Umstrittene Saat
Die Neue Gentechnik soll Getreide schaffen, das besser mit Schädlingen und Klimaveränderungen klarkommt. Deshalb fordert die EU-Kommission, Kennzeichnung und Risikotests für solche Lebensmittel abzuschaffen. Forschende begrüßen die Pläne, UmweltschützerInnen warnen. Jost Maurin, Redakteur der taz, beschreibt die Lage.
Wer Lebensmittel aus gentechnisch veränderten Pflanzen vermeiden will, hat es leicht in Deutschland. Sie werden kaum angeboten. Denn die Supermarktketten kennen die Umfragen, in denen die meisten Deutschen sich sehr kritisch gegenüber der Technik äußern. „70 Prozent sind der Meinung, der Mensch habe kein Recht, Pflanzen und Tiere gezielt gentechnisch zu verändern“, heißt es zum Beispiel in der aktuellen „Naturbewusstseinsstudie 2021“ des Bundesamts für Naturschutz. Da das EU-Recht bislang vorschreibt, dass „Genfood“ auf den Etiketten gekennzeichnet werden muss, können die Verbraucher und Verbraucherinnen sich gegen solche Lebensmittel entscheiden.
Doch das könnte sich ändern. Denn die EU-Kommission hat Anfang Juli vorgeschlagen, dass ein Großteil der Pflanzen, bei denen neue Gentechniken wie die Genschere Crispr/Cas angewendet wurden, nicht mehr auf Risiken geprüft oder auf Lebensmittelverpackungen gekennzeichnet werden müssen. Für Robert Hoffie würde damit ein Traum in Erfüllung gehen. Der 31-Jährige ist Biotechnologe am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung in Gatersleben in Sachsen-Anhalt und Mitgründer der vor allem im Internet aktiven Pro-Gentechnik-Initiative „Progressive Agrarwende“. Er lebt davon, zu Forschungszwecken zum Beispiel Gerstensorten mithilfe von Crispr umzubauen. Die Neue Gentechnik könne dazu beitragen, trotz Klimawandels die Welternährung sicherzustellen und die Umwelt zu schonen, sagt der Wissenschaftler. Die Pflicht zur Kennzeichnung und genauen Sicherheitsprüfung störe da nur.
Daniela Wannemacher hält laxere Regeln für die Neue Gentechnik für einen Irrweg. Die 44-Jährige ist Agrarwissenschaftlerin. Sie arbeitet beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Auch sie kämpft für eine umweltfreundliche Landwirtschaft – Gentechnik schadet da ihrer Meinung nach bloß.
Hoffie – glatt rasiertes Gesicht, schwarzgerahmte Brille, Seitenscheitel – zieht einen weißen Kittel über sein Polohemd in einem Labor in Gatersleben. Der Bildschirm vor ihm zeigt lange Buchstabenketten aus A, T, G und C. Jeder Buchstabe symbolisiert einen Baustein im Gen des Erbguts der Gerste, das er verändern will. Er sucht mit ein paar Klicks nach geeigneten Positionen in diesem Gen. Später mischt er Flüssigkeiten in kleinen durchsichtigen Plastikröhrchen. In einem Teil der Flüssigkeit ist die Genschere Crispr/Cas, sie trennt die DNA da, wo es Hoffie am Computer festgelegt hat. Durch den Schnitt lassen sich dann Gene abschalten oder einzelne Bausteine verändern. Die Genschere wird in einzelne Zellen der Gerste übertragen. Aus diesen Zellen wachsen zunächst Zellhaufen, später Sprossen, ganze Pflanzen. So erschafft Hoffie neue Gerstenlinien.
Das gehe schnell, erklärt Hoffie. Wenn er Pflanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften kreuzen würde, dauerte das sehr viel länger. Statt mit Kreuzungen in 10 bis 15 Jahren kommt er bereits innerhalb von 2 Jahren zum gewünschten Ergebnis. Das ist der größte Vorteil der Genom-Editierung gegenüber der klassischen Züchtung. Sie ist auch genauer und einfacher anzuwenden als die alten Gentechnikverfahren. Hoffie und seine KollegInnen haben mit der Schere in der Gerste schon ein Gen abgeschaltet, das die Pflanze für zwei Virenarten anfällig macht. Gentechniker versprechen auch, Pflanzen mithilfe der neuen Methoden so zu verändern, dass weniger Pestizide nötig sind, um sie gegen Schädlinge zu schützen. Genforscher arbeiten zudem an Sorten, die besser mit Trockenheit klarkommen.
