Tod am Kreuz im Trash-TV

Ein kritischer Blick auf „Die Passion“ auf RTL
Bühne des TV-Spektakels „Die Passion“ auf dem Friedrichsplatz in Kassel am 27. März 2024.
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Bühne des TV-Spektakels „Die Passion“ auf dem Friedrichsplatz in Kassel am 27. März 2024.

Am vergangenen Mittwoch übertrug RTL um zweiten Mal nach 2022 wieder „Die Passion“ – diesmal aus Kassel. Die Kritiken sind wie vor zwei Jahren gespalten. Absolut nicht begeistert ist der Wiener Professor für Systematische Theologie, Ulrich Körtner. Für ihn war das ganze Passionsspiel mit Showstars größtenteils zum „Fremdschämen“.

 

Sie haben es wieder getan, und sie meinen es offenbar ernst, obwohl während der Show viel gelacht wurde und die Beteiligten versicherten, wieviel Spaß sie beim Mitmachen hatten. Zum zweiten Mal nach 2022 ging auf RTL das Spektakel „Die Passion“ als Life Act über die Bühne, der uns Jesu Passion als Musik-Show präsentiert. 8.000 Menschen wohnten dem Event bei strömendem Regen bei, 2,23 Millionen verfolgten die Aufführung am Bildschirm.

Als hätte Jesus am Kreuz nicht schon genug gelitten, musste er auch noch diesen Abend über sich ergehen lassen. Im christlichen Glaubensbekenntnis heißt es, der Gekreuzigte sei hinabgestiegen in das Reich des Todes. Wir können ergänzen: hinabgestiegen in das Reich des Trash-TV.

Vor zwei Jahren kam Jesus bis Essen, diese Mal bis Kassel, das für einen Abend zum neuen Jerusalem wurde. Das Vorbild für die Show stammt aus den Niederlanden. Dort läuft das Format „The Passion“ bereits seit 2011 mit großem Erfolg. Verantwortlich zeichnen zwei kirchliche Sender mit missionarischer Ausrichtung. Jesu Geschichte wird ins Heute verlegt, . alle Personen treten in modernem Outfit auf.

Popsongs statt Bibel

Zwar folgt die szenische Handlung den neutestamentlichen Evangelien, die auch mal mehr mal weniger wörtlich zitiert werden. Anders als im Musical „Jesus Christ Superstar“, uraufgeführt 1971 und bis heute nicht totzukriegen, werden in der RTL-Show aber keine biblischen Texte vertont, sondern moderne Popsongs eingesetzt, deren Texte nur geringfügig adaptiert werden.

Popkultur als Resonanzboden, um die biblische Botschaft neu verständlich zu machen, die immer weniger Menschen noch kennen: Der Versuch, die Menschen bei ihren alltäglichen Gefühlslagen, Höhen und Tiefen abzuholen, könnte durchaus interessant sein, wäre die ganze Show nicht von unfreiwilliger Komik durchzogen, die den ganzen Ernst und das Pathos, mit dem zum Beispiel der Schauspieler Hannes Jaenicke als Erzähler durch den Abend führt, ins Lächerliche zieht. Die Peinlichkeiten werden noch durch ein weitgehend aus Promis der C- und D-Klasse bestehendes Ensemble verstärkt. Was an gesanglicher und schauspielerischer Klasse fehlt, soll dadurch wettgemacht werden, dass die Macher der Show den ganzen Abend große Emotionen und Gänsehaut beschwören, die alle Beteiligten spüren würden.

Der Versuch, die Passionsgeschichte in die Gegenwart mittels populärer Songs aus der Popmusik in die Gegenwart zu übersetzen, lässt sich in zwei Richtungen deuten. Nach einer möglichen Lesart bekommen die verwendeten Songs, deren Playlist während der Sendung auf Wikipedia live fortlaufend ergänzt wurde, dadurch eine neue Bedeutung, dass sie von Jesus, Maria & Co. im Kontext ihrer Geschichte gesungen werden. So geht es auch sonst Menschen, wenn sie Popsongs hören. Ihre Musik und ihre Texte gewinnen im Kontext der eigenen Lebensgeschichte eine besondere Bedeutung. Man könnte sagen, die Poptexte bekommen so einen neuen, vielleicht sogar latent religiösen Hintersinn.

