Pech an den Schuhsohlen

Warum das Männerpriestertum der ganzen Kirche schadet
Foto: privat

So gerne würde man das Thema „Frauenordination“ endlich mal ad acta legen, aber dauernd gibt es wieder Querschüsse und negative Schlagzeilen. Die neueste: Im Mai hat die größte protestantische Denomination der USA, die Southern Baptist Convention, beschlossen, alle Mitgliedskirchen auszuschließen, die Frauen ordinieren. Das christliche Gendergaga entpuppt sich als deutlich hartnäckiger, als fortschrittsoptimistische Protestant*innen es sich erhofft hatten. Und es ist leider eine traurige Realität, dass nicht nur katholische und orthodoxe, sondern auch viele protestantische Kirchen ihre geistlichen Ämter ausschließlich an Menschen mit Penis übertragen.

Aber warum nur? Ich denke, dass diese Frage theologisch immer noch nicht ernst genug genommen wird. In gewisser Weise hatten wir uns in den „gleichgestellten“ Kirchen darauf verlassen, dass sich das Thema im Lauf der Zeit von selbst erledigen würde. Leider stimmt das nicht. Frauenpolitische Errungenschaften gehen nicht automatisch vorwärts, sie können auch wieder rückgängig gemacht werden, wie sich derzeit an vielen Enden der Welt zeigt. 

Trotzdem gibt es gleichzeitig auch gute Nachrichten. Voriges Jahr war ich als Vertreterin der Evangelischen Frauen in Deutschland dabei, als in Warschau die ersten Priesterinnen der Evangelisch-Augsburgischen Kirche von Polen ordiniert wurden. An einer Stelle im Gottesdienst war ich aber irritiert, nämlich als der dortige Bischof bei seiner Predigt freudig ausrief: “Jetzt ist die Zeit für das Frauenpfarramt gekommen!” Nein, widerspreche ich: Die Zeit ist nicht „jetzt“ gekommen. Sondern das Männerpriestertum war von Anfang an falsch. Zu keiner Zeit hat es dafür substanzielle theologische Gründe gegeben, es ging immer nur um Macht. Und um Zeitgeist. Historisch betrachtet folgte die junge christliche Kirche mit dem Ausschluss von Frauen aus geistlichen Ämtern den patriarchalen Gepflogenheiten der griechisch-römischen Antike. Das ist aber nur eine Erklärung, keine Entschuldigung.

Priesteramt als Privileg?

Zumal die protestantischen Kirchen auch später die Frauenordination keineswegs aus eigener Kraft einführten. Es war vielmehr erneut der Zeitgeist, inzwischen ein emanzipierter und säkularer, der sie im Lauf des 20. Jahrhunderts dazu nötigte. Und eine laute und engagierte kirchliche Frauenbewegung, die ihnen Feuer unterm Hintern machte. Zu echter Umkehr würde das Eingeständnis von Schuld und die Bitte um Vergebung gehören. Bei der Ordinationsfeier in Warschau war eine ältere Diakonin anwesend, die bereits im Ruhestand ist. Sie wurde nicht mehr ordiniert, für sie kam die kirchenrechtliche Änderung zu spät. Pech gehabt? Wer leistet eigentlich Abbitte für das, was die Kirche ihr und vielen anderen angetan hat?

Der vielleicht wichtigste Punkt bei all dem Desaster ist aber folgender: Das Männerpriestertum war nicht nur den Frauen gegenüber ungerecht, es hat auch der Kirche geschadet. Es machte das Priesteramt zu einem Privileg, zu einem Statussymbol, zu einer Machtposition, und die unter ihrem Deckmantel verübte sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist nur eine ganz besonders schreckliche Folge dieses Irrwegs. Richtigerweise bestand die polnische Pastorin Halina Radacz bei ihrer Ordinationspredigt in Warschau darauf, dass der nun in ihrer Kirche auch für Frauen mögliche Wechsel vom Amt einer Diakonin in das einer Pastorin keineswegs als „Aufstieg” verstanden werden darf. Biblisch gesehen, erinnerte Radacz ihre Kollegen, ist die Diakonie, also das den Mitmenschen Dienen, die zentrale Aufgabe christlicher Geistlicher, nicht das Predigen oder das Sakramenteverwalten oder das Gemeindemanagement.

Unrecht, Irrweg, Häresie

Radacz erzählte die Geschichte von Irena Heitze, die 1937 ihr Theologiestudium in Warschau abgeschlossen hat. Nach dem Krieg wurde sie in die Provinz geschickt, nach Masuren, wo sie wegen Pfarrermangels gleich mehrere Gemeinden versorgte. Ganz ohne offiziellen Titel. Eine ältere Frau aus ihrer Gemeinde erinnerte sich später daran, wie Heitze einmal zu ihr nach Hause gekommen sei, mit Salbe und Verbänden, um die Frostbeulen an ihren Beinen zu versorgen. “Ich hätte mir niemals vorgestellt”, sagte die alte Frau, “dass einmal ein Pastor meine Beine versorgt.”

Christliche Pfarrerinnen, Pastorinnen, Priesterinnen hat es immer gegeben, das ist die simple Wahrheit. Ohne sie kann die Kirche gar nicht existieren und konnte es nie. Die offizielle Kirchendogmatik hat ihnen nur die Anerkennung verweigert. Und das ist eine Schande. Das Männerpriestertum ist ein Unrecht, ein Irrweg, eine Häresie. Es ist deshalb kein „Nice to have“, sondern essenziell für die Glaubwürdigkeit der christlichen Botschaft, wenn wir heute das christliche Amtsverständnis von seiner antiken Fixierung auf patriarchale Männlichkeit befreien. Erst recht in einer Welt, in der populistisch-autoritär-antifeministische Bewegungen Aufwind haben, die christliche patriarchale Traditionen nur allzu gerne als Anknüpfungspunkte nutzen. Solange wir das nicht verstehen – und entsprechend handeln – wird uns das Thema wie Pech an den Schuhsohlen kleben.

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