Die Öko-Krieger

Über die Rückkehr kämpferischer Rhetorik
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Bruno Latour, einer der spannendsten Köpfe der Französischen Soziologie, hat mit seinem intellektuellen Erben Nikolaj Schultz, bereits den eigenen Tod vor Augen, ein Memorandum im hochemotionalen Ton verfasst: Zur Entstehung einer ökologischen Klasse. Forciert bedienen beide die Klassenkampfrhetorik. Das ist die Aufgabe: „Die Welt, von der man lebt, mit der zur Deckung zu bringen, in der man lebt.“ Und dieser Weg soll in 76 knappen Kapiteln ausgeschritten werden. Im Nachwort heißt es: „Die Ökologie sollte nicht dieselben Arten von Leidenschaften auslösen wie ein Stellungskrieg, denn was zur Wiederherstellung und Wahrung der Bewohnbarkeit des Territoriums nötig ist, unterscheidet sich grundlegend von dem, was mit Produktion, Okkupation und Krieg in ihrer schrecklichen klassischen Form einhergeht. Das aber heißt, dass es von zentraler Bedeutung bleibt, die Leidenschaften zu erforschen, zu kultivieren, zu steigern, zu popularisieren, die nötig sind, um die beiden territorialen Konflikte, so ineinander verquickt sie sind, zu bekämpfen, ohne dabei allein dem militärischen Ethos zu verfallen. Worin besteht die affektivste und effektivste Ausrüstung für ökologische »Krieger«?“ 

Der Schlusssatz lautet: Die „politische Ökologie (…) bleibt (…) der Name einer Kriegszone.“ In einer wunderbaren Parallelaktion hat Eva Illouz, Soziologin an der Hebräischen Universität in Jerusalem, einen starken Essay über Undemokratische Emotionen geschrieben und im Epilog „Die Gefühle einer anständigen Gesellschaft“ umrissen.

Gott gegen Teufel

Latour und Schultz stricken ein neues, mit kriegerischer Metaphorik, Muster des alten Klassenkampfes aufnehmend, nicht geizendes Narrativ. Das ist auch deshalb aufregend, weil die politischen Theologien des protestantischen Christentums lange Kriegsmetaphoriken offensiv bedient und erst langsam sich davon gelöst haben. Nimmt man die vier wirkmächtigen politischen Theologien im Protestantismus in den Blick – Zwei-Reiche-Lehre, Königsherrschaft Christi, politische Theologie, Öffentliche Theologie – dann entdeckt man: die Modelle werden abschwächend von einer mythologischen Großerzählung dominiert: dem Kampf zwischen Gott und Teufel. Luther lässt den Papst als Antichristen auffliegen und wirft alle Denk- und Schreibkraft in diesen Kampf; für Karl Barth hat Jesus Christus bereits gewonnen, Christus der Sieger, die Königsherrschaft ist bereits in Kraft, hat sich aber noch nicht entscheidend durchgesetzt.

In scharfsichtigen Artikeln hat Jürgen Moltmann die Positionen 1 und 2 kritisiert, leider bleibt er selbst dem alten Narrativ doch verhaftet: „Die Zwei-Reiche-Lehre stellt das Evangelium Christi in eine apokalyptische Eschatologie zwischen regnum Dei und regnum diaboli dar.“ Seine Rückfrage lautet: „Muß das Evangelium von Jesus Christus nicht vom Sieg Gottes über die Gewalt des Teufels in Christi Kreuz und Auferstehung ausgehen?“ Die Zwei-Reiche-Lehre, so die zentrale Kritik, „motiviert (…) nicht zu weltverändernden Hoffnung“. Heißt für Luther die „dogmatische Grundentscheidung: Apokalyptische Eschatologie“, dann für Barth: Christologische Eschatologie“, die sich in einer „Siegesgewissheit“ äußert: „Christus ist der Pantokrator, der jetzt schon über Himmel und Erde herrscht“, aber Moltmann mahnt zugleich, es sei die „Herrschaft des Gekreuzigten, der nicht durch Übermacht, sondern durch seine Schwachheit siegt.“

Eros, Spiel, Tanz

Mit einer kritischen Volte gegen Barth schreibt Moltmann: Dieser Ansatz bietet keine „Staatsmetaphysik, die für Christen und Nichtchristen gleichermaßen gilt. Christokratische Ethik kann nur Nachfolgeethik sein. (…) Sie ist politische Ethik der Christengemeinde, aber keine christliche Politik der Bürgergemeinde“. Moltmann nennt seine eigene „dogmatische Grundentscheidung“: „Eschatologische Christologie“, betont damit den antizipatorischen Charakter einer Theologie der Hoffnung als Modell politischer Ethik: „Die Welt ist noch nicht das Reich Gottes selbst: Sie ist der Kampfplatz und der Bauplatz für das Reich, das von Gott selbst auf Erden kommt.“ 

Im Modell einer öffentlichen Theologie, als Modell in Amerika entworfen, in Deutschland namentlich vertreten von Wolfgang Huber und seinem Schüler*innenkreis, haben sich die polemischen Metaphoriken zwar abgeschwächt, aber das heilsgeschichtliche Modell bleibt trotz einiger Umformungen in Kraft. Die politischen Emotionen bleiben im Modell kommunikativer Vernunft letztlich, der engen Nähe zu Habermas geschuldet, weitgehend unbeachtet.

Hoch problematisch bleibt: Das Narrativ eines Kampfes zwischen Gott und Teufel ist kein geschlossenes Narrativ, sondern eine überambitionierte biblische Text-Collage. Narrative haben vor allem in geschlossener Form orientierende und animierende Kraft. Eine solche Erzählung, die ohne polemischen Jargon auskommt, wäre etwa die Schöpfungserzählung aus Proverbien 8: Die Figur Gott wird durch die tanzende, spielende Frau Weisheit zur Schöpfung animiert, die Welt ruht auf Eros, Spiel und Tanz.

Polemische Vokabularien

Für Bruno Latour scheint die polemische Sprache wegen des kritischen Rekurses auf den Klassenkampf unvermeidbar. Und wenn man von einer ökologischen Bewegung spräche? Eva Illouz, die „undemokratische Emotionen“ wie Angst, Abscheu, Ressentiment, ausgrenzende Liebe von „Gefühlen für eine anständige Gesellschaft“ wie Mitgefühl, Solidarität (Freundschaft), Brüderlichkeit abgrenzt, fordert einen „starken Begriff von Universalismus“ und spricht von einem „anthropologischen Universalismus“ – ich würde eher von einem „Universalismus des Lebendigen“ reden. 

Ich frage mich aber: Wenn man übereinkommt, diesen starken Begriff von Universalismus zu verteidigen, muss man dann weiterhin einen starken Begriff von Fremdheit benutzen, der die polemischen Vokabularien sofort aufruft? „Dieses Verständnis des Politischen gehört zu unserer Tradition seit Aristoteles, Nietzsche und Arendt, die Politik allesamt als polemos verstanden und eine Vorstellung der Gesellschaft als Schauplatz von Konflikten oder gar Kriegsschauplatz hegten.“ 

Die drei Heiligen in allen Ehren: Ist diese Deutung zwingend? Kriegsschauplätze produzieren selten gute Kompromisse, ein zentrales Geschäft in der Demokratie.

Und Nietzsche? 

Nietzsche hat wenigstens den Hals eines Pferdes umarmt und bitterlich geweint.

 

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Klaas Huizing

Klaas Huizing ist Professor für Systematische Theologie an der Universität Würzburg und Autor zahlreicher Romane und theologischer Bücher. Zudem ist er beratender Mitarbeiter der zeitzeichen-Redaktion.


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