Ethisch fragwürdig
Chancen über Chancen – doch die EU-Gesetzgebung bremse die Forscher aus, kritisiert Hoffie. Denn die vorgeschriebenen Sicherheitsprüfungen würden zu lange dauern und zu teuer sein.Tierversuche mit Gentech-Pflanzen hält auch Hoffie für ethisch fragwürdig. Es gebe schließlich überhaupt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Pflanzen gesundheitsschädlich seien. „Das verbietet sich schon fast ethisch, dafür Versuchstiere zu ‚verbrauchen‘, um solche Tests zu machen.“ Um das zu belegen, vergleicht Hoffie die neuen Sorten mit herkömmlichen Pflanzen, die gezüchtet worden sind, indem sie Chemikalien oder radioaktiver Strahlung ausgesetzt wurden.
Dieses Verfahren wird seit Jahrzehnten und häufig angewandt. Entsprechende Erbgutveränderungen finden sich zum Beispiel in Brokkoli- und Blumenkohlsorten. „Sowohl was die Anzahl der Mutationen angeht als auch das Ausmaß der Veränderung, ist das eigentlich größer als das, was wir mit einem Schnitt mit der Genschere machen“, sagt Hoffie. Bei der Zufallsmutagenese könne auch nicht gesteuert werden, wo und wie sich das Erbgut verändert. Bei Crispr hingegen schon. Deshalb will er, dass die gleichen Regeln für alle Pflanzen gelten – egal, ob sie durch Gentechnik oder durch konventionelle Züchtung geschaffen worden sind.
Umweltschützerin Wannemacher trägt keinen weißen Kittel, sondern eine schwarze Jacke mit roten Blumenmotiven über ihrer Bluse. Sie sitzt in einem Konferenzraum in der Bundesgeschäftsstelle des BUND in Berlin. Auf dem Bürotisch vor ihr liegt ein Spiralblock aus Recyclingpapier, in dem Wannemacher fein säuberlich notiert hat, warum sie gegen die Neue Gentechnik ist. Im Gespräch sagt die Umweltschützerin einen besonders bemerkenswerten Satz: „Ich würde jetzt nicht davon ausgehen, dass eine durch neue Gentechnik veränderte Pflanzen-DNA, aus der dann wieder eine Pflanze gezüchtet wird, unbedingt direkt tödlich, giftig oder keine Ahnung was für Menschen ist.“
Stattdessen redet sie lieber über ganz andere, ihrer Meinung nach problematische Folgen der Gentechnik. Bisher werde die Methode zum Beispiel dafür genutzt, um Pflanzen zu erzeugen, die gegen Unkrautvernichtungsmittel – auch Herbizide genannt – resistent sind. Solche Pflanzen kritisiert Wannemacher, weil sie den Einfluss weniger Agrarchemiekonzerne stärkten und weil sie schlecht für die Umwelt seien. „Da geht es darum, ein Koppelprodukt aus Pestizid und Saatgut zu verkaufen, das im Zweifelsfall dazu führen wird, dass mehr Pestizide eingesetzt werden“, sagt die Umweltschützerin. Denn wenn beispielsweise Raps Duschen mit Ackergift übersteht, könnten Landwirte beliebig oft spritzen, um das Unkraut zu töten – denn der Raps überlebt ja. Das könnte Bauern wiederum dazu verleiten, auf ökologischere Vorkehrungen gegen Unkraut zu verzichten. Unkraut lässt sich zum Beispiel auch dadurch verringern, dass auf einem Acker nicht jedes Jahr die gleiche Pflanzenart angebaut wird, sondern sich viele Früchte abwechseln. Das würde auch die Artenvielfalt erhöhen. Herbizidtoleranzen – das hat die Neue Gentechnik bereits geschafft. Ein Raps, der in den USA auf den Markt gekommen ist, gehört zu den wenigen Pflanzen mit dieser Eigenschaft. Mit den „Superpflanzen“, die die Landwirtschaft umweltfreundlicher machen und an den Klimawandel anpassen sollen, ist es nicht so einfach – „da ist bisher nichts auf dem Markt“, sagt Wannemacher. Und daran sei nicht die EU mit ihren strengen Regeln schuld. Und das, obwohl dort die meisten Gentech-Pflanzen nach behördlicher Anmeldung verkauft werden dürfen wie jede andere Pflanze.
Durch konventionelle Züchtung dagegen seien schon Pflanzen entstanden, die besser mit Trockenheit klarkommen oder gegen bestimmte Krankheitserreger resistent sind. „Die Technik ist jetzt zehn Jahre alt“, sagt Hoffie über Crispr. Auch ohne Risikoprüfung dauere es acht Jahre, um eine mit der Genschere erzeugte Pflanzeneigenschaft in stabile Sorten zu übertragen und auf den Markt zu bringen.
