Bestimmung zurückgefunden hat. Vielleicht ist die ‚Entfremdung‘ des Menschen, von der Marx immer wieder ausgeht, nicht so sehr die Entfremdung von der Natur, nämlich der menschlichen, sondern von Gott, aus dessen Schöpfer-Wesen die Natur hervorgegangen ist.“ Ein solcher Vermittlungsversuch zwischen christlicher und marxistischer Anthropologie ist für Bonhoeffer nicht überliefert und scheint sich eher der Pragmatik des Dramas zu verdanken – was auch für die Selbstbezeichnung als „Theologe […], der fast Sozialist ist“, gilt, die Zuckmayer Bonhoeffer in den Mund legt.

Der gerichtete Mensch

Es finden sich beim historischen Bonhoeffer aber durchaus Überlegungen zur Bestimmung des Menschen und zu deren Verfehlung, die zu dem Gedankengang der Figur Bonhoeffer in Entsprechung stehen. So schreibt Bonhoeffer in seinem „Ethik“-Fragment: „Nur der in Christus angenommene Mensch ist der wirkliche Mensch, nur der vom Kreuze Christi betroffene Mensch ist der gerichtete Mensch, nur der der Auferstehung Christi teilhaftige ist der erneuerte Mensch. […] Das Gegenbild zu dem in die Gestalt Jesu Christi aufgenommenen Menschen ist der Mensch als sein eigener Schöpfer, sein eigener Richter und sein eigener Erneuerer, es ist der Mensch, der an seinem eigentlichen Menschsein vorbeilebt und darum früher oder später sich selbst zerstört.“ Wie unter einem Brennglas zeigt der exemplarische Vergleich der Passagen aus dem Dramen- und dem „Ethik“-Fragment eine markante Eigenheit des Zuckmayerschen Bonhoeffers: dass dieser – abgesehen vom einleitenden Insistieren auf der Gottesoffenbarung in Jesus Christus – in der Entfaltung seiner Gedanken ohne einen christologischen Bezugsrahmen auskommt, wie er jedoch für die Theologie des historischen Bonhoeffers konstitutiv war.

Aufschlussreiche Quelle

Dies sollte nun allerdings nicht dazu verführen, Zuckmayers Bonhoeffer-Deutung vorschnell als defizitär abzutun. Vielmehr sollte gelten: Handelt es sich bei dem Dramenfragment in seiner Gesamtheit bereits – insbesondere aufgrund der inneren Spannung zwischen Martyrologie und Ideengeschichte – um eine aufschlussreiche Quelle zur Rezeption des Deutschen Widerstands in der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur, stellt der Dialog zwischen Haubach und Bonhoeffer zudem ein beachtenswertes Zeugnis der zeitgenössischen Bonhoeffer-Rezeption dar. Diese war geprägt durch die große Resonanz, welche die ab 1951 in mehreren Auflagen unter dem Titel Widerstand und Ergebung erschienenen Briefe und Aufzeichnungen Bonhoeffers aus der Haft in Kirche und Theologie, aber auch weit darüber hinaus, gefunden hatten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Bonhoeffers schriftliches Vermächtnis Ende der 1960er-Jahre noch nicht in Umfang und Gestalt der „Dietrich Bonhoeffer Werke“ vorlag, sondern in Form von Einzelbänden – als Nachdrucke zu Lebzeit veröffentlichter Werke (zum Beispiel Nachfolge) oder Veröffentlichungen aus dem Nachlass (zum Beispiel Ethik). Da sich in Widerstand und Ergebung
der von Zuckmayer zitierte Brief Bonhoeffers an seine Eltern findet, dürfen wir annehmen, dass dem Dichter zumindest dieses Buch vorlag und sich ihm von hier aus das Denken Bonhoeffers erschloss.

Unter dieser Prämisse erscheint es plausibel, dass Zuckmayer im Besonderen unter dem Eindruck von Bonhoeffers Überlegungen zur „Mündigkeit der Welt“ und einem „religionslose[n] Christentum“ stand. Dann nämlich wird die von den Figuren Haubach und Bonhoeffer vollzogene Suchbewegung als literarischer Antwortversuch auf die Frage verständlich, die Bonhoeffer am 30. April 1944 brieflich gegenüber seinem Schüler und Freund Eberhard Bethge formulierte: „Wenn die Religion nur ein Gewand des Christentums ist – und auch dieses Gewand hat zu verschiedenen Zeiten sehr verschieden ausgesehen – was ist dann ein religionsloses Christentum?“ Denn gemeinsam ist der Figur Bonhoeffer mit dem historischen Bonhoeffer der Impetus, dass – wie dieser am 16. Juli 1944 an Bethge schrieb – durch die „Entwicklung zur Mündigkeit der Welt […] mit einer falschen Gottesvorstellung aufgeräumt wird“ und sie „den Blick frei macht für den Gott der Bibel, der durch seine Ohnmacht in der Welt Macht und Raum gewinnt“. Dementsprechend fordert der Bonhoeffer des Dramenfragments: „Es kommt darauf an, dass wir ehrlich sind gegen Gott, auch wenn wir sein hergebrachtes Bild revidieren, sogar umstürzen müssen! Es kommt darauf an, dass wir Gott als moralische Macht begreifen, nicht mehr als dunkle Wolke einer unkontrollierbaren Vorsehung, – als moralische Macht, deren Keim in jede menschliche Seele gepflanzt ist.“

Nun wird man mit Recht fragen können, wie tragfähig die abstrakte Vorstellung Gottes als „in jede menschliche Seele“ gepflanzte „moralische Macht“ ist. Dass Zuckmayer die Figur Bonhoeffer eine solche Annahme in Anschlag bringen lässt, ist schlüssig daraus zu erklären, dass er einerseits eines Begründungsmusters für einen dem Christentum inhärenten ethischen Anspruch bedurfte. Er aber andererseits nicht den Weg der christologischen Herleitung über die Frage des historischen Bonhoeffer beschritt, „wer Christus heute für uns eigentlich ist“.

Letztlich läuft der Dialog – wenn auch, wie gezeigt, in eigenständiger Weise – auf die Einsicht des historischen Bonhoeffer hinaus, dass „unser Christsein […] heute nur in zweierlei bestehen [wird]: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen.“

Dementsprechend schließt der Dialog:

Bonhoeffer: Jetzt muss er [der Gottesbegriff; Anm. d. Verf.] zum Inbegriff
eine[r] Lebensganzheit erweitert werden, innerhalb dere[r] es jede Art von
Wandlung, Entwicklung gibt. Dann können wir wieder glauben.

Haubach: Und die Gebote halten. Darauf kommt es an. Auf die sittliche Kraft, die das beste ideologische Programm nicht untermauern kann. […]

Bonhoeffer: Religion braucht Bekenner.

Haubach: Auch Märtyrer. (Pause)

Bonhoeffer: So stehe Gott uns bei.

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Foto: Andreas Helle

Tilman Asmus Fischer

Tilman Asmus Fischer ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin und schreibt als Journalist über Theologie, Politik und Gesellschaft


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