Zeitenwende in der Bundesliga

Rheinmetall und der BVB – Ein Bündnis mit bitterem Beigeschmack
Logo des Rüstungskonzerns Rheinmetall auf einem Militärfahrzeug.
Foto: Picture Alliance/dpa
Logo des Rüstungskonzerns Rheinmetall auf einem Militärfahrzeug.

Mitten in den Vorbereitungen auf das Champions-League-Finale sorgt der Sponsoring-Deal von Borussia Dortmund mit Rheinmetall für intensive Diskussionen. Dabei geht es um die Trennlinie zwischen Sportgeschäft und Rüstungsindustrie. Es stellt sich auch die Frage nach Doppelmoral und den ethischen Werten des Vereins. 

Der BVB hatte sich 2022 verpflichtet, für eine Gesellschaft ohne Diskriminierung und mit einem nachhaltigen Umgang mit Ressourcen einzutreten. In diesem Grundwertekodex heißt es: „Der BVB ist unverkäuflich“ (BVB). Er bekennt sich dort auch, dass er sich stets für gesellschaftliches Gelingen einsetzen wird und für ein Leben ohne Gewalt. „Wir fördern und fordern Zivilcourage […]“. Kann ein solcher Verein wirklich mit einem Rüstungskonzern kooperieren? Diese Frage beschäftigt aber nicht nur die Fans, sondern auch die breite Öffentlichkeit. 

Rheinmetall wird zu einem der größten Geldgeber der Schwarzgelben. Die am Mittwoch offiziell bestätigte Partnerschaft umfasst reichweitenstarke Werbeflächen, Vermarktungsrechte sowie Event- und Hospitality-Angebote im Stadion und auf dem Vereinsgelände​​ (Berliner Zeitung). Bemerkenswert ist, dass dies die erste Sponsoring-Vereinbarung eines Rüstungskonzerns in der Bundesliga ist​​ (Handelsblatt). ​​Der Zeitpunkt der Bekanntgabe kurz vor dem wichtigen Spiel lässt vermuten, dass der BVB mögliche Proteste minimieren wollte (Schwatzgelb).

Enttäuschte Fans

Der Deal wurde anscheinend nach intensiven Beratungen mit internen Gremien, Fanvertretern und Spitzenpolitikern, darunter Verteidigungsminister Boris Pistorius, beschlossen. Es ist, als würde man den Metzger fragen, ob man Fleisch bestellen soll – die Antwort ist natürlich absehbar. Und trotz dieser „positiven“ Rückmeldungen hat die Entscheidung natürlich auch viele Fans enttäuscht und empört, die sich ihre eigenen Gedanken machen. In den sozialen Netzwerken äußerten sich zahlreiche Anhänger kritisch, einige kündigten sogar ihre Vereinsmitgliedschaft. 

BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke aber verteidigt den Deal und betont die Notwendigkeit von Sicherheit und Verteidigung für die Demokratie. „Gerade heute, da wir jeden Tag erleben, wie Freiheit in Europa verteidigt werden muss. (...) Wir freuen uns auf die Partnerschaft mit Rheinmetall und öffnen uns als Borussia Dortmund ganz bewusst für einen Diskurs“, erklärte er in einer Meldung des Vereins vom Mittwoch (BVB). Aber wie glaubwürdig ist das wirklich? Und da kommen wir auf das Gebiet des Religiösen.

Fußball hat Kultstatus: Mitreißende Beats, gemeinschaftliche Gesänge, Jubel zeigen Leidenschaft und Hingabe der Anhängerinnen und Fans. Doch die Begeisterung kann umschlagen, wenn die Integrität des Spiels und die des Vereins bedroht sind. Erinnern wir uns an die Fanproteste gegen den DFB in der vergangenen Saison, als Fans aus Wut über die Kommerzialisierung und mangelnde Mitbestimmung minutenlang Tennisbälle auf das Spielfeld warfen. Solche Aktionen zeigen, wie empfindlich die Fanbasis reagieren kann, wenn ihre Werte und Ideale verletzt werden. Der Deal mit Rheinmetall hat in dieser Hinsicht Potenzial, ähnliche Reaktionen hervorzurufen. Fans hängen ihr Herz an ihren Verein, doch diese Hingabe bedeutet nicht, dass Vernunft, Moral und Gewissen ausgeschaltet sind. Und mit Rheinmetall verbinden viele in dieser Hinsicht negative Assoziationen:

Mit 40 Millionen Euro bestochen

Rheinmetall, lange Zeit in Verruf durch millionenschwere Schmiergeldaffären, hat in der Vergangenheit immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Im Jahr 2014 gab das Unternehmen zu, mehr als 40 Millionen Euro an Bestechungsgeldern im Zusammenhang mit Rüstungsdeals in Griechenland gezahlt zu haben (Süddeutsche Zeitung). Darüber hinaus schloss Rheinmetall 2019 einen Millionenvergleich in einer Korruptionsaffäre um Panzerlieferungen (WELT). Historisch betrachtet war Rheinmetall bereits bei Kriegsende 1918 mit 48.000 Mitarbeitenden eine der größten Rüstungsschmieden Europas. Nach 1933 und der Erweiterung um die Liegenschaften von Borsig in Berlin stieg Rheinmetall erneut zu einem der größten Rüstungsbetriebe Deutschlands auf. Die von Rheinmetall begründeten Rüstungskapazitäten wurden in die planmäßige Steigerung der Rüstungsproduktion für den beginnenden Zweiten Weltkrieg einbezogen, wobei auch Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene eingesetzt wurden. 

Heute profitiert Rheinmetall stark vom russischen Angriff auf die Ukraine, was den Aktienkurs des Unternehmens seit Beginn des Krieges vervielfacht hat. Der Rüstungskonzern hat zudem erhebliche zusätzliche Mittel von der Bundesregierung erhalten. Diese Umstände lassen die Tragweite des Sponsorings und der damit verbundenen Politikberatung durch Pistorius sowie der NRW-Chefin der Grünen, Mona Neubaur, in einem anderen Licht erscheinen (Der Westen). Deutschland ist nach den USA, Russland und Frankreich der viertgrößte Waffenexporteur der Welt (SIPRI). Waffenexporte sind oft problematisch, wie zum Beispiel anschaulich auch der geplante Export von Leopard-Panzern nach Saudi-Arabien im Jahr 2011 zeigte. Diese Transaktion wurde scharf kritisiert (Bundestag), da Saudi-Arabien gepanzerte Fahrzeuge eingesetzt hatte, um die Demonstrationen für Demokratie in Bahrain zu unterdrücken. Auch bei diesem Exportgeschäft war Rheinmetall maßgeblich involviert (taz) und zeigt die Ambivalenz des Ausspruchs von Borussia Dortmunds Vorsitzenden der Geschäftsführung, Hans-Joachim Watzke, man wolle mit Rheinmetall die Demokratie verteidigen. 

Die Partnerschaft mit Rheinmetall stellt den BVB also vor eine moralische Herausforderung. Die Befürworter mögen zwar betonen: „Sicherheit und Verteidigung“ seien „elementare Eckpfeiler unserer Demokratie“ und „Mit dieser neuen Normalität sollten wir uns auseinandersetzen“ (O-Ton Hans-Joachim Watzke, BVB). Doch die viel grundlegenderen ethischen Bedenken liegen in der Vermengung der Bereiche. Wie Martin Luther in seiner theologischen Gesellschaftstheorie vielleicht sagen würde, handelt es sich hier um die fehlende Differenzierung zweier „Regimente“, die besser getrennt bleiben sollten, um ihre jeweilige Integrität, sofern vorhanden, zu wahren. Das verhindert nicht nur Interessenskonflikte und fördert die Fokussierung auf die jeweiligen gesellschaftlichen Aufgaben, sondern hat auch historische Gründe. 