Wannemacher bestreitet das nicht. Aber sie beobachtet, dass Gentechnikbefürworter schon mehrmals Listen mit gut klingenden Projekten veröffentlicht hätten, von denen viele gescheitert seien. Für solche vagen Aussichten möchte die Umweltschützerin nicht die Transparenz und Sicherheit aufgeben, die die aktuellen Gentechnikregeln der EU bieten. „Warum muss dann die Regulierung jetzt ausgesetzt werden?“, fragt Wannemacher. Gentechnikpflanzen seien ja nicht verboten. „Forschung ist weiterhin möglich“, so die Umweltschützerin. Und es gebe große Absatzmärkte wie die USA und Japan, auf denen Gentechnikpflanzen etabliert sind. Zu diesem Einwand sagt Hoffie, viele mittelständische Züchter in Europa hätten Projekte mit Neuer Gentechnik aufgegeben, nachdem der EU-Gerichtshof entschieden hatte, dass auch diese Pflanzen streng reguliert bleiben müssten. Die hohen Kosten führten dazu, dass hierzulande nur noch große Agrarchemiekonzerne wie Bayer/Monsanto solche Sorten entwickeln. Das sind genau die Unternehmen, die das Paket aus Saatgut und Pestizid verkaufen wollen.
Patentrecht lockern
Um die kleinen Züchter zu stärken, wünscht sich Hoffie ein verändertes Patentrecht. Bisher stehen kommerziell angebaute Gentechnikpflanzen nämlich unter Patentschutz. Deshalb dürfen Züchter dieses Saatgut nur noch mit Genehmigung der Schutzrechteinhaber weiterentwickeln. Das hemmt den Züchtungsfortschritt, und die großen Konzerne können ihre Macht über die Ernährung ausbauen. Auf konventionelle Pflanzen können in Europa grundsätzlich keine Patente erteilt werden. Also am besten zunächst die Regeln für die Gentechnik lockern, dann die Patente abschaffen – so stellt Robert Hoffie sich das vor. „Das finde ich komplett naiv“, sagt Wannemacher und schüttelt den Kopf. Die Konzerne, die patentierte und herbizidresistente Pflanzen inklusive Pestiziden verkaufen, würden doch gerade für die Deregulierung lobbyieren. Und gleichzeitig würden sie auch dafür kämpfen, den Patentschutz zu erhalten. Auch Hoffie räumt ein, dass die EU-Kommission bisher keine Reform vorgeschlagen hat, um Patente für Neue-Gentechnik-Pflanzen zu verhindern.
In der Diskussion hat Wannemacher vor allem ein Problem: Anders als in der Klimadebatte etwa scheinen die Umweltschützer bei der Agro-Gentechnik mit der Mehrheitsmeinung in der Wissenschaft über Kreuz zu liegen. Die Nationale Akademie der Wissenschaften, die Leopoldina, forderte zum Beispiel 2019, die Gentechnikregulierung aufzuweichen. Wannemacher aber sagt: „Es gab noch keine Stellungnahme der Gesellschaft für Ökologie und von EthikerInnen, wenig von AgrarwissenschaftlerInnen außerhalb dieser molekularbiologischen ForscherInnen, die an Gentechnikpflanzen arbeiten.“ Und sie ergänzt: „Jemand wie Hoffie profitiert natürlich davon, dass Forschung finanziert wird. Und dass das einfach als Forschungstopthema läuft.“
Bei der EU-Kommission haben sich Hoffie und die anderen GentechnikforscherInnen schon durchgesetzt. Der Verordnungsentwurf der Behörde sieht vor, dass die Risikoprüfung und Kennzeichnung für Pflanzen der Neuen Gentechnik wegfällt, die höchstens 20 Veränderungen im Erbgut aufweisen. Anders als zwischenzeitlich geplant, soll das sogar für herbizidtolerante Pflanzen gelten. Sorten mit mehr als 20 Veränderungen im Erbgut sollen weiter gekennzeichnet und getestet werden. Doch Letzteres nur dann so gründlich wie bisher, wenn es vorab „plausible Hinweise“ auf Risiken gibt. Im Biolandbau sollen Gentechnikpflanzen tabu bleiben. Damit die Bauern das Saatgut trennen können, soll es weiterhin gekennzeichnet werden. Bevor der Entwurf der Kommission in Kraft treten kann, müssen ihm sowohl das EU-Parlament als auch der Rat der Mitgliedstaaten zustimmen. Österreichische Minister haben sich schon gegen laxere Regeln ausgesprochen. Wenn die deutsche Ampelkoalition in der Frage so gespalten bleibt wie derzeit, muss sich die Bundesregierung enthalten. Das könnte den Gentechnikbefürwortern nützen. Dann könnten sie bald ihre Pflanzen unter die Leute bringen, ohne dass die Verbraucher und Verbraucherinnen das merken.
Jost Maurin
Jost Maurin ist Redakteur für Wirtschaft und Umwelt bei der taz in Berlin.