Jubiläen bilden im Spiegel der Zeit immer teils illustre, teils verstörende, teils nahe, teils fremde Welten und Wirklichkeiten ab. Der Rückblick relativiert vieles. Gleichzeitig offenbart er ein an Komplexität kaum zu überschauendes Wimmelbild, das zu ordnen neben der Fleiß- auch eine konzeptionell-dramaturgische Arbeit immensen Aufwands bedeutet. Wie bei den XX. Olympischen Spielen 1972 in München, die nach den XI. 1936 im Berlin des Nazi-Deutschlands eben jene vergessen machen und ein neues Bild von einem neuen Deutschland und einem neuen Geist zeigen sollen.
Der internationale Vertrauensvorschuss ermöglichte Deutschland, erstmals nach 1945 der Weltöffentlichkeit zu zeigen, was aus ihm geworden ist. Gregor Schöllgen – Jahrgang 1952, habilitierter Historiker und Publizist – und Markus Brauckmann – Drehbuchautor und Regisseur – haben darüber bei der DVA ein Buch herausgebracht. Stephan Schad, Schauspieler und Hörbuchsprecher, liest es in ungekürzter Fassung auf einer Doppel-mp3-CD über gut dreizehn Stunden. Es ist kein Buch für den Nachttisch. Es ist ein unglaublich vielschichtiges, immens viele Beteiligte einbeziehendes, Hintergründe und Fakten aufschlussreich verbindendes und dabei journalistisch gut erzähltes Buch zwischen dem Sommermärchen der jungen, gerade 16-jährigen Ulrike Meyfarth, die am 4. September 1972 völlig unerwartet Hochsprung-Olympiasiegerin mit Weltrekord wird, und dem Alptraum am Folgetag, als die palästinensische Terrorgruppe „Schwarzer September“ die israelische Olympiamannschaft überfällt und schließlich siebzehn Menschen ums Leben kommen. Stephan Schad weiß dieses Panorama so zu lesen, dass es weder nur Geschichte noch nur Faktensammlung ist. Er macht die Zeit lebendig.
Klaus-Martin Bresgott
Klaus-Martin Bresgott ist Germanist, Kunsthistoriker und Musiker. Er lebt und arbeitet in Berlin.