Sport und Krieg

Früher war es normal, Sport und Krieg zusammenzudenken. In der griechischen Antike sprach man von Agon. Agon bedeutete auf der einen Seite Krieg und Schlacht, auf der anderen Seite Wettkampf. Jeder Krieger war also auch gleichzeitig Athlet (Deutschlandfunk Kultur). Im Nationalsozialismus bekam die Verbindung von Sport und Krieg jedoch eine besonders dunkle Bedeutung. In dieser Zeit wurde Sport als Propagandainstrument eingesetzt, um die NS-Ideologie zu verbreiten und die körperliche Ertüchtigung der Jugend zu fördern. Der Sport diente auch als Vorbereitung auf den Krieg und wurde oft mit militärischen Übungen kombiniert. Für die „Wehrhaftmachung“ Deutschlands seit 1936 waren sowohl eine ökonomische Autarkie als auch der forcierte Ausbau der Rüstungswirtschaft nötig. Dieses sogenannte „Rüstungswunder“ des Dritten Reichs wäre jedoch ohne die breite Unterstützung der Bevölkerung und die inszenierten Massenveranstaltungen nicht möglich gewesen (Welt). Diese NS-Massenereignisse hatten einen fast religiösen Charakter, ähnlich wie die heutige Verehrung im Fußballkult. In beiden Fällen wird die Masse emotional mobilisiert und zu einem gemeinsamen Zweck vereint. 

Angesichts der düsteren Geschichte von Sport und Krieg ist es wichtiger denn je, dass der Fußball heute für Frieden und Verständigung steht. Kann er das wirklich, wenn er sich von der Rüstungsindustrie kaufen lässt – selbst wenn politische Mandatsträger dazu raten und ordentlich Geld fließt? Nein, er gefährdet vielmehr die moralische Integrität des Sports. Die Grenze zwischen Sportgeschäft und Kriegsgeschäft wird gefährlich verwischt, was letztlich auch zur gesellschaftlichen Normalisierung von Krieg beiträgt. 

Es ist noch nicht lange her, dass bei Auftritten deutscher Fußballmannschaften in der internationalen Presse davon die Rede war, dass die deutschen Panzer wieder rollen. Jetzt bekommt dieses Bild neuen Zündstoff. Die sozialen Netzwerke reagierten schnell mit einer Flut von Witzen und Memes, die die Partnerschaft zwischen dem BVB und Rheinmetall aufs Korn nahmen. Ein Nutzer bemerkte ironisch, er habe schon mal „bombiges neues Spielermaterial“ für den BVB gescoutet – alles Spieler mit dem Nachnamen Panzer, Panzeri oder Panzera (Kölner Stadt-Anzeiger).

"Werbefläche für mehr Aufrüstung"

Inmitten all dieser Reaktionen bleibt eine ernste Frage: Sollten die Grenzen zwischen Sport und Rüstung so unscharf werden, dass die sozialen Netzwerke mehr Klarheit zeigen als die Entscheidungsträger? Ein Kommentar aus dem BVB-Forum bringt die Bedenken vieler Fans auf den Punkt: „Das wirklich Dumme ist, dass man die Frage, ob mehr Aufrüstung wirklich zu mehr Frieden führt, auch anders beantworten kann und jetzt alle damit leben müssen, dass sie ungefragt mit ihrem Herzensverein zur Werbefläche für mehr Aufrüstung werden“ (BVB-Forum).

Vergleichbar mit früheren Debatten um Sponsoring-Deals wie die der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar oder die Partnerschaften von Bayern München mit Qatar Airways und Schalke 04 mit Gazprom, steht nun auch Borussia Dortmund im Zentrum der Kritik. Die Fans dürften zumindest gespalten sein, und es bleibt abzuwarten, wie sich diese Partnerschaft auf die öffentliche Wahrnehmung des Vereins auswirken wird.

Insgesamt zeigt dieser Deal, dass der Profifußball aber auch immer mehr zu einem Spiegelbild der politischen Realitäten wird. Die Zeitenwende, von der Bundeskanzler Olaf Scholz sprach, hat nun auch den deutschen Fußball erreicht – und mit ihr eine Debatte, die weit über das Spielfeld hinausgeht.

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Foto: Asmus Henkel

Constantin Gröhn

Dr. Constantin Gröhn ist wissenschaftlicher Referent für Theologie und Wirtschaftsethik beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt der Nordkirche.


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