Unter dem Titel „Die Liste der ,Gottbegnadeten‘ in der Bundesrepublik“ zeigt das Deutsche Historische Museum Berlin bis 5. Dezember eine Ausstellung über renommierte Protagonisten des Nazi-Kulturbetriebs, die auch nach 1945 hauptberuflich als bildende Künstler tätig waren. Ausgangspunkt für die erste Ausstellung zu diesem Thema ist die 1944 im Auftrag von Adolf Hitler und Joseph Goebbels zusammengestellte „Gottbegnadeten-Liste“. Sie hielt fest, welche 114 „gottbegnadete“ Maler und Bildhauer vom Fronteinsatz und Arbeitsdienst freigestellt seien.
Der in der Ausstellung nicht weiter erklärte Begriff „die Gottbegnadeten“ macht stutzig. Wie kamen die Nazi-Führer dazu, diesen Begriff für sich und die Künstler ihres verbrecherischen Systems gewissermaßen gotteslästerlich in Anspruch zu nehmen?
Aufschluss darüber gibt eine Rede, die Hitler auf einer NSDAP-Kulturtagung 1933 in Nürnberg hielt. Er behauptete, dass „nur wenigen Gottbegnadeten (…) zu allen Zeiten die Vorsehung die Mission aufgegeben hat, wirklich unsterblich Neues zu gestalten. Als Fleischwerdung der unsterblichen Werte eines Volkes würden sie sich gegen die Merkmale der Moderne richten.“ Man kann in der These von gottbegnadeten Künstlern eine faschistische Perversion der in der Romantik aufgekommenen Vorstellung vom göttlichen Künstler sehen.
Doch die Namen dieser Vertreter der sogenannten artreinen, am Klassizismus orientierten Kunst sind uns bis auf Arno Breker, den Hofbildhauer Hitlers, heute kaum noch bekannt. Wer kennt noch Willy Meller, Adolf Wamper, Richard Scheibe, Hermann Kaspar, Werner Peiner, Rudolf Hermann Eisenmenger oder Paul Mathias Padua? Das war in der Nachkriegszeit noch anders. Bis in die 1960er-Jahre waren diese Künstler trotz ihrer NS-Vergangenheit geachtet. Sie blieben Professoren an Kunsthochschulen und Akademien. Vor allem aber erhielten viele von ihnen lukrative Aufträge für repräsentative Kunstwerke in und an staatlichen Gebäuden, Häusern der Wirtschaft und im öffentlichen Raum und ja, auch an Kirchen!
Die Ausstellung zeigt, wie regionale Netzwerke in der ganzen Bundesrepublik die „Gottbegnadeten“ weiter unterstützten. Interviews und andere Selbstaussagen der bildenden Künstler verraten deutlich, dass sie sich keiner Schuld wegen ihrer Mitarbeit am System bewusst waren. Der Albert-Speer-Freund Hermann Kaspar zum Beispiel hatte die Räume der Reichskanzlei gestaltet, er war Chefausstatter des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg gewesen. Dennoch erhielt er noch 1970 den Großauftrag für einen riesigen Gobelin in der Meistersingerhalle in Nürnberg. Sein Titel: Frau Musica – eine Dame mit blonder Mähne und Violoncello. Zeitgenössisches, etwa Rock und Beat, kommen natürlich nicht vor.
Dass einige „Gottbegnadete“ nach dem Krieg Mahnmale für die Opfer des Kriegs gestalten durften, erschüttert. Dabei griffen sie auf klassische Typen zurück – die trauernde Mutter, der Hungernde, der Flüchtling. KZ-Insassen und verfolgte Juden kamen nicht vor. Besonders beschämend, dass Richard Scheibe 1953 für den Hof im Berliner Bendlerblock, in dem Claus von Stauffenberg und andere Widerstandskämpfer vom 20. Juli erschossen wurden, das Denkmal gestaltete – einen nackten, gefesselten Jüngling. Den gleichen Typ (mit einem Bogen versehen) hatte Scheibe noch in der Nazizeit im Auftrag der Luftwaffe für einen Innenhof geschaffen.
Kurz vor dem Ausgang zeigt eine Deutschland-Karte, wo heute noch Werke der „Gottbegnadeten“ stehen. Es sind leider gar nicht so wenige. Es ist ein Verdienst der Ausstellung, dass sie mit der These von der „Stunde Null“ in der Kunst der Bundesrepublik aufräumt. Ansonsten nimmt man die auf Dauer ermüdende Präsentation durchschnittlicher Kunstwerke der angeblich Gottbegnadeten hin.
Hans-Jürgen Benedict
Hans-Jürgen Benedict war bis 2006 Professor für diakonische Theologie an der Evangelischen Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie des Rauhen Hauses in Hamburg. Seit seiner Emeritierung ist er besonders aktiv im Bereich der Literaturtheologie.