Die Bankräuber

Punktum
Foto: Rolf Zöllner

Erinnern Sie sich an die Messing­plakette auf der schönen blauen Bank, mit der wir Nachbarn in unserer Straße an Otto erinnerten, der vor etwa einem Jahr verstorben ist?

Es gibt Neuigkeiten: Ottos Bank ist weg! Wie vom Erdboden verschluckt. Wie kann das sein: Eine große Straßenbank, immerhin städtisches Eigentum, kann doch nicht mir nichts, dir nichts verschwinden! Aber so ist es! Die Bank ist einfach weg. Es ist zu vermuten, dass sie geklaut wurde. Aber wer klaut eine massive Bank mit Betonbeinen vom Bürgersteig?

Ich habe eine Vermutung: Bevor die Bank verschwand, lag sie erst einmal für etwa zwei Tage vornüber auf der Sitz­fläche, die Betonbeine ragten himmelwärts. Dann hat sie jemand vor die Kita geschleppt, ein paar Meter weiter. Das Kita-Personal, das sonst gern in den Hauseingängen eine Raucher­pause machte, hatte so eine Bank, um dieser Sucht nun etwas gemütlicher zu frönen. Und dann war die Bank weg!

Ich linste, heimlich und peinlich, durch den Gittereingang der Kita, ob die Bank da sei – tatsächlich stand da nun eine Bank: im gleichen Blau wie Ottos Bank. Aber eine Plakette war nicht zu erkennen. Ich fragte eine Kita-Mitarbeiterin: Habt ihr Ottos Bank genommen? Sie stritt das ab, beteuerte, entweder in unserem Hof oder dem der Nachbarn sei die Bank jetzt. Aber in unserem Hof ist die Bank nicht, bei den Nachbarn (auch da schlich ich mich, ebenso peinlich, ein), genauso wenig. Die gleiche Kita-Mitarbeiterin wiederholte die Aussage noch einmal, als ich sie erneut darauf ansprach. Hat sie mich angelogen? Zweimal?

Ich weiß nicht, wie ich das Rätsel der verschwundenen Bank lösen kann. Das ist blöd. Und auch traurig. Denn dazu kommt das Gefühl, vielleicht zweimal Auge in Auge belogen worden zu sein. Ottos Straße ist das nicht mehr. Das Einzige, das mich ein wenig tröstet: Wenn die Bank in der Kita ist, passt das. Otto mochte Kinder sehr gern. 

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