Keine eigenen Worte mehr

Man kann die ganze Sache aber auch gegenläufig betrachten: Jesus und die übrigen Akteure in der Passionsgeschichte finden für das, was sie sagen oder verkündigen wollen, keine eigenen Worte mehr. Um auszudrücken, was in ihnen vorgeht und sie umtreibt, brauchen sie Text und Musik von Helene Fischer, Marius Müller-Westernhagen, Tina Turner, Falco oder Rosenstolz. Die biblischen Texte selbst haben eigentlich nichts mehr zu sagen. Die neutestamentliche Botschaft, wonach Gott die Liebe ist, in Christus war und die Welt mit sich versöhnte, verflacht zur trivialen Botschaft, die Hannes Jaenicke zu verkündigen hat: „Liebe ist alles, dann wird alles gut.“ Es dürfte sich wohl kaum jemand nach diesem Abend angeregt fühlen, mal wieder in der Bibel zu lesen, was Jesus denn dort zu sagen hat. Dann doch lieber noch mal die RTL-Playlist durchgehen und Nadja Benaissa, früher mal bei No Angels, als Maria hören: „Wunder gescheh’n“ (Nena). Oder KIKA-Moderator Ben Blümel: „Bedingungslos“ von Sarah Connor.

Wer in den biblischen Erzählungen nicht (mehr) zu Hause ist, dürfte Mühe haben, zu verstehen, was da auf der Bühne und in eingespielten Videosequenzen abläuft und warum. Dass Jesus einem durch dieses Spektakel, bei dem er und seine Jünger zum Auftakt mit E-Scootern durch Jerusalem vulgo Kassel düsen und in Partylaune „Tage wie diese“ von den Toten Hosen raushauen, ernsthaft nähergekommen wäre, käme einem Wunder gleich. Irgendwie hat die Story wohl was mit Gott zu tun – wer immer das genau sein mag – und irgendwie geht es um Liebe, Verrat, Hass und Vergebung. Wir werden Zeugen der größten Geschichte der Menschheit, wie uns Prediger Jaenicke mehrfach versichert. Das aber nicht etwa, weil sich hier etwas ereignet hat, das nach christlicher Überzeugung ein für alle Mal geschehen ist, sondern was sich immer und immer wieder ereignet, ohne dass wirklich eine Erlösung stattfinden würde.

Auch ernste und nachdenkliche Gesichter

Parallel zur Handlung auf der Bühne findet ein Kreuzweg durch Kassel statt, bei dem Menschen ein überdimensionales erleuchtetes Kreuz tragen. Einige werden interviewt. Sie erzählen von persönlichen Gotteserfahrungen und Glaubenskrisen. Ihre Lebenszeugnisse sind anrührend, werden aber durch das Gesamtspektakel konterkariert. Man sieht auch im Publikum keineswegs nur ausgelassen ihre Lieblingssongs mitsingende Zuschauer, sondern auch ernste und nachdenkliche Gesichter. Aber der Gesamteindruck ist doch eher zum Fremdschämen.

Was aber soll man von den Kirchen halten, die das Spektakel als missionarische Gelegenheit zu nutzen versuchten? Man könne doch, so ein Vorschlag, zum Public Viewing in Gemeindehaus einladen, um mit Menschen über den Glauben ins Gespräch zu kommen. Wie verzweifelt muss die Lage der Kirchen sein, dass sie nach RTL als rettendem Strohhalm greifen.

Die Tickets gab es umsonst. Am Ende geht es aber ums Geschäft. Die Show wurde ständig durch Werbeblöcke unterbrochen. Bei einer Fußballübertragung wäre dergleichen undenkbar. Das sich der Auferstandene in Kassel auf dem Dach eines Shopping-Centers zeigt, passt genau ins Bild. Das Evangelium nach RTL: Ostern bei uns wird magisch, bleiben Sie dran!

 

„Die Passion“ wird heute Nacht ab 0:00 Uhr auf RTL nochmal gesendet.

 

 

 

 

 

